Der Mediziner hinterlässt ein insolventes Geflecht aus Diagnosekliniken und Praxen. Keiner weiß, wo sich Professor Auffermann aufhält.
Die rote Backsteinvilla liegt im besten Viertel von Bergedorf. Hellgrauer Kopfstein, bestens gepflegt, pflastert die schmale Straße den Hang hinauf. Die braunen Hecken wirken selbst im Winter wie mit der Nagelschere geschnitten. Von vielen Anwesen blicken Kameras auf Passanten und Besucher herab. In der Einfahrt zur rasenüberdachten Tiefgarage dieses eleganten Objekts steht der Kleintransporter eines Handwerkers. Nein, der Hausherr ist nicht da. "Wohnt nicht mehr hier."
1935 wurde die Villa erbaut, vor zwei Jahren ließ der Eigentümer das zweigeschossige Gebäude mit ausgebautem Dach und 400 Quadratmeter Wohnfläche zum Niedrigenergiehaus umbauen. Auf dem silbernen Türschild steht nur noch ein Name. Es ist der von Janina G. (Name geändert). Sie ist Ernährungsberaterin, Fitnesstrainerin, und, zumindest zeitweise, Partnerin eines der schillerndsten Ärzte, den Deutschland je gesehen hat.
Prof. Dr. Wilhelm Wolfgang Friedrich Auffermann hat gerade eine gigantische Pleite hingelegt. Das Firmengeflecht des international renommierten Radiologen unter dem Namen Hanserad musste Zahlungsunfähigkeit anmelden. Gleich zwei Insolvenzverwalter kümmern sich nun um den Betrieb der Diagnosekliniken in Hamburg, München und an weiteren Standorten.
In Kiel und in Hamburg ermitteln Staatsanwälte wegen des Verdachts des Abrechnungsbetrugs. Kernspin-Papst Auffermann soll Kontrastmittel für Patienten falsch abgerechnet haben. Intern beziffern die Kontrolleure der Krankenkassen den Schaden auf rund 28 Millionen Euro.
Die Staatsanwälte hätten da ein paar Fragen. Doch Auffermann ist verschwunden. Nicht spurlos, denn er schickt SMS an Mitarbeiter, legt Fährten, wo er sein könnte: Nach einem Unfall in Berlin im Krankenhaus, hieß es wenige Tage vor der amtlichen Insolvenz. St. Petersburg, Russland, sollte dann sein neues Domizil sein. Aus Südafrika soll ein Weihnachtsgruß per Handy gekommen sein. In Berlin kann er bei Verwandten untertauchen, heißt es. Er ist ganz sicher in Dubai, sagen Kenner der Hanserad-Verhältnisse.
Wie kann es dazu kommen, dass ein zum Erfolg geborener Arzt und Medizinunternehmer Millionen verdient und verliert?
Auffermann entstammt einer Duisburger Medizinerfamilie. Klavierunterricht, Abitur, Studium - er sprintet überall glatt durch. Nur 88 Seiten hat seine Doktorarbeit 1983 an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen über "Transvesikale schienenlose Anti-Refluxplastik-Indikation". Er veröffentlicht Aufsätze in namhaften Fachzeitschriften, arbeitet an den Unis in Aachen und Berlin (FU), in San Francisco. Zehn Jahre, nachdem er den Dr. med. erlangt hat, gründet er Hanserad, expandiert, hält Vorträge, umgarnt internationale Patienten.
Anfang 2008 verleiht ihm die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg den Professorentitel. "Kein echter Professor ist das", mäkelt ein Hamburger Kollege. Doch der Titel zählt. Die HAW rühmt Auffermann als großen Experten, der die Geräte seiner Firmen für Studenten zur Verfügung stellt, den Nachwuchs fördert.
