Hamburg. Vor zehn Jahren legte Prof. Wolfgang Auffermann eine spektakuläre Pleite hin und ging nach Dubai. Anatomie eines Medizin-Skandals.

Sechs Tonnen wog der Magnetresonanztomograf (MRT), den der Hubschrauber von oben in das aufgestemmte Dach der Alten Oberpostdirektion in Hamburg hinabsenkte. Ein Prunkstück für die neue Praxis von Prof. Dr. Wolfgang Friedrich Wilhelm Auffermann. Das Neueste vom Neuen für seinen Plan einer Mega-Radiologie am Stephansplatz. High-tech für Millionen. Das Durchleuchtungs-Imperium des Strahlemanns dehnte sich weiter aus.

Auffermanns Hanserad hatte zu diesem Zeitpunkt Ende 2012 nach eigenen Angaben knapp 300 Mitarbeiter, davon mehr als 40 Ärzte, Standorte in Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und München. Und der Röntgen-Papst, dessen Bergedorfer Vorstadtklinik die Welt der medizinischen Bilder erobern sollte, hatte in seinem märchenhaften Aufstieg zum Hansdampf unter Hamburgs niedergelassenen Ärzten vor allem eines erklommen: einen gigantischen Berg an Schulden. Auffermann tanzte oben, während sein Firmengeflecht unter ihm zusammenbrach.

Prof. Auffermann: Eine Pleite, die Schockwellen auslöste

Zehn Jahre liegt eine der größten und für Außenstehende überraschendsten Pleiten eines deutschen Medizinunternehmens nun zurück. Ab und an jagt noch eine Schockwelle durch Praxen oder leise Dialoge unter Fachleuten, wenn die Rede auf Auffermann kommt. Er hat sie alle geblendet. Die Hellwachen und die Tranfunzligen. Die Ärzte mit Durchblick und die, die sich nur auf die Arbeit am Patienten konzentrieren wollten. Die Krankenkassen, die Kassenärztliche Vereinigung, die Banken.

Heute bietet Auffermann Sprechstunden in Dubai an – am Sulaiman al-Habib-Krankenhaus in einem gewaltigen Klinik-Komplex. Die Metrostation Health Care City kennen viele Touristen. Zum Dubai Creek ist es ein kurzer Weg, der Flughafen ist mit dem Auto in wenigen Minuten zu erreichen. In Hamburg wird er nicht mehr erwartet. Das Verlangen, ihn hier zu sehen, dürfte sich in Grenzen halten. In juristisch eng abgesteckten.

Insolvenz und Flucht nach Dubai

Auffermann war nicht einfach ein rhetorisch einwickelnder, charmanter, gebildeter, musischer, vielsprachiger Erfolgsgeschichtenerzähler. Nein, Auffermann war der Prophet einer neuen Radiologie. Ein Netz von Ärzten, zunächst oft als Partner, dann als seine Angestellte, nannte er sein Eigen. Der Verbund von Praxen bot Öffnungszeiten von morgens früh bis abends spät. Digitale Datenübertragung, CT und MRT für scharfe Bilder von Organen, Muskeln, Gewebe und Tumoren, die da nicht hingehörten, punktgenau gesetzte Spritzen gegen „Rücken“ – der Mann hatte ein Portfolio zu bieten, das ihn zur Benchmark für alle machte, die Röntgen-Diagnostik modern dachten. Dachte man.

Orthopäden kamen kaum umhin, ihre Patientinnen und Patienten zu Auffermann zu schicken. Und gab es doch Zweifel, half der Hanserad-Alleinherrscher mit seinen rhetorisch bonbonverpackten Argumenten nach. Aber: Er konnte auch barsch. Ehemalige ärztliche Kollegen berichten von kurzen Wutausbrüchen und Hahnenkämpfen.

Gier und Großmannssucht

Doch wie kann es sein, dass ein solcher Medizin-Koloss krachend in sich zusammenfällt, der dauerhaft fließende Einnahmen hat dank Tausender Patienten, viele davon privatversichert? Zwei Charaktereigenschaften Auffermanns erzählen einen Teil der Geschichte: Großmannssucht und Gier. Der Arztsohn aus Duisburg strebte immer nach immer Höherem.

Als der Hubschrauber im Oktober 2012 über dem denkmalgeschützten Bau am Stephansplatz mit dem MRT einschwebte, da zeichnete sich ab: Hanserad war ungesund groß gewachsen. Sein Mega-Projekt in der City war weder aus dem laufenden Geschäftsbetrieb noch mit weiteren Krediten finanzierbar. Die Niederlassung in München rutschte in die Insolvenz, die anderen Hanserad-Gesellschaften waren nicht mehr liquide. Die mit einer Eventagentur geplante Eröffnung wurde abgesagt. Statt Promis kam der Insolvenzverwalter: Aktenzeichen 67b IN 333/2012.

Abrechnungsbetrug: Apotheker und Auffermann-Manager verurteilt

Mit gezieltem Spurenlegen flüchtete Auffermann aus Hamburg. Der Mann, der oft nach St. Petersburg in Russland und Dubai in die Emirate jettete, verbreitete unter seinen wütenden Mitarbeitern: Nach einem Unfall sei er in Berlin und erhole sich. Dann will er aus Südafrika Botschaften geschickt haben. Später postete er bei Facebook ein Foto aus einem Urlaub, in dem er Kitesurfen gelernt habe. Füße auf dem Tisch, Rotweinglas daneben.

