Hamburg. Der Unternehmer und Gründer des Hamburger Softwareunternehmens Spryker spricht über das Geheimnis erfolgreicher Firmen.

Alexander Graf hat schon zu seinen Schulzeiten als Unternehmer gearbeitet, er organisierte Partys in Kiel und entwickelte Webseiten für Mittelständler. Inzwischen hat er diverse Firmen gegründet, unter anderem das Hamburger Softwareunternehmen Stryker, das mehr als 600 Mitarbeiter aus 50 Nationen hat, und gilt als Vordenker, was die Entwicklung des Handels betrifft. In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ spricht der Mann, der in Schleswig-Holstein „auf einer Farm lebt“, über das Geheimnis erfolgreicher Firmen, über das Gefangenendilemma von Einzelhändlern – und über eine Frage, über die er sich wirklich nie Gedanken macht.

Das sagt Alexander Graf über ...

… die Digitalisierung von Firmen und Geschäftsmodellen:

„Es funktioniert nicht, wenn große Konzerne versuchen, wie Start-ups zu sein. Früher konnte man noch außerhalb des Kern-Unternehmens Firmen gründen, die eine Antwort auf schnell wachsende Konkurrenten im Internet waren, ein Beispiel dafür ist About You, das ja eine Tochterfirma von Otto ist. Mittlerweile ist die Digitalisierung aber in allen Branchen so weit fortgeschritten, dass man nicht mehr die Zeit hat, auf der grünen Wiese ein neues Unternehmen zu entwickeln. Firmen, die wissen, dass sie in drei, vier Jahren einen Großteil ihres Umsatzes digital machen müssen, haben keine Zeit mehr, Pläne zu entwickeln.

Sie müssen handeln, möglichst viele Projekte möglichst schnell starten und hoffen, dass ein, zwei davon erfolgreich sind. Und man muss sich jede Woche fragen, ob das, was man tut, richtig ist. Die Fähigkeit von guten Unternehmern ist, die Leute immer wieder davon zu überzeugen, dass man etwas anders machen muss, auch wenn das, was man macht, gerade gut funktioniert. Gute Chefs in der Digitalisierung fragen, wie man Dinge schneller verwirklichen kann, sie fragen nicht mehr nach dem Businessplan für 2025.“

… das Duzen, das Unternehmen schneller macht:

„Um als digitales Unternehmen erfolgreich zu sein ist, ist es zwingend notwendig, dass sich alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter duzen. Das hat mit der Internationalisierung des Geschäfts, aber auch damit zu tun, dass man in einem Unternehmen wie Spryker heute Kollegen aus mehr als 50 Nationen hat. Außerdem macht das „Sie“ ein Unternehmen langsamer, Distanzen werden größer, Abstimmungen werden schwieriger. Und Geschwindigkeit ist nun einmal das Wichtigste in einer digitalisierten Wirtschaft. Wer sich am schnellsten an die Ansprüche der Kunden anpasst, gewinnt, unabhängig davon, wie groß er ist.“

… das Geheimnis erfolgreicher Firmen:

„Das Wichtigste, was Firmen brauchen, die in der digitalen Welt erfolgreich sein wollen, ist ein direkter Zugang zu den Kunden. Ich habe rund 200 Marken in der Zusammenarbeit mit Amazon betreut, und ich würde behaupten, dass sich keiner davon in einer Win-win-Situation befand. Große Plattformen, die den Zugang zu Kunden haben und diesen zeitweise an andere Unternehmen vermieten, gewinnen immer. Sie schöpfen komplett den Gewinn der anderen ab, es ist wie beim Gefangenendilemma.

Amazon ist das große Handelsgefängnis. Deshalb muss man unbedingt vermeiden, dass man ein Geschäftsmodell aufbaut, für das man auf Google, Amazon oder Facebook angewiesen ist. Egal, ob man Schrauben, Bücher oder Weine verkauft, man braucht eine Idee, wie man direkt an die Kunden herankommt. Das ist schwierig, aber alternativlos, und es geht auch.“

… das Denken in immer kürzeren Zeiträumen:

„Ich werde oft gefragt, wo Spryker in fünf Jahren sein wird, und ich sage dann immer: Ich habe gar keine Zeit, mir darüber Gedanken zu machen. Man kann doch heute froh sein, wenn man sich einen Plan überlegt, der dann tatsächlich die nächsten zwölf Monate funktioniert.“

… den Wandel des Handels und der Innenstädte:

„Die entscheidende Frage ist, wer den Zugang zum Kunden hat, und ich glaube, diese Frage haben die großen Plattformen längst für sich entschieden. Wer die höchste Aufenthaltszeit in seiner App erzeugen kann, im Moment ist das Amazon, wird künftig die größten Umsätze machen. Der stationäre Handel in den Innenstädten wird sich gegen diese Entwicklung nicht stemmen können, zumal er jetzt noch zusätzlich darunter leidet, dass viele Menschen mobil arbeiten, also gar nicht mehr in die Innenstädte kommen.

