Hamburg. Der Kran eines Schiffes war 2020 mit einer Stromleitung kollidiert. Jetzt hat der Prozess gegen den Kapitän und zwei Lotsen begonnen.
Vor fast genau drei Jahren drehten drei Männer, mutmaßlich fahrlässig, Wilhelmsburg den Saft ab. Ihr dreiteiliger Schleppverband hatte einen Bagger geladen, dessen 63 Meter hoher Ausleger kurz vor der Retheklappbrücke mit einer über das Wasser gespannten 110-Kilovolt-Hochspannungsleitung kollidierte und sechs Leitungsseile durchtrennte. Stundenlang fiel im Stadtteil der Strom aus.
Vor einer Zivilkammer des Amtsgerichts hat Stromnetz Hamburg die Verantwortlichen und die Eigentümerin des Schleppverbandes auf Schadenersatz verklagt; der Streitwert liegt bei 368.000 Euro, ein erster Termin war im September. Am Montag begann die strafrechtliche Aufarbeitung. Einen Strafbefehl, um das Verfahren ohne Verhandlung zu beenden, hatten die Angeklagten zuvor abgelehnt. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Trio vor, kollektiv versagt zu haben an jenem 7. Januar 2020, indem es die Gesamthöhe des Baggers mit seinem Ausleger vor Fahrtantritt nicht überprüft hatte.
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Angeklagt hat sie die drei Männer wegen fahrlässiger Gefährdung des Schiffsverkehrs: zuvorderst Schiffsführer Heinz V. (79)., der nach eigenen Angaben auch als Rentner noch gelegentlich Fahrten übernimmt, weil es sonst zum Leben nicht reicht. Er habe alle Papiere. „Suchen Sie mal jemanden, der überall fahren darf“, sagt er zum Amtsrichter Arno Lehmann.
Auf dessen präzise Fragen antwortet er ausweichend oder schwammig. Gestern konnte er nicht einmal sein Alter nennen. Er müsse rechnen, er sei 1943 geboren. „Nächstes Jahr werde ich 80“, antwortet Heinz V. nach vergeblichen Anläufen des Richters. Er wird nächstes Jahr 81. Da werden Erinnerungen wach: Im Prozess um den Schubverband „Paula“, der im Dezember 2014 gegen die Autobahnbrücke der A 1 krachte (Schaden: drei Millionen Euro), konnte der 75 Jahre alte angeklagte Lotse ebenfalls nicht sein Alter nennen. Später wurde ihm eine dauerhafte Verhandlungsunfähigkeit attestiert.
Angeklagte schweigen zunächst vor Gericht
Als zur Beratung des Kapitäns verpflichtete Seelotsen standen Heinz V. am 7. Januar 2020 Markus J. (56) und Jens T. (53) zur Seite. Während der Schiffsführer sich am Montag zu seinen persönlichen Verhältnissen äußerte, schwiegen die beiden anderen Angeklagten dazu. Vorerst. Alle drei behielten sich zu einem späteren Zeitpunkt „Angaben zur Sache“ vor.
Kurios mutet indes die Genese des Unfalls an, zumal die Fahrt des Verbandes – ein Schlepper voran, die Hubinsel „Simone“ mit dem Bagger darauf mittenmang, hinten ein Schubboot – klar in die Rubrik Routineeinsatz fiel. An diesem Tag sollte der Verband einen Raupenbagger vom Reiherstieg nach Blankenese bringen. Nach den Ermittlungen soll das Trio jedoch vor Fahrtantritt nicht die Gesamthöhe des Kranauslegers überprüft, sondern nur geschätzt haben – auf 40 Meter. Die Anklage wirft den beiden Seelotsen außerdem vor, nach Beginn der Fahrt „keinen sorgfältigen Ausguck nach den Hochspannungsleitungen“ gehalten zu haben.
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Der Unfall passierte kurz vor der Durchfahrt vom Reiherstieg zur Rethe. 63 Meter ragte der Kranausleger über dem Wasserspiegel auf, als er um 12.10 Uhr in die östlich der Brücke gelegene Starkstromleitung krachte und sechs von acht Leitungsseilen kappte. Üblicherweise werden große Kranausleger für solche Transporte in einem 30-Grad-Winkel abgesenkt, damit sie problemlos alle Durchfahrten im Hafen passieren können. Die maximale Durchfahrtshöhe im Bereich von Freileitungen im Hafen, die nach Angaben des Richters von Faktoren wie der Temperatur abhängt, soll im Verlauf des Verfahrens zur Sprache kommen.
Man muss von Glück sprechen, dass am 7. Januar niemand verletzt wurde, weder die Angeklagten noch drei weitere Männer an Bord der Hubinsel, die als Zeugen gehört werden sollen. Die durchtrennten Leitungen fielen herab, einige ins Wasser, andere aufs Deck, wo sie hochgefährliche „Lichtbögen“ erzeugten und die Männer gefährdeten. Auf andere Weise drastisch waren die Folgen für Zehntausende Wilhelmsburger: Sie mussten einen mehrstündigen Blackout überstehen. Der Schaden am Verband betrug 87.000 Euro, der an den Freileitungen 600.000 Euro.
Immer wieder rammen Schiffe Brücken im Hamburger Hafen
In der Verantwortung sehen sich die Angeklagten nicht. Sein Mandant sei zum Tatzeitpunkt gar nicht Schiffsführer gewesen, sagt der Verteidiger von Heinz V. Ein Mitarbeiter des Schleppunternehmens werde das als Zeuge bestätigen – und auch, dass Heinz V. nicht die Gesamthöhe, der „Air draft“, des Kranauslegers mitgeteilt worden sei. Der Angeklagte Jens T. wiederum lässt seinen Anwalt erklären, dass sein Job eben nicht der eines den Kapitän beratenden Seelotsen gewesen sei – es werde dazu noch Beweisanträge geben. Klare Sache: „Ein Teil der Hauptverhandlung wird darin bestehen, zu klären, wer für was zuständig war und wer welche Position innehatte“, sagt Richter Lehmann.
Immer wieder zeigt sich, welch verheerende Folgen ein Fehlverhalten an Bord von Binnenschiffen hat. Der Unfall am 7. Januar sorgte dafür, dass in Wilhelmsburg die Lichter ausgingen – für einige Stunden. Nachdem Ende Januar 2022 ein Baggerschiff – der Schiffsführer war alkoholisiert – mit der Freihafenelbbrücke kollidiert war, vergingen sogar vier Monate, bis das beschädigte Bauwerk für Autos wieder freigegeben werden konnte. Nur einen Tag nach dieser Kollision, am 30. Januar, rammte das Binnenschiff „Heavy Metal“ erst die Brücke des 17. Juni und dann die Alte Harburger Süderelbbrücke. Ein Alkoholtest beim 62 Jahre alten Schiffsführer ergab einen Wert von 1,46 Promille.