Die Insolvenzverwalter versuchten zu retten, was zu retten war, Teile des Medizinkonglomerates zu verkaufen, Mitarbeiter zu bezahlen. Später übernahm die Heidelberger Curagita Teile von Hanserad.

Erst im Laufe der Pleite und der Recherchen des Abendblattes stellte sich heraus: Offenbar hatte es hastige Versuche gegeben, der angeschlagenen Hanserad doch noch Mittel zu verschaffen. Auffermann hatte mit einem Apotheker und einem Geschäftsführer laut dem späteren Urteil des Landgerichts Hamburg Kontrastmittel in gewaltigen Mengen eingekauft. Dabei soll Hanserad von Rabatten profitiert und ein System von Kickback-Zahlungen geschaffen haben. Als der Insolvenzverwalter einen Fuß in die Lagerräume in Bergedorf setzte, sollen dort mehrere Tausend Liter an Kontrastmitteln gefunden worden sein. Auffermann hat stets bestritten, Illegales getan zu haben.

Razzia im Auffermann-Reich

Die bundesweite Razzia im Frühjahr 2013 in 41 Häusern und Praxen des Auffermann-Reiches förderte Akten, Belege für Geldflüsse und vieles mehr zu Tage, das den Ermittlern die Haare zu Berge stehen ließ. Allein die gesetzlichen Krankenkassen wurden nach ihrer Einschätzung um einen zweistelligen Millionenbetrag geprellt. Erst hieß es: mindestens 34 Millionen Euro. Dann wurde die Summe vor Gericht auf zehn Millionen Euro reduziert. Andere Ärzte hatten ebenfalls ihre Unterschrift auf die Bestellungen gesetzt. Allerdings: Einigen fehlte die Berechtigung dazu, wie Abendblatt-Recherchen ergeben hatten.

Doch bis die Einzelteile zusammengepuzzelt waren, vergingen Jahre. Verurteilt wurden im August 2016 der Apotheker und der Auffermann-Wirtschafter zu fünf und viereinhalb Jahren wegen gewerbsmäßigen Betrugs und Beihilfe. Der „Chef“ sollte aus Dubai ebenfalls in Hamburg vor dem Kadi erscheinen. Doch er entschied sich für Golf statt Gericht. Auffermann schickte einen Anwalt zum ersten Prozesstag und ließ erklären, er komme, wenn der Haftbefehl aufgehoben werde und es ein „faires Verfahren“ gebe. Der Richter schickte den Verteidiger in den Zuschauerraum. Obwohl sein Name über dem gesamten Mammut-Prozess schwebte, jede Zeugin, jeder Zeuge ihn kannte, wurde über Auffermann nie verhandelt, kein Urteil gefällt. Er darf die Unschuldsvermutung für sich reklamieren.

Prof. Wolfgang Auffermann: Video aus Dubai

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Youtube, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Und als derart Unschuldiger praktiziert Auffermann im Wüsten-Emirat. Kein Auslieferungsabkommen mit Deutschland, kaum Steuern, fast immer Sonne – Dubai kann ein Luxus-Gefängnis sein, wenn der Bewegungsspielraum eingeschränkt ist. Mit 35 Millionen Euro Schulden ist er dort eingeschwebt. So steht es in der Erklärung seiner Privatinsolvenz vom 14. September 2013. Er machte „höchstpersönlich“ Angaben über „mehr als 100 Gläubiger, daher habe ich keine Übersicht“. Sein Praxis-Geflecht, seine Partner und Hunderte Angestellte, seine Häuser, seine Ehe, seine Kinder ließ Auffermann hinter sich.

In einem undatierten Youtube-Video des Sulaiman al-Habib-Krankenhauses spricht er potenzielle Patienten fröhlich-optimistisch an: „My name is Dr. Wolfgang, professor from Germany.“ Seit 15 Jahren arbeite er in der Klinik. Rückenschmerz-Patienten kämen zu ihm, häufig im Rollstuhl. Mit dem Laser, einem kleinen Eingriff und etwas Physiotherapie könne er ihnen helfen. „Am nächsten Tag sind Sie zurück im normalen Leben.“ So klang auch der „alte“ Auffermann.

Professorentitel von der HAW

Dr. Wolfgang nannte sich zwischenzeitlich auch Dr. Wolf. Er hat sich in Dubai einen Schafspelz umgelegt. Kein Wort in seiner Selbstdarstellung im Internet davon, dass ihm die Kassenzulassung entzogen wurde, dass er eine beachtliche Pleite hingelegt hat und per Haftbefehl gesucht wurde. Sorgfältig listet er die Fachgesellschaften auf, seinen Werdegang. Sein „Professor at Hamburg University“ ist in Wahrheit eine ehrenhalber verliehene Professur von der HAW.

Wer mag nach zehn Jahren noch „offiziell“ über Auffermann reden?

Sein früherer Anwalt antwortet nicht. Der aus dem Gefängnis entlassene Apotheker geht nicht ans Handy. Seine ehemalige Lebensgefährtin reagiert nicht. Ärzte winken ab. Der Mann ist Geschichte. Wäre noch schöner, sagt einer, wenn die Chuzpe, mit der Auffermann vorgegangen sei, auch noch Zukunft hätte.