Innerstädtische Logistikflächen für Waren vorzuhalten, die es im Internet billiger gibt, macht keinen Sinn mehr. Online zu bestellen ist zudem viel, viel umweltfreundlicher als in die City zu fahren. Auch deshalb sehe ich für den Handel dort keine Zukunft mehr.“

Fragebogen

  • Was wollten Sie als Kind werden und warum?
  • Zuerst habe ich mich an meinem Vater orientiert und wollte auch Pfarrer werden. Da hat man keinen direkten Chef, der einen kontrolliert – dachte ich zumindest als Kind. Bei näherer Betrachtung der Kirchenstrukturen hat sich diese Idee aber wieder in Luft aufgelöst.
  • Was war der beste Rat Ihrer Eltern?
  • Meine Eltern haben sich mit Ratschlägen sehr zurückgehalten. Die waren froh, dass wir nach dem Umzug aus Weimar nach Kiel Anschluss gefunden haben.
  • Wer war beziehungsweise ist Ihr Vorbild?
  • Vorbilder habe ich nicht wirklich. Mich beeindrucken Leute, die Dinge erreichen, weil sie einfach machen und ihre Visionen umsetzen, dabei auf dem Boden bleiben und einfach weitermachen. In diesem Sinne ist jeder erfolgreiche Unternehmer, der einem eher christlichen Wertesystem folgt, ein Vorbild für mich.
  • Was haben Ihre Lehrer/Professoren über Sie gesagt?
  • In der Schule waren die Lehrer froh, meine Versetzung ermöglichen zu können, trotz einer erheblichen Fremdsprachenschwäche. Ich glaube, ich halte den Rekord für die schlechteste Französischarbeit an meiner Schule (6 minus minus). An der Uni Kiel gab es keinen so direkten Bezug zu den Professoren. Mein Ausbilder an der Offiziersschule, ein Panzeroberst alter Schule, meinte im Abschlussgespräch zu mir, dass ich alle Lehrgangsinhalte mit einer viel zu großen Gelassenheit angehe. Er meinte das wohl als Kritik – ich habe das aber als Lob aufgefasst.
  • Wann und warum haben Sie sich für den Beruf entschieden, den Sie heute machen?
  • Ich habe mich nie für einen Beruf entschieden – mich treibt nur das „Machen“ an. Meine durchschnittlichen Uni-Ergebnisse haben mich in den Handel gebracht, da war ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort und konnte mich auf das Thema E-Commerce spezialisieren und dort unternehmerisch ausleben. Ich habe mich aber bei allen Stationen an Menschen orientiert, die ich cool, innovativ und offen fand, was in der damals recht jungen E-Commerce-Szene öfter der Fall war als im verstaubten Kataloghandelsmodell. Nachdem mich 2011 der ewige Kaufhofchef Lovro Mandac bei einer Tagung zur Zukunft des stationären Handels als „sogenannten Experten, auf den man nicht hören darf“ bezeichnet hat, war mir klar. Hier bin ich richtig!
  • Wer waren Ihre wichtigsten Förderer?
  • Neben meinen Eltern waren das in verschiedenen beruflichen Phasen ganz verschiedene Menschen. 1997 hat der Partyveranstalter Someshwar meinem besten Freund und mir den Einstieg in die Eventszene ermöglicht. Meine ersten Chefs bei Otto haben mir viel geholfen,die „Corporate Culture“ zu überwinden, aber wenn man ohnehin kein Interesse an einer Karriere hat, dann hilft einem eine gewisse Gelassenheit, durch die Höhen und Tiefen des Konzern-Alltags besser zu navigieren. Als ich dann 2008 Tarek Müller kennengelernt habe und mit ihm viele spannende Geschäftsmodelle ergründet habe, ist er superwichtig geworden.
  • Auf wen hören Sie?
  • Auf meine Frau. Sie hat mit meiner „Bubble“ gar nichts zu tun und bringt mit ihrer Perspektive aus dem Alltag als Kinderärztin viele wichtige Impulse, die ich so in der E-Commerce-Welt gar nicht wahrnehmen würde.
  • Was sind Eigenschaften, die Sie an Ihren Chefs bewundert haben?
  • Ich habe in meiner Karriere niemanden als Chef gesehen, aber ich bewundere Menschen, die sich in trägen Strukturen (Politik, große Unternehmen, Verwaltung) durchsetzen können, ihren Humor behalten und immer wieder bereit sind, für ihre Werte einzustehen.
