Hamburg. Bei “Entscheider treffen Haider“ spricht Umeswaran Arunagirinathan über die Flucht nach Hamburg Ärger mit Behörden und seine Karriere.

Wie kann Integration von Menschen mit Migrationshintergrund gelingen, wie könnte eine Einwanderungspolitik aussehen, die Deutschland so dringend braucht? Darüber hat Lars Haider in unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ mit Umeswaran Arunagirinathan gesprochen, der 1991 mit 13 Jahren allein nach Hamburg floh und hier lange von den Behörden das Gefühl vermittelt bekam, eigentlich nicht willkommen zu sein. Heute ist er Herzchirurg und „Spiegel“-Bestsellerautor („Grundfarbe Deutsch“). Ein Gespräch über das Gefühl, etwas zurückgeben zu wollen, über eine falsche Flüchtlingspolitik – und über Mangobäume. Auch zu hören unter www.abendblatt.de/entscheider

Das sagt Umeswaran Arunagirinathan über ...

… seine Flucht von Sri Lanka nach Hamburg:

„Meine Mutter hat mich nach dem Tod meiner älteren Schwester nach Deutschland geschickt, weil sie nicht noch ein Kind verlieren wollte. Ich war damals zwölf Jahre alt, war seit einem Jahr nicht in die Schule gegangen und hatte am Straßenrand Obst und Gemüse verkauft, in Sri Lanka herrschte Krieg. Meine Mutter hat einen Schlepper organisiert, der mich eigentlich innerhalb einer Woche nach Hamburg zu meinem Onkel bringen sollte. Aus dieser Woche wurden acht Monate, die mich unter anderem nach Singapur, Dubai, Togo und Ghana führten. Als ich endlich nach Deutschland kam, war ich 13 Jahre alt.“

… das Gefühl des Alleinseins:

„Es gab natürlich auf der Flucht Momente der Verzweiflung, ich habe viel geweint. Was mir geholfen hat, sind meine Gebete. Ich bin ein sehr gläubiger Mensch, ein Hindu, und meine Mutter hat mir geraten: Wenn du traurig oder verzweifelt bist, dann schließe deine Augen und bete zu den Göttern und unserer Gemeinde. Daraus habe ich meine Kraft geholt. Ich habe mich mit 13, als ich in Hamburg ankam, und nach alldem, was ich erlebt hatte, wie ein Erwachsener gefühlt. Zumal ich schon mit elf Jahren so viel gearbeitet hatte, dass das Geld, das ich damals verdiente, für die ganze Familie ausreichte.“

… das Gefühl, nicht willkommen zu sein:

„Ich hatte ganz lange nicht das Gefühl, dass man mich in Deutschland haben wollte, obwohl ich vom ersten Tag versucht habe, hier mein Bestes zu geben und mich zu integrieren. Am Anfang wurde meine Duldung wochenweise verlängert. Die Behörden haben mir nie signalisiert, dass ich in Hamburg willkommen sein könnte, ganz anders als die Menschen, mit denen ich in der Stadt zu tun hatte, meine Lehrerinnen und Lehrer oder meine Klassenkameraden. Ich hoffe, dass die Politik aus Geschichten wie der meinen lernt und begreift, was für eine Bereicherung Flüchtlinge sein können. Es muss und es wird nicht jeder gleich ein Herzchirurg werden, aber Deutschland braucht ja auch in anderen Bereichen viele, viele Arbeitskräfte. Aber wir müssen endlich die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sich Menschen aus anderen Ländern bei uns wirklich willkommen fühlen.“

… seine Zeit als Schulsprecher:

„Ich musste in meinem Leben sehr oft für Dinge kämpfen. Für mich sind Freiheit und Demokratie der pure Luxus. Wenn man in den Genuss eines Lebens, wie es in Deutschland möglich ist, kommt, ist es aus meiner Sicht eine Verpflichtung, sich einzubringen. Deshalb bin ich schon in der Schule aktiv geworden, war erst Klassen- und dann Schulsprecher in der Gesamtschule Mümmelmannsberg, bin später Mitglied der SPD geworden. Ich war Liebling aller Lehrer und Mitschüler, und trotzdem ist mein Asyl­antrag eines Tages abgelehnt worden. Zum Glück habe ich bis zum Abitur einen Sonderstatus erhalten, der mir erlaubte, in Deutschland zu bleiben. Und danach hat mein Lehrer Lorenz Köhler eine Bürgschaft übernommen, sodass ich Medizin studieren konnte.“

