Hamburg. Angeklagter fuhr nach Bordellbesuch gezielt rückwärts in Männergruppe. Einer wurde schwer verletzt. Strafe zur Bewährung ausgesetzt.
Das Bein schmerzt noch immer. Jeder Schritt ist mühsam. Um sich fortzubewegen, muss Goran P. (alle Namen geändert) einen Gehstock benutzen. „Zu 99 Prozent ist mein Leben anders“, sagt der 31-Jährige. „Anders“ bedeutet: Der junge Mann ist erwerbsunfähig, hat psychische Probleme, er leidet. „Es ist schrecklich“, fasst der ehemalige Security-Mitarbeiter zusammen.
Das Ereignis, das sein Leben zur Qual werden ließ, liegt mehr als fünf Jahre zurück. Damals wurde Goran P. von einem Auto angefahren und erlitt schwerste Verletzungen am Unterschenkel. Die Frage ist: Hielt der Fahrer des Wagens womöglich absichtlich auf ihn zu?
Absichtlich Kontrahenten angefahren: Zwei Jahre Haft für Miroslav D.
Wegen des folgenschweren Unfalls vom 6. November 2017 muss sich jetzt Miroslav D. vor dem Schöffengericht verantworten. Laut Anklage wurde der 32-Jährige seinerzeit aufgrund einer tätlichen Auseinandersetzung mit dem späteren Geschädigten Goran P. von diesem und weiteren Männern zunächst aus einem Bordell in Steilshoop eskortiert. Dann sei der Mann, der unter dem Einfluss von Alkohol und Kokain stand und keinen Führerschein besaß, in ein Auto gestiegen und mit Vollgas gegen ein anderen Wagen gefahren. Schließlich, so die Anklage weiter, setzte Miroslav D. nun zurück und fuhr in eine Gruppe von Männern. Dabei erlitt Goran P. unter anderem eine offene Unterschenkel-Etagenfraktur. Der Unfallverursacher sei dann mit dem Fahrzeug und später weiter zu Fuß geflohen.
Der Angeklagte erzählt von Drogenschulden, die er seinerzeit gehabt habe. In dem Etablissement sei dann der spätere Geschädigte ins Zimmer gekommen und habe angefangen, ihn „zu boxen“. Auch vier weitere Männer hätten ihn misshandelt. „Ich bin geflüchtet. Ich dachte, sie würden mich töten und bin schnell weg“, erzählt der achtfache Vater. Die anderen hätten ihn weiter verfolgt „Da kam es zu dem Unfall“, so Miroslav D. weiter. „Mich hatte die Panik gepackt.“ Er habe auch Kokain konsumiert und Alkohol getrunken. Ein Blutalkoholtest, der wenig später durchgeführt wurde, ergab 1,2 Promille. Und Kokain, so liest es der Vorsitzende aus einem Gutachten vor, führe zur Überschätzung der eigenen Fähigkeiten sowie zu einer gesteigerten Risikobereitschaft. „Es tut mir leid, dass das alles so passiert ist. Aber vorm Schicksal kann man nicht weglaufen“, meint der Angeklagte noch.
Absichtlich Kontrahenten angefahren: Gericht verhängt Haftstrafe – zur Bewährung
Schicksal? Videoaufnahmen, die aus unterschiedlichen Perspektiven die Auseinandersetzung zwischen Miroslav D. und den anderen Männern dokumentiert haben, zeigen nichts davon, dass der Angeklagte verfolgt worden ist und um sein Leben rannte. Tatsächlich bleiben seine Kontrahenten erst im Treppenhaus stehen und gehen ihm dann gemächlich hinterher. Und andere Kameraaufzeichnungen, die den Innenhof und den Autounfall erfasst haben, dokumentieren, dass der 32-Jährige mit seinem Wagen schon auf dem Weg vom Hof war — und erst dann schnell zurücksetzte und in die Männergruppe fuhr. „Mein Bein war praktisch abgerissen“, sagt Goran P. über die Verletzungen, die er bei der Kollision davontrug. 14 mal ist der ehemalige Security-Mann bislang operiert worden. Zwei bis drei weitere Eingriffe, erzählt er, stünden ihm noch bevor.
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Schließlich verurteilt das Schöffengericht den Angeklagten unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung und Unfallflucht zu zwei Jahren Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wird. Obwohl er freien Blick auf die Ausfahrt hatte, sei Miroslav D. trotzdem rückwärts gefahren, und das sehr forsch. „Wir sind überzeugt davon, dass Sie die Verletzung absichtlich herbeiführen wollten“, sagt der Vorsitzende an die Adresse des Angeklagten. Die hohe Geschwindigkeit spreche für einen Vorsatz. Auch sei eindeutig, dass der 32-Jährige von den anderen weggegangen und nicht etwa weggerannt sei. Von Panik also keine Spur.