  • Was sollte man als Chef auf keinen Fall tun?
  • Von den eigenen Werten und Prinzipien abweichen. Dann gibt es keine Orientierung mehr für die Mitarbeiter und am Ende nur noch Stillstand.
  • Was sind die Prinzipien Ihres Führungsstils?
  • Wir waren immer dann erfolgreich in unseren Gründungen, wenn wir gemacht haben. Machen in einer digitalen Welt bedeutet, dass viele Entscheidungen auf allen Ebenen getroffen werden müssen. Das geht mit einem Kontrollverlust einher, den ich persönlich sehr mag, aber der nur bis zu einer gewissen Größe funktioniert.
  • Wie wichtig war/ist Ihnen Geld?
  • Mir war Geld früher sehr wichtig, weil wir uns als Kinder auch mal zurückhalten mussten. Wir hatten natürlich trotzdem alles, was notwendig war. Mittlerweile kann ich mir das leisten, was ich möchte, ohne sparen zu müssen. Seitdem ist Geld kein Antrieb mehr.
  • Was erwarten Sie von Ihren Mitarbeitern?
  • Sehr viel: den Willen, exzellente Ergebnisse zu erreichen und der oder die Beste sein zu wollen. Neugier und Lernfähigkeit, um jeden Tag besser zu werden. Ihre Fähigkeiten und Zeit so einzusetzen, dass sie eine Inspiration für andere sind, um damit Spryker und alle Mitarbeiten positiv zu beeinflussen.
  • Worauf achten Sie bei Bewerbungen?
  • Im Bewerbungsprozess komme ich eher im letzten Drittel zum Einsatz, und da interessiert mich vor allem, was ehemalige Kollegen, Mitarbeiter, Geschäftspartner usw. zu dem/der Kandidaten/in zu sagen haben.
  • Was sind Ihre größten Stärken?
  • Gelassenheit (siehe oben), Humor, Neugier (ich interessiere mich für fast alles).
  • Was sind Ihre größten Schwächen?
  • Meine Orientierung am Pareto-Prinzip, das besagt, dass man mit 20 Prozent Aufwand 80 Prozent des maximal möglichen Ergebnisses erreichen kann. Und Französisch (die Lehrerin hatte recht).
  • Welchen anderen Entscheider würden Sie gern näher kennenlernen?
  • Dank meiner Podcasts Kassenzone und Commercetalks habe ich das Glück, viele Entscheider zu sprechen und zu befragen. Zurzeit würde ich gerne besser von Olaf Scholz verstehen, warum er nicht handelt, und von Robert Habeck, warum der Wind in Kanada besser ist als der Wind in Deutschland. Das macht alles so wenig Sinn!
  • Was denken Sie über Betriebsräte?
  • Ich glaube, dass Betriebsräte, wenn sie gut geführt werden, ein Mittel sind, um die Mitarbeitenden besser zu verstehen. Wenn man sie als Partner der Unternehmensleitung versteht, dann können die Ergebnisse besser werden.
  • Wann haben Sie zuletzt einen Fehler gemacht?
  • Ich hoffe, dass ich beruflich viele Fehler mache, weil das ein Zeichen dafür ist, dass meine Lernkurve intakt ist. Wie soll man sonst lernen? Das beginnt bei der Auswahl der falschen Marketingwerkzeuge über fehlerhafte Beförderungen bis hin zur Expansionsstrategie.
  • Welche Entscheidung hat Ihnen auf Ihrem Karriereweg geholfen?
  • Dem „einfach machen“-Gefühl zu folgen.
  • Wie viele Stunden arbeiten Sie in der Woche?
  • Ich versuche am Wochenende oft den Rechner auszulassen, um Zeit zum Nachdenken zu haben (oft über berufliche Themen). Wenn man meine Frau und Kinder fragt, dann arbeite ich irgendwie immer, aber solange wir auch Zeit für uns finden, die ungestört ist, dann ist das auch okay für mich.
  • Wie gehen Sie mit Stress um?
  • Siehe Gelassenheit. Wenn mich etwas stresst, leite ich alles ein, um die Ursache zu lösen, und wenn ich es nicht lösen kann, dann stresst es mich in der Regel auch nicht.
  • Wie kommunizieren Sie?
  • Sehr direkt, kurz und in der Erwartung, dass mein Gegenüber mitdenkt.
  • Wenn Sie anderen Menschen nur einen Rat für ihren beruflichen Werdegang geben dürften, welcher wäre das?
  • Mach das, was deine Lernkurve steil hält, und vermeide Idioten.
  • Und zum Schluss: Was wollten Sie immer schon mal sagen?
  • Rettet den Wald, esst mehr Spechte.