… sein Arbeitsverbot und die Frage, warum man die Flüchtlingspolitik nicht mit der Einwanderungspolitik verknüpft:

„Ich habe nie verstanden, warum ich mit 16 in Deutschland nicht arbeiten durfte, weil ich nur geduldet wurde. Ich war ehrgeizig und fleißig, hatte mit viel Mühe die deutsche Sprache gelernt, wollte arbeiten und mich selbst finanzieren, aber das war mir nicht erlaubt, wie absurd. Wie mir geht es vielen Menschen, die nach Deutschland kommen. Ich glaube deshalb, dass wir die Flüchtlingspolitik viel stärker mit der Einwanderungspolitik verknüpfen müssen. Wir haben einen großen Bedarf an Fachkräften, überall brauchen wir Menschen, insbesondere junge Menschen. Und die sind es ja, die zu uns nach Deutschland kommen und die wir im Zweifel wieder abschieben. Aber warum kann man den Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wird, nicht anbieten, dass sie im Land bleiben können, wenn sie hier eine Ausbildung machen oder einen Arbeitsplatz annehmen?“

… das beste Rezept für eine gelungene Integration:

„Arbeit ist der beste Weg, Menschen aus anderen Ländern in Deutschland zu integrieren. Nirgendwo lernt man die Gesellschaft und andere Menschen so gut kennen wie am Arbeitsplatz. Wenn man zu Hause sitzt und Sozialhilfe empfängt, so wie ich in den Jahren, in denen ich nicht arbeiten durfte, wird man auf jeden Fall kein Teil der deutschen Gesellschaft werden. Ich saß zum Beispiel mit meinem Onkel, meiner Tante und ihren beiden Kindern in einer 55 Quadratmeter großen Wohnung in Mümmelmannsberg, wir sprachen den ganzen Tag Tamil, sahen tamilisches Fernsehen. Das ist keine Integration. Arbeit fördert die Integration, weswegen Leute, die in Kanada einen Asylantrag stellen, sofort arbeiten dürfen. Die Idee dahinter ist, dass die Menschen schnell selbst für sich Verantwortung übernehmen und der Staat nicht lange für sie bezahlen muss.“

… die Wahrnehmung als Fremder und die Geschichte vom Mangobaum:

„Nach dem Ende meines Medizinstudiums wurde mir in einer Behörde gesagt, dass ich doch jetzt wieder in meine Heimat zurückkehren könne, um dort als Arzt zu arbeiten. Dabei wollte ich unbedingt deutscher Staatsbürger werden. Aber ich wurde trotzdem noch als Fremder wahrgenommen, nur weil ich nicht aussah wie ein Deutscher. Dabei war ich längst ein Deutscher geworden. Es ist wie mit einem Mangobaum, der zwar aus Sri Lanka stammt, aber in Deutschland Wurzeln geschlagen und groß geworden ist. Es ist immer noch ein Mangobaum, aber die Masse seiner Wurzeln und Äste sind längst deutsch.“

Umeswaran Arunagirinathan über Fehler, Kommunikation und Vorbilder

Was wollten Sie als Kind werden und warum?

Ich wollte Arzt werden, weil wir auf Sri Lanka im Krieg kaum Ärzte hatten und meine ältere Schwester durch mangelnde Versorgung als Kind verstorben ist.

Was war der beste Rat Ihrer Eltern?

Dankbar zu sein und Menschen, die einen geholfen haben, nie zu vergessen.

Wer war beziehungsweise ist Ihr Vorbild?

Mahatma Gandhi, Frau Merkel.

Was haben Ihre Lehrer/Professoren über Sie gesagt?

Sie haben mich als Menschen sehr geschätzt und gemocht. Hier Beispiele: „Herr Arunagirinathan hat eine besondere Lebensgeschichte, die für einen Menschen eine extreme Ausnahmesituation bedeutet. Sein Lebensweg und auch Erfolg sind in Mut, Lebenswillen, Optimismus, Offenheit, Freundlichkeit, aber auch Kritikfähigkeit begründet. Menschen wie Herrn Arunagirinathan sind wohltuend für unsere Gemeinschaft.“

Prof. Dr. med. Anno Diegeler

Chefarzt Klinik für Kardiochirurgie Rhön-Klinikum.

„Aufgrund der Aufgabe meiner herz­chirurgischen Tätigkeit habe ich nur relativ kurze Zeit mit Dr. Umes zusammen­gearbeitet, was ich sehr bedauere.

