Hamburg. Noah und Kira verabredeten sich in eindeutiger Absicht. Dann sorgte ein einziger Satz dafür, dass aus dem Date ein Mordversuch wurde.

Sie brachte einen Mann mit voller Absicht in Todesgefahr. Und Kira B. hätte sich sogar gewünscht, dass der Mann wirklich verstirbt. „Dieser Fall, über den wir als Schwurgericht im August 2007 befinden mussten, gab uns wirklich Rätsel auf“, sagt Wolfgang Backen, ehemaliger Vorsitzender Richter und zu Gast im Abendblatt-Crime-Podcast mit Rechtsmediziner Klaus Püschel und Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher.

„Angeklagt war die damals 33 Jahre alte Kira B. (alle Namen geändert), weil sie während des ersten Dates versucht hatte, einen Mann zu ermorden. Aber warum?“ Kira B. hatte ihr späteres Opfer über einen Tele-Chat kennen gelernt und verabredete sich noch für denselben Abend mit ihm in ihrer Wohnung zum Sex.

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„Das klingt zunächst einvernehmlich. Zwei Menschen, die sich mit klaren Absichten verabreden“, meint Mittelacher. „Aber dann ist die Situation eskaliert. Denn Noah N. hat nichts gemacht, um die 33-Jährige zu provozieren. Jedenfalls nicht wissentlich.“ „Noah N. hat unbeabsichtigt etwas gesagt, was sehr, sehr schlimme Erinnerungen bei Kira B. heraufbeschworen hat“, erläutert Backen. „Erinnerungen an Männer, die sie schwer misshandelt haben.“

Püschel folgert: „Und deshalb entschloss sie sich, den Mann töten zu wollen? Quasi stellvertretend für ihre frühere Peiniger?“ „Es kommt ja eher seltener vor, dass Frauen Gewaltverbrechen an Männern verüben. Häufig ist es umgekehrt. Männer verletzten oder töten Frauen.

Um die Tat von Kira B., die das Opfer nur mit sehr viel Glück überlebt hat, zumindest ansatzweise verstehen zu können, muss man weit in ihre persönliche Vergangenheit eintauchen, oder?“, fragt Mittelacher. Kira B. hat mehrfach schlimme Erfahrungen mit Männern gemacht.

Erst wurde sie während ihrer Ausbildung von einem Kollegen sexuell belästigt, später von einer Zufallsbekanntschaft. Und schließlich wurde sie am Rande einer Bundesstraße von drei Männern vergewaltigt. „Einer stöhnte hinterher atemlos vor Anstrengung: ,Ich bin fertig, ich kann nicht mehr!’“, erzählt Backen. „Dann ließen sie die weinende Frau wie Müll am Straßenrand liegen.“

Das Trauma kam wieder hoch – ausgelöst durch einen Satz

Wegen dieser traumatischen Erlebnisse begann Kira B., erhebliche Mengen Alkohol zu trinken. Zudem entwickelte sie psychische Probleme, unter anderem eine Posttraumatische Belastungsstörung und unternahm mehrere Suizidversuche. Zu Männern hatte sie nur noch als Zufallsbekanntschaften Kontakt. So auch zu Noah N. Nach dem Sex in ihrer Wohnung sagte der Mann: „Ich bin fertig, ich kann nicht mehr!“

„Ich bin fertig. Ich kann nicht mehr?“, fragt Püschel. „Das waren doch exakt die Worte, die etliche Jahre zuvor einer der Vergewaltiger von Kira B. benutzt hat! Gar nicht gut!“„Absolut“, bestätigt Backen. Kira B. habe plötzlich Hass auf den Mann verspürt. „Offenbar ist der Frau folgendes durch den Kopf gegangen“, meint Mittelacher. „Sollte er nicht zumindest stellvertretend für das büßen, was ihr damals angetan worden war?“

Nach der Tat ging die Angreiferin in die Kneipe – den Notruf wählte sie erst Stunden später

Daraufhin stach sie dem schlafenden Mann ein Messer dreimal in die Brust. „Ein Stich traf seine Lunge“, berichtet Richter Backen. „Und Kira vernahm zufrieden, wie die Luft zischend entwich.“ „Das Opfer hat, neben weiteren Brustverletzungen, einen Pneumothorax erlitten“, erklärt Püschel. Dadurch sei das zischende Geräusch zu erklären. „Noah bekam so gut wie keine Luft mehr“, berichtet Backen weiter. „Er bat Kira flehend, schnell einen Notarzt zu rufen, was diese jedoch kaltlächelnd ablehnte. Sie sagte, er solle weiterschlafen!“

Tatsächlich rief die Frau für sich ein Taxi, steckte die Handys des Opfers ein und schloss die Wohnungstür hinter sich ab, um zu verhindern, dass Noah jemanden alarmieren könne, „falls er wider Erwarten doch noch nicht ganz tot sei“, erinnert sich Backen. Als die Täterin die Wohnung verlassen hatte, quälte sich der Mann trotz erheblichen Blutverlusts zum Balkon rief um Hilfe.

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„Wegen seiner Lungenverletzung war seine Stimme jedoch zu schwach, um die Nachbarn zu wecken. Bei jedem Versuch spuckte er mehr Blut“, so Backen. „Auch das, was Sie jetzt schildern, Herr Backen, ist ganz typisch für die schweren Brustkorb- beziehungsweise Lungenverletzungen, die das Opfer erlitten hat“, erklärt Püschel. „Man kriegt kaum Luft, kann also nicht laut rufen. Und jede Anstrengungen bewirkt, dass die Wunden stärker bluten.“

Die Messerstecherin hatte unterdessen in einer Kneipe reichlich Alkohol getrunken. „Schließlich verständigte sie in der Annahme, Noah sei tot, von ihrem Handy aus die Feuerwehr, um den Rettungsdienst zu alarmieren“, sagt der Richter.

„Und sie antwortete unaufgeregt auf die Frage, was denn passiert sei, sie habe gerade jemanden umgebracht. Und das, obgleich es vorher keinen Streit gegeben habe. Der Mann habe ihr nichts getan, sie habe ihn einfach so getötet.“ Das Opfer konnte jedoch nach dem Notruf gerade noch so gerettet werden. Die Täterin erhielt eine mehrjährige Freiheitsstrafe. Ihre Unterbringung in einem geschlossenen psychiatrischen Krankenhaus wurde angeordnet.