Hamburg. Franz Wauschkuhn glaubt bei seinem Unfall an einen technischen Defekt. Andere vermuten, dass die Technik der Arztpraxen Auslöser ist.

Franz Wauschkuhn ist körperlich und geistig das, was man „topfit“ nennt. Jedenfalls für einen 77-Jährigen. Der promovierte Volkswirt, der bis zum vergangenen Jahr die Öffentlichkeitsarbeit einer namhaften Hamburger Bank mit betreute, sitzt täglich über schwergewichtigen Wälzern, liest und schreibt.

Trotz seines fortgeschrittenen Alters arbeitet er an seiner Habilitationsschrift, seine vielfältigen Kontakte pflegt er regelmäßig. Franz Wauschkuhn ist aber auch ein Unfallverursacher.

Waitzstraße: Franz Wauschkuhn hält sich für unschuldig am Unfall

Am 20. Dezember 2022 verlor er beim Ausparken an der Waitzstraße die Kontrolle über seinen SUV. Das Auto scherte nach rechts aus, riss einen Poller um und rollte gegen Tische und Stühle des viel besuchten Cafés Newport. Für Wauschkuhn, seit fast 60 Jahren unfallfrei unterwegs, ist der Crash so rätselhaft, dass er jetzt in die Öffentlichkeit geht, um das Ganze aus seiner Sicht zu schildern. Er ist damit der Erste, der an der Waitzstraße einen Unfall verursacht hat und sich für ein Gespräch zur Verfügung stellt. Das Abendblatt traf Franz Wauschkuhn am Ort des Geschehens.

Am 20. Dezember war Franz Wauschkuhn mit seinem SUV  über einen Poller und dann gegen Tische und Stühle des Cafés gefahren.
Am 20. Dezember war Franz Wauschkuhn mit seinem SUV über einen Poller und dann gegen Tische und Stühle des Cafés gefahren. © Michael Arning | Michael Arning

Alleine rund 25 spektakuläre „Schaufensterunfälle“, bei denen ein- oder ausparkende Fahrerinnen oder Fahrer vor Ort gegen die angrenzenden Ladengeschäfte krachten und zum Teil sogar die Fensterfronten durchbrachen, haben sich an der beliebten „Waitze“ in den vergangenen Jahren ereignet. Einfache Auffahrunfälle und sonstige Blechschäden werden kaum noch registriert. Warum Wauschkuhn seine Geschichte nun öffentlich macht, liegt auf der Hand: Er ist sich keiner Schuld bewusst.

Und: Es ärgert den vitalen Senior, wie pauschal über nicht mehr junge Autofahrerinnen und -fahrer vielfach geurteilt wird. Aus seiner Sicht würden die Unfälle viel zu schnell mit dem Alter und der allgemeinen Fahrtüchtigkeit der Betroffenen erklärt. „Technisches Versagen bei den Autos wird dann eigentlich immer ausgeschlossen“, wundert sich Wauschkuhn, „das verstehe ich nicht.“

Unfallfahrer Wauschkuhn sieht keine Schuld bei sich

Laut Wauschkuhn hätten am 20. Dezember bei seinem Auto nach dem Anfahren plötzlich die Bremsen versagt. „Ich habe diesen Wagen seit 14 Jahren, bin damit rund 250.000 Kilometer gefahren, zeitweise täglich zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein gependelt“, berichtet er. „Nie gab es Probleme.“

Dass ihn Intelligenz und Belesenheit nicht automatisch vor plötzlichen Blackouts oder Tagträumen mit kurzzeitiger Unaufmerksamkeit schützen, weiß auch Wauschkuhn. „Das gibt es natürlich bei jedem Menschen“, sagt er nachdenklich, „und der Typ ,zerstreuter Professor‘ ist ja keine Schimäre.“

Doch Wauschkuhn, der jahrelang Tageszeitungsjournalist war, ist sich sicher, alles richtig gemacht zu haben. Er wohnt in der Nähe der Waitzstraße, in deren Cafés er gerne häufiger Kaffee trinkt und Zeitung liest. Die Straße kenne er schon seit seiner Kindheit. Er sei mit den Örtlichkeiten bestens vertraut, lasse den Wagen aber meistens stehen und sei dort nur noch selten mit dem Auto unterwegs. Worauf Wauschkuhn hinauswill: Gerade weil er nicht mehr „mal eben schnell“ durch die Waitzstraße fahre, sei er dort dann besonders vorsichtig und umsichtig.

