Hamburg. Zwei grausame Morde an Frauen konnten jahrelang nicht gelöst werden. Wie die Polizei dem Täter schließlich auf die Schliche kam.

Es sind zwei Verbrechen, die zum „Cold Case“ geworden sind. Der eine Mord wurde im Jahr 1993 verübt, der andere 1999. Mehr als zwanzig Jahre lang konnten die beiden Gewaltverbrechen nicht aufgeklärt werden: beides Fälle aus Hamburg, beides Morde an Frauen. „Aber da hörten die offensichtlichen Gemeinsamkeiten fast schon auf“, sagt Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher im Crime-Podcast „Dem Tod auf der Spur“ mit Rechtsmediziner Klaus Püschel.

„Damals hat niemand geahnt, dass diese Verbrechen vielleicht vom selben Täter begangen sein könnten.“ Das erste Opfer war eine 28-Jährige. Sie wurde in ihrer Wohnung von ihrem Lebensgefährten gefunden. Die andere Frau, die 1999 tot in ihrer Wohnung entdeckt wurde, war eine 79-Jährige. Sie wurde erstickt. „Die Kripo hat seinerzeit vieles versucht, um die Morde aufzuklären“, meint Mittelacher.

True Crime: Mord hat eine hohe Aufklärungsquote

„Aber eine heiße Spur ergab sich in keinem der Fälle.“ „Dabei ist Mord eines der Delikte mit der höchsten Aufklärungsquote“, erklärt Püschel. „Im Jahr 2021 betrug sie deutschlandweit bei Mord 94,2 Prozent. Und auch in den Jahren davor konnten sich die Ermittlungserfolge sehen lassen.“ Für die Aufklärung von Altfällen haben manche Städte, so auch Hamburg, spezielle Ermittlungseinheiten gebildet, die sogenannten Cold-Case-Units.

„Eine tolle Einrichtung“, findet Püschel: „Spezielle Teams befassen sich mit den alten Fällen, gehen sie mit Akribie immer wieder durch. Gibt es vielleicht neue Ansätze?“ Jedenfalls rückten auch die beiden ungeklärten Fälle aus den Jahren 1993 und 1999 wieder in den Fokus. Die 79-Jährige war, das hatten Ermittlungen und Obduktion ergeben, auf ihr Bett gedrückt worden. Dann wurde sie mit einer über ihren Kopf gezogenen Plastiktüte und einem Seidenschal erstickt sowie sexuelle Handlungen an ihr vorgenommen.

Täter vergang sich an seinem Opfer

Auch an der 28-Jährigen hatte sich der Täter sexuell vergangen und sie im Laufe des Geschehens mit einem Handtuch erwürgt. „Nun, gut ein Vierteljahrhundert nach den Taten, haben die Ermittler der Cold-Case-Einheit durchdacht, ob es nicht doch derselbe Täter sein könnte — einer, der mit beiden Opfern bekannt war“, berichtet Püschel. „Und dieser neue Ermittlungsansatz brachte den entscheidenden Erfolg“, erinnert sich Mittelacher.

„Es gab nämlich jemanden, den die Polizei schon früher mit dem Mord an der 79-Jährigen in Verbindung gebracht hatte. Auch mit der 28-Jährigen war er bekannt. Aber damals reichten die Indizien und Verdachtsmomente gegen den Mann nicht aus. Nun aber kam eins zum andern — und es wurde Anklage gegen einen 69 Jahre alten Mann erhoben.“

Täter schon mehrfach vorbestraft

Willi S. war mehrfach vorbestraft, vor allem wegen diverser sexueller Übergriffe auf Frauen. Zuletzt erhielt er 2011 neun Jahre Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung. Im neuen Prozess wurden dem Mann die Morde an der 28-Jährigen und der 79-Jährigen vorgeworfen, darüber hinaus Sexualdelikte an den Opfern. Zudem soll er ihnen jeweils die Handtaschen gestohlen haben. „Ich erinnere den Angeklagten als einen schmalen Typen mit zerfurchtem Gesicht“, erzählt Mittelacher.

„Zu den Vorwürfen ließ der Angeklagte seinen Verteidiger sprechen. Und dieser erklärte, dass seinen Mandanten das Strafverfahren ,außerordentlich belastet‘ habe. Der Angeklagte habe beide Opfer gekannt und ,bedauert deshalb deren Schicksal‘. Aber mit den Verbrechen habe er nichts zu tun, beteuerte der 69-Jährige.“

„Diese Kippe war doppelt belastend“

Was alles bei den Ermittlungen zusammengetragen wurde, hat ein Spezialist der Kriminalpolizei als Zeuge erzählt. Er berichtete, ein zentraler Baustein sei eine in der Wohnung der 79-Jährigen gefundene Zigarettenkippe gewesen. „Eine Zigarettenkippe, an der sich die DNA von Willi S. nachweisen ließ?“, fragt Püschel. „So was ist natürlich ein sehr belastendes Indiz. Die DNA eines Menschen ist ja einzigartig — es sei denn, es geht um eineiige Zwillinge.“

Eine Auswertung an der Kippe zeigte, dass es tatsächlich nahezu sicher der 69-Jährige war, der die Kippe in der Wohnung des Opfers hinterließ. „Diese Kippe war doppelt belastend“, berichtet Mittelacher. „Es war auffällig, wie penibel Ilse H. ihre Wohnung in Schuss hielt. Da lag nichts rum, es gab keinen Staub, nichts. Aber eben die Kippe. Also muss der Angeklagte am Tattag in der Wohnung gewesen sein.“

True Crime: Täter hatte Informationen zu den Mordfällen

„Außerdem schien Willi S. doch noch Informationen zu den Mordfällen zu haben, die von den Ermittlern als ,Täterwissen‘ eingeordnet wurden!“, meint Püschel. „Allerdings“, bestätigt Mittelacher. „Willi S. hatte im Zusammenhang mit beiden Mordfällen in früheren Vernehmungen angegeben, er habe jeweils etwa zur Tatzeit verdächtige Männer aus den Wohnungen der Opfer kommen sehen, die ­Damenhandtaschen bei sich getragen hätten.

Daraufhin haben die Ermittler in alten Pressemitteilungen recherchiert, ob jemals erwähnt wurde, dass im Zuge der Kapitalverbrechen auch Handtaschen der Frauen gestohlen wurden.“ „Und das war nicht der Fall“, bilanziert Püschel. Schließlich verhängte das Schwurgericht zwölf Jahre Freiheitsstrafe gegen Willi S. — und Sicherungsverwahrung.