Hamburg. Valery Kitz beschäftigt sich auf der Intensivstation am Agaplesion Diakonieklinikum Hamburg intensiv mit dem Thema Sterben.
Der Tod gehört zum Leben. Auf der Intensivstation eines Krankenhauses gilt das umso mehr. Man könnte sogar sagen, dort gehört das Sterben zum Arbeitsalltag. Was allerdings nicht heißt, dass die Mitarbeiter alle gleich damit umgehen. Ein Todesfall ist auch für das Pflegepersonal immer eine Extremsituation. Wie nehmen Pflegende auf einer Intensivstation den Sterbeprozess wahr? Mit dieser Frage setzt sich Fachkrankenpfleger Valery Kitz auseinander.
Der 36-Jährige arbeitet seit zehn Jahren in der Intensivpflege am Agaplesion Diakonieklinikum Hamburg in Eimsbüttel. Seit seinem Masterabschluss in erweiterter klinischer Pflege besteht ein Teil seiner Arbeit darin, den Bereich der Pflege auf einer Intensivstation weiterzuentwickeln und Mitarbeiter zu schulen, auch in ethischen Themen. Ein Schwerpunkt liegt auf dem Thema Sterben.
Sterbebegleitung ist für Pflegekräfte in Hamburger Krankenhäusern wichtiges Thema
„Ich habe mich in meiner Masterarbeit mit der Wahrnehmung des Sterbeprozesses durch Pflegende auf der Intensivstation beschäftigt und untersucht, wie sie diesen umsetzen und ausgestalten, aber auch, wie dieser sich auf das berufliche Selbstverständnis auswirkt“, sagt Valery Kitz. Entscheidende Erkenntnisse: Die Sterbebegleitung werde von den Pflegenden als einer der wichtigsten Teile ihres Berufes wahrgenommen – und sie merken, dass ihre Arbeit etwas bewirkt.
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„Der Satz: ,Wir können nichts mehr tun’ ist generell nicht richtig“, sagt Kitz. Denn man könne auch in einem Sterbeprozess sehr viel für den Patienten und die Angehörigen tun. Wenn es die ärztliche Entscheidung gebe, intensivtherapeutische Maßnahmen nicht mehr fortzuführen, gehe es darum, den Betroffenen palliativ adäquat zu betreuen. So eine Versorgung sei immer sehr individuell, unbedingt dazu gehöre aber eine intensive Symptomkontrolle.
Die Angehörigen zu begleiten ist ein wichtiger Teil der Arbeit
„Wenn ein Patient im künstlichen Koma liegt, kann er uns natürlich nicht sagen, ob er Schmerzen hat. Wir achten auf körperliche Symptome, also auf Unruhezeichen, die diese Menschen trotz eines Komas zeigen“, sagt Kitz. Die Medikamente für das künstliche Koma würden generell sehr niedrig gehalten, um einen Patienten so wach, angstfrei, schmerzfrei und kooperativ wie möglich zu machen, da dieses den Heilungsprozess beschleunige.
Doch auch, wenn eine Person im Sterben liege, befinde sie sich nicht in einem tiefen Koma. „Wenn jemand grimassiert, sich anspannt, wenn ich ihn berühre, dann sind das Schmerzäußerungen, auf die wir reagieren können“, sagt der Fachkrankenpfleger. Ebenso sei es wichtig, mit den Personen zu sprechen und Ruhe auszustrahlen. Auch das komme bei den Patienten an. Wenn man wisse, dass der Patient beispielsweise Schmerzen im Rücken, in der Hüfte oder der Schulter habe, versuchten Kitz und seine Kollegen, ihn entsprechend anders zu positionieren und die betroffenen Bereiche zu entlasten.
Ein weiterer, ganz wichtiger Baustein ihrer Arbeit sei zudem die Betreuung und Begleitung der Angehörigen. „Wir müssen für sie da sein und letztlich auch in dieser Situation auffangen“, sagt Valery Kitz. Eine Arbeit, die stets dazu gehört und doch weit über das Pflegerische hinaus geht.