Vor eineinhalb Jahren jammerte Auffermann, dass Regeln für Ärzte seine Schaffenskraft behindern. "Das Standesrecht bremst die unternehmerische Initiative", klagt er in der "Wirtschaftswoche". Um seine Approbation nicht zu gefährden, müsse er mehr medizinisch arbeiten, als sich als Kaufmann zu betätigen. Sein Imperium lenkt er am Rande des Erlaubten per Dekret. Er boxt seinen Willen durch, bis er als Medizinunternehmer groß und größer und als Mensch zur "One-Man-Show" wird, wie ein Kollege sagt. "Ein guter Mediziner mit interessanten Ideen - aber menschlich nicht zu ertragen", sagt ein Hamburger Topmanager im Gesundheitswesen. Er lud Auffermann mal zu einer kleinen Expertenrunde privat ein. Heute schlägt er drei Kreuze, dass man keine geschäftliche Beziehung einging.
Dass Russen und Araber die interessantesten, weil zahlungskräftigsten Kunden sind, hat Auffermann früh erkannt. Hightech-Radiologie, modernes Röntgen mit Computer-Resonanz-Tomografen, mikrometerfeine Lasermesser für Krebstumoren und ein Begleitservice für Oligarchen und Scheichs - das hat er im Portfolio. Dabei gehören niedergelassene Radiologen in Deutschland ohnehin zu den Topverdienern aller Ärzte. Sie kommen im Schnitt auf etwa 400.000 Euro Jahreseinkommen, ein Hausarzt auf weniger als ein Viertel. Technik zahlt sich aus. Mit gewaltigen Praxisgeräten und bunten Ausdrucken vom Innenleben des Menschen lässt sich mächtig Eindruck schinden.
Doch Auffermann und seine Teams arbeiten tatsächlich erfolgreich. "Die Praxen machen gute Arbeit. Aber bei ihm stand immer sein eigenes wirtschaftliches Interesse im Vordergrund", sagt ein renommierter Hamburger Professor und wundert sich: "So ein Unternehmen wie Hanserad kann eigentlich gar nicht pleitegehen. Das gibt's doch nicht."
Auffermann kauft die Diagnoseklinik München. Dort gehen Fußballhelden wie Oliver Kahn, arabische Scheichs und ihre Frauen ein und aus. Überhaupt ist Bayerns Hauptstadt das Mekka der Medizintouristen aus dem Nahen Osten. Auffermann baut in seiner neu erworbenen Schwabinger Klinik eigene Wohlfühlbereiche für die zahlungskräftige Kundschaft.
"Bei den Scheichs steht er unter Naturschutz", sagt ein Beobachter über Auffermann. In Dubai zählt medizinischer Sachverstand aus Deutschland. Er kann helfen, arabische Ärzte auszubilden, die Emirate zum Medizinzentrum des gesamten Wirtschaftsraums zu machen.
Prinzessin Haya Bint al-Hussein ist die Gattin von Dubais Herrscher Mohammed Bin Raschid al-Maktoum. Ihre Hoheit hat im November den Grundstein für ein Millionenprojekt einer neuen Klinik von Dr. Sulaiman al-Habib gelegt. Schwerpunkte des 200-Betten-Baus in der Nähe des Flughafens sind die Herzchirurgie und eine moderne Radiologie. Der US-Konzern General Electric sowie die Firmen Roche Laboratories und Dräger sind mit im Boot. In Dr. al-Habibs Center ist auch ein deutscher Arzt registriert: Auffermann.
Für das Abendblatt war er nicht zu sprechen. Eine Mitarbeiterin der Dubai Healthcare City, die Auffermann als behandelnden Arzt führt, verleugnete ihn am Telefon. Er sei aber da und werde zurückrufen. Termine könne man über das Internet vereinbaren.
In der Firmengruppe Hanserad stehen nun rund 300 Arbeitsplätze auf dem Spiel, darunter die von Ärzten, Sprechstundenhilfen, Abrechnungsmitarbeitern. Privat verfügt Auffermann über ein beträchtliches Immobilienvermögen. "Mindestens 20 Objekte in Bergedorf und Wentorf", sagt ein ehemaliger Hausverwalter. "Ganze Straßenzüge", so ein Hausmeister, der bei Auffermann auch privat kleine Arbeiten erledigt haben will.
