Hamburg. Droht Corona-Gefahr aus China? Virologe Jonas Schmidt-Chanasit über die aktuelle Lage. Warum sich Infizierte von Tieren fernhalten sollten.
Grippe, RS-Viren, Corona-Infektionen: Arztpraxen und Krankenhäuser stoßen angesichts einer massiven Welle an Atemwegserkrankungen in diesem Winter an ihre Grenzen. Und auch in anderen wichtigen Bereichen wie Schulen und Kitas, bei Hoch- und S-Bahn kommt es aufgrund von krankheitsbedingten Personalausfällen immer wieder zu Engpässen.
„Das Infektionsgeschehen ist in der Bevölkerung und damit auch bei den Mitarbeitenden in Krankenhäusern und Pflegeheimen aktuell sehr hoch“, sagt der Hamburger Virologe Jonas Schmidt-Chanasit im Gespräch mit dem Abendblatt. „Viele fallen derzeit wegen Influenza-, aber auch nach wie vor wegen Sars-CoV-2-Infektionen aus.“ Was die Krankenhausaufenthalte betrifft, seien 80 Prozent der positiv Getesteten nicht mehr wegen, sondern mit Corona im Krankenhaus. „Der Isolationsaufwand ist dennoch hoch.“
Corona Hamburg: Infektionen werden nicht mehr flächendeckend erfasst
Die Sieben-Tage-Inzidenz der Corona-Neuinfektionen je 100.000 Einwohner liegt in Hamburg nach Zahlen des Robert-Koch-Institutes (RKI) vom 26. Dezember bei 212,4. Am 23. Dezember hatte sie noch bei 234,1 gelegen – bundesweit bei 258,5. Längst werden jedoch nicht mehr alle Corona-Infektionen erfasst und gemeldet, daher dürfte die Dunkelziffer deutlich höher liegen.
Zudem könne die Lage nach den Weihnachtsfeiertagen nicht in gleicher Weise wie im restlichen Jahr bewertet werden, so das RKI in einem aktuellen Bericht. Das liege unter anderem daran, dass in dieser Zeit weniger Personen eine Arztpraxis aufsuchen und dadurch weniger Proben genommen werden.
Corona: Kann uns Welle aus China auch in Deutschland wieder treffen?
Ob die massive Corona-Welle, die derzeit China überrollt, uns auch in Deutschland wieder treffen kann, könne niemand genau vorhersagen, sagt Schmidt-Chanasit. Da wichtige Daten aus China nicht verfügbar sind, wäre eine Modellierung, die ein Risiko ausgehend von China mit einbezieht, eine große Herausforderung. „Es wäre aber möglich, dass bei einem hohen Infektionsdruck humane Fälle und die damit verbundenen Sars-CoV-2-Varianten auch nach Deutschland importiert werden.“
Einen genauen Überblick über die aktuelle Lage in China zu erhalten, sei jedoch nicht so einfach. „Falls sich dort in den nächsten Wochen oder Monaten eine neue besorgniserregende Variante ausbreitet, sollte man natürlich auch in Deutschland darauf vorbereitet sein.“ Der Situation in China liege jedoch „eine ganz andere Ausgangslage“ als in Deutschland zugrunde. Zum einen sei die Grundimmunität in der Bevölkerung geringer als hierzulande. „Durch Chinas strikte Null-Covid-Politik gab es dort bisher kaum Infektionen“, so Schmidt-Chanasit. „Sie hätten die Zeit nutzen müssen, um eine breite Grundimmunität herzustellen.“
Zum anderen sei die Wirksamkeit der dort verwendeten Impfstoffe geringer als die der Impfstoffe, die in Deutschland zur Anwendung gekommen sind. Darüber hinaus sei auch das Gesundheitswesen schwächer aufgestellt als hierzulande. Gerade die Versorgung auf dem Land sei weit von dem entfernt, was bei uns Standard ist. „Grundsätzlich ist auch die apparative Ausstattung schlechter, und es gibt weniger Intensivbetten pro Einwohner“, gibt Schmidt-Chanasit zu bedenken.
Personal- und Pflegenotstand hierzulande aktuell die größten Probleme
„Wir werden auch weiterhin in Deutschland Infektionswellen sehen, vielleicht auch von China ausgehend. Bei uns in Deutschland würde eine erneute Infektionswelle aber nicht mehr auf eine immunologisch naive Bevölkerung treffen, da in Deutschland die meisten Menschen geimpft und/oder genesen sind und dadurch den nötigen Antigen-Kontakt hatten.“ Hierzulande seien der Personal- und der Pflegenotstand momentan die größten Probleme. „Daher müssen wir umgehend alle Möglichkeiten nutzen, um diese Situation zu verbessern, ansonsten wird uns das in den nächsten Jahren auf die Füße fallen.“
Wissenschaftler blickten laut Schmidt-Chanasit aktuell mit Interesse nach China, „da natürlich die Möglichkeit besteht, dass sich dort eine besorgniserregende Variante ausbilden könnte. Um dies zu verhindern, ist es besonders wichtig, den Wechsel des Virus zwischen Tieren und Menschen zu vermeiden“. Wer an Corona erkrankt ist, sollte laut dem Experten engen Kontakt zu Tieren meiden.
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Einen sofortigen Stopp aller Flugverbindungen nach China, wie ihn jüngst der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Jürgen Hardt, gefordert hatte, hält Schmidt-Chanasit hingegen nicht für sinnvoll, „da es mehr schadet, als es nützt“. Die Ausbreitung bestimmter Varianten werde dadurch nur minimal begrenzt. „China ist zudem ein wichtiger Lieferant für viele notwendigen Medizin-Produkte. Die Menschen müssen in beide Richtungen versorgt werden, und auch der wissenschaftliche Austausch darf nicht unterbrochen werden.“
Wichtig sei eine gute Überwachung der Situation in China, sollten sich zum Beispiel neue besorgniserregende Varianten ausbilden. „Dann muss umgehend geprüft werden, wie wirksam die Impfstoffe und die Medikamente noch sind.“
Jeder Einzelne sollten seine Impfungen aktuell halten
Ob wir uns in irgendeiner Form wappnen müssen? „Wir müssen aufgrund der aktuellen Lage in China bei uns keine neuen Maßnahmen einführen“, betont Schmidt-Chanasit. Es sei wichtig, dass aus China keine Informationen zurückgehalten werden und es „einen zeitnahen, verlässlichen Informationsaustausch gibt. Nur so können sich die Experten in Deutschland einen guten Lage-Überblick verschaffen und im Notfall schnell reagieren“.
Für jeden Einzelnen gelte: Impfungen aktuell zu halten, nicht nur gegen Corona, sondern zum Beispiel auch gegen Pneumokokken und Influenza. Wer besonders gefährdet ist, sollte zudem aktuell Risiko-Situationen eher meiden. Hamburg sei aufgrund einer guten Impf- und Booster-Quote sowie „hervorragender Krankenhäuser“ gut aufgestellt. „Die Hamburgerinnen und Hamburger müssen sich also aktuell keine Gedanken über die Situation in China machen.“