Zur Verarbeitung gehört der Austausch unter den Kollegen und mit Ärzten
Kitz und seine Kollegen versuchen, die Situation für die Betroffenen so „angenehm“ wie möglich zu gestalten. „Natürlich ist eine Umgebung in der Intensivstation mit Geräten und ohne Privatsphäre keine schöne Umgebung, um zu sterben“, sagt Kitz. „Da müssen wir gar nicht drumherum reden.“ Trotzdem halte er es für sinnvoll, die Patienten in der Regel auf der Station zu belassen, auch weil es den Betroffenen und Angehörigen gut tue, Ärzte, Pflegekräfte und Umgebung bereits zu kennen.
„Wir versuchen dann, den Patienten vielleicht noch in ein Einzelzimmer zu verlegen oder alleine in einem Doppelzimmer unterzubringen, stellen den Angehörigen Getränke zur Verfügung und bieten ihnen an, ein freies Bett in dem Zimmer zu nutzen“, sagt Kitz, dessen Kollegin zudem eine Kiste mit Utensilien zur Sterbebegleitung zusammengestellt hat, in der sich unter anderem dimmbare Lichter, LED-Kerzen und eine Tischdecke befinden.
Angehörige sind natürlich ganz anders betroffenen, doch auch die Pflegekräfte müssen damit umgehen, wenn ein Mensch im Sterben liegt. Und zwar immer wieder. Wie schaffen sie das? „Das ist natürlich ganz unterschiedlich und hängt von verschiedensten Faktoren ab“, sagt Kitz. „Grundsätzlich ist Kommunikation am wichtigsten, mit den Pflegenden untereinander, aber auch interprofessionell, also gemeinsam mit den Ärztinnen und Ärzten. Da findet schon eine Aufarbeitung statt.“
In manchen Fällen wird das Ethikkomitee einbezogen
Wie sehr einen ein Tod beschäftige, müsse gar nicht davon abhängen, wie lange man einen Patienten bereits betreut habe. Wenn Beispielsweise ein junger Mensch auf eigenen Beinen in die Klinik komme und binnen weniger Stunden versterbe, zum Beispiel aufgrund einer sich rasch ausbreitenden, nicht in den Griff zu bekommenden Infektion, könne das auch für die Pflegekräfte sehr schwierig sein.
Schwer sei es aber auch in den Fällen, in denen Patienten lange auf der Station sind und sich deren Zustand nach kurzen Besserungsphasen immer wieder verschlechtere und Komplikationen auftreten. Fährt man mit der Intensivtherapie fort oder zieht man sie lieber zurück – was ist ethisch richtig? Auch mit solchen Fragen müssen sich Pflegekräfte zwangsläufig auseinandersetzen – und sei es nur, weil die Mitarbeiter eines Teams eventuell unterschiedliche Ansichten haben. Bei Bedarf werde in solchen Fälle das Ethikkomitee des Diakonieklinikums einbezogen.
Das Thema nicht mit nach Hause zu nehmen, ist oft nicht leicht
Auch wenn auf einer Intensivstation natürlich nicht täglich gestorben wird, spricht Valery Kitz regelmäßig mit seinen Kollegen über das Thema. Er habe mittlerweile einen ganz guten Weg gefunden, sich „abzugrenzen“ und es als Teil seines Berufes zu sehen, den er möglichst nach Feierabend nicht mit nach Hause nimmt. Doch auch nach zehn Jahren sei das in vielen Fällen anspruchsvoll – und auch anstrengend. „Sich immer wieder mit dem Thema auseinanderzusetzen ist schon herausfordernd“, sagt Kitz.
Dennoch würde er sich immer wieder für seinen Beruf entscheiden – auch angesichts der weiteren alltäglichen Herausforderungen in der Krankenpflege. „Ein großer Pluspunkt dieses Berufs ist seine Vielfältigkeit. Man hat mit einer Ausbildung wahnsinnig viele Möglichkeiten“, sagt Valery Kitz, der den Schichtdienst auch weniger als Belastung empfindet und die Flexibilität schätzt. So könne er auch mal unter der Woche tagsüber seine zwei kleinen Kinder betreuen. Und sich für eine Zeit nur um das pralle Leben kümmern.