Waitzstraße: Wauschkuhn glaubt an technischen Defekt

An dem verhängnisvollen 20. Dezember hatte Franz Wauschkuhn einen Teppich für eine Bekannte aus der Reinigung geholt – unter Stress sei er überhaupt nicht gewesen. Was beim Ausparken geschah, schildert er so: „Der Wagen machte exakt in der Sekunde einen Satz nach vorn über die Fahrbahn, in der ich den Hebel auf D (Drive) drückte. Die Fußbremse versagte, und ich konnte nur noch die Handbremse ziehen und gezielt auf den Poller zusteuern, der den Wagen dann abbremste.“

Offen berichtet Wauschkuhn, dass er sich unmittelbar nach dem Unfall vor Ort routinemäßig einer polizeilich-medizinischen Prüfung unterziehen musste. „Dabei wurde festgestellt, dass ich geistig gesund und reaktionsschnell bin.“ Um zu klären, ob tatsächlich ein technischer Defekt hinter dem rätselhaften Geschehen steckt, steht das Auto seit dem Unfall zur technischen Untersuchung bei der Polizei, Franz Wauschkuhn wartet gespannt auf das Ergebnis.

ADAC-Sprecher Christian Hieff „glaubt“ Franz Wauschkuhn, sieht dessen Überlegungen aber skeptisch. „Die Bremse funktioniert rein mechanisch beziehungsweise hydraulisch­“­, erläutert Hieff. Systeme, die völlig auf eine hydraulisch/mechanische Verbindung zwischen Pedal und Bremse verzichten (Brake-By-Wire Systeme) gebe es bei Serienmodellen nicht. „Ein plötzliches, totales Bremsversagen kann daher nur eine hydraulische/mechanische Ursache haben, die auch von einer Werkstatt erkannt würde“, sagt Hieff.

Sorgt Technik von Arztpraxen für technische Störungen in der Waitzstraße?

Es könne zum Beispiel ein Fehler im hydraulischen System mit einem dann „durchfallenden“ Bremspedal aufgrund eines plötzlichen Druckverlusts als Ursache in Betracht kommen. „Aber dann würde die Bremse dauerhaft nicht oder nur eingeschränkt funktionieren“, so Hieff.

Auch einer anderen Theorie, die im Umfeld der Waitzstraße immer mal wieder die Runde macht, erteilt ADAC-Sprecher Hieff eine Absage. Ist es möglich, so mutmaßen manche, dass die hoch technisierten Geräte der vielen Arztpraxen vor Ort die Bordelektronik einzelner Autos stören? „Technische Geräte aller Art unterliegen strengen Grenzwerten“, sagt Hieff, „und die elektromagnetischen Strahlungen sind zu gering, um Störungen hervorzurufen – schon gar nicht über größere Distanzen und durch Betonwände.“ Und selbst wenn es doch so sein sollte, wäre die Bremse davon nicht betroffen.

Christian Hieff gibt Franz Wauschkuhn in einem Punkt recht: „Es ist ein Irrglaube, dass ein Augenblicksversagen wie das Verwechseln von Gas- und Bremspedal nur hochbetagten und eingeschränkten Menschen passiert“, so der ADAC-Sprecher. Zwar würden diese Unfälle als klassische „Rentnerunfälle“ angesehen, doch verwechselten nicht nur Senioren Bremse und Gas. „Und tatsächlich sind so ziemlich alle Autofahrer nach solch einem Unfall felsenfest davon überzeugt, dass die Bremse nicht funktioniert hat.“

Waitzstraße: Unfallfahrer überreichte Café-Besitzer einen Blumenstrauß

Franz Wauschkuhn wartet weiter auf das Ergebnis der Untersuchung. Dabei bewies er Stil: Vor wenigen Tagen überreichte er dem Betreiber des vom Unfall betroffenen Cafés Newport, Roland Sili, einen großen Blumenstrauß und entschuldigte sich für die Unannehmlichkeiten.

Unterdessen ist eine 87 Jahre alte Autofahrerin am Montag in Marmstorf mit ihrem Mercedes in das Haus ihrer Nachbarn gefahren. Laut eines Polizeisprechers hatte sie Gas und Bremse verwechselt. „Die Autofahrerin wollte eigentlich in der eigenen Hauseinfahrt parken.“ Dabei verwechselte sie offenbar die Pedalen, fuhr schließlich mit ihrem Wagen einen Abhang hinunter und prallte gegen das Nachbarhaus. Dort wurden eine Mauer und die Eingangstür beschädigt.