Mir fiele an dieser Stelle ein ganzer Strauß an Begriffen wie hohe soziale und kommunikative Kompetenz, ausgeprägte Fachlichkeit, Patientenorientierung etc. ein, um ihn als Menschen, Mitarbeiter und Herzchirurgen zu würdigen.

Prägnanter ist allerdings die Feststellung, dass man sich um die nachfolgende Generation Herzchirurginnen und Herzchirurgen nicht sorgen müsste, wenn nur ein Teil der Kolleginnen und Kollegen ähnlich positive Eigenschaften aufweisen würden.

Prof. Dr. med. Dieter Hammel

Ehemaliger Chefarzt Herzchirurgie Klinikum Links der Weser.

Wann und warum haben Sie sich für den Beruf entschieden, den Sie heute machen?

Eigentlich war es schon immer ein Traum, als Arzt zu arbeiten. Dass ich überhaupt Medizin studieren werde, war mir erst in Deutschland nach meinem Abitur klar.

Wer waren Ihre wichtigsten Förderer?

Mein Onkel aus Hamburg und Patenonkel, bzw. Klassenlehrer Lorenz Köhler.

Auf wen hören Sie?

Meine Mutter und Freunde.

Welchen Tipp Umeswaran Arunagirinathan für Chefs hat

Was sind Eigenschaften, die Sie an Ihren Chefs bewundert haben?

Ehrgeiz und unermüd­lichen Einsatz für die Klinik.

Was sollte man als Chef auf keinenFall tun?

Mitarbeiter vor dem Team kritisieren.

Was sind die Prinzipien Ihres Führungsstils?

Offenheit und Ehrlichkeit mit Loyalität­ und Verantwortung.

Wie wichtig war/ist Ihnen Geld?

Sehr wichtig, um es mit anderen Menschen teilen zu können.

Was erwarten Sie von Mitarbeitern?

Ehrlichkeit und Teamfähigkeit.

Welchen Prominenten Umeswaran Arunagirinathan gern befragen würde

Worauf achten Sie bei Bewerbungen?

Dass man eine Persönlichkeit in der Bewerbung wiederfindet.

Duzen oder siezen Sie?

Meist duzen.

Was sind Ihre größten Stärken?

Dankbarkeit, sozial, verantwortungsvoll und Zuverlässigkeit.

Was sind Ihre größten Schwächen?

Ungeduldig sein und alles auf einmal erledigen zu müssen.

Welchen anderen Entscheider würden Sie gern näher kennenlernen?

Gregor Gysi wegen seiner wunderbaren Reden.

Was würden Sie ihn fragen?

Ob er seine Reden selbst schreibt?

Was denken Sie über Betriebsräte?

Ich war selbst Mitglied im Betriebsrat. Ein sehr wichtiges Organ.

So erholt sich Umeswaran Arunagirinathan vom Alltagsstress

Wann haben Sie zuletzt einen Fehler gemacht?

Im Frühjahr 2022.

Welche Entscheidung hat Ihnen auf Ihrem Karriereweg geholfen?

Mobil, um sein Ziel zu erreichen, und nicht von einem Ort abhängig sein.

Wie viele Stunden arbeiten Sie in der Woche?

Ca. 60 Stunden.

Wie viele Stunden schlafen Sie (pro Nacht)?

Versuche 7 Stunden zu schlafen, gelingt mir leider nicht immer.

Wie gehen Sie mit Stress um?

Ich mache Sport als Ausgleich. Joggen um die Alster.

Wie kommunizieren Sie?

Meist per Telefon, bzw. persönlich.

Wie viel Zeit verbringen Sie an Ihrem Schreibtisch?

Ich verbringe selten Zeit am Schreibtisch, eher im OP oder auf der Station. Und wenn ich schreibe oder Mails beantworte, sitze ich oft in der Küche.

Wenn Sie anderen Menschen nur einen Rat für ihren beruflichen Werdegang geben dürften, welcher wäre das?

Sehr wichtig ist, aktiv auf Menschen zuzugehen und Hilfe anzufordern.

Was unterscheidet den Menschen von dem Manager Arunagirinathan?

Der Manager vergisst manchmal die Menschlichkeit.

Und zum Schluss: Was wollten Sie immer schon mal sagen?

Lass uns, egal wo wir geboren sind, welche Religion wir haben und wie wir aussehen oder welche sexuelle Orientierung wir haben, die Grundfarbe Deutsch annehmen und uns gemeinsam in einer Gesellschaft leben.