Bei seinem übereilten Abflug aus Hamburg ließ Auffermann seine Frau, eine Ärztin, Kinder und die Geliebte zurück. Ist die Scheidung schon durch, oder hat er den Termin platzen lassen? Was mit dem gemeinsamen Vermögen der Ehepartner ist, ob es in die Insolvenzmasse geht - ungewiss. Selbst die Krankenkassen, die offenbar um Millionen betrogen wurden, müssen sich in die Schlange der Gläubiger stellen.
Seine neue Partnerin, deren Name an der Bergedorfer Villa prangt, war mit Auffermann noch im Sommer 2012 auf Vortragstour. In Berlin referierte sie neben ihm über den zweiten Gesundheitsmarkt: "Wellness, Fitness und noch viel mehr". Die inoffizielle Mitarbeiterin des schillernden Professors hatte eine Art Chefbüro in einer Praxis. Was wusste sie? Kein Kommentar.
Mitarbeiter berichten, dass Auffermann aus dem laufenden Betrieb seine Neuerwerbungen finanzierte. Businesspläne, komplexe Kreditvereinbarungen mit Banken - das war nicht sein Ding. Mit der Diagnoseklinik am Stephansplatz in der Hamburger City hat er sich verhoben. Dort sollte ein Diagnosezentrum entstehen, alles aus einer Hand, vollgestopft mit Hightech. Jetzt ruht der Ausbau. Der Praxisbetrieb geht auf gebremstem Niveau weiter.
"Hier wusste jeder, dass bei den Abrechnungen optimiert wurde. Er brauchte das Geld für sein Projekt am Stephansplatz", sagt eine Angestellte der Diagnoseklinik. Beim Zahlungsverkehr rund um die Kontrastmittel zu mauscheln war offenbar das Geschäftsmodell. So stellen es Mitarbeiter dar. So werfen es ihm die Ermittler vor.
Und Auffermann trieb seine Untergebenen zu noch mehr Eifer an. Er selbst ging mit bestem Beispiel voran. Nur einen Tag vor der offiziellen Insolvenz hat er drei neue Medizinische Versorgungszentren beantragt.
Die Kassenärztliche Vereinigung (KV), die Arztsitze vergibt und die Abrechnungen überwacht, ist geschockt über den Fall Auffermann. Der Mann, dem das Korsett für Ärzte in Deutschland zu eng war, setzte sich mehr als einmal über Regeln hinweg. Gut möglich, dass die Medizinischen Versorgungszentren erhebliche Summen zurückzahlen müssen. Schlimmer noch: Durch Auffermanns vermeintliche Flucht geht voraussichtlich die kassenärztliche Zulassung für alle Hanserad-Praxen verloren.
An seiner KV-Lizenz hängt das Imperium. Und weil er seine ärztliche Tätigkeit nicht ausübt und mutmaßlich betrogen hat, müsste die KV ihm nach einem Urteil des Bundessozialgerichts sofort die Zulassung entziehen. Diese Regel gilt seit einem Abrechnungsbetrug in einem Berliner Versorgungszentrum. Ende Januar kann es so weit sein. "Dann bricht sofort alles zusammen", sagt ein Insider. Das ahnt nicht einmal der Insolvenzverwalter.
In einem Medizinkrimi voller Schicksale und Randgeschichtchen hat einer den ungefähren Überblick, und dieser Mann ist fast gut gelaunt: Dr. Gideon Böhm, kein Arzt, sondern Rechtsanwalt, ist einer der beiden Insolvenzverwalter. Der Betrieb in den Kliniken geht weiter, es gibt laufende Einnahmen, die Gehälter werden gezahlt. Das hat er in anderen Fällen schon schlimmer angetroffen. "Wir prüfen derzeit die Buchhaltung", sagt Böhm. "Alle Gesellschaften der Hanserad, die operativ tätig sind, funktionieren zurzeit."
Und die Gläubiger? Nun ja, die würden nach Recht und Gesetz bedient. Da haben Böhm und sein Kollege den Daumen drauf. Und schon bald könnte es einen oder mehrere Käufer für Hanserad geben. Böhm sagt: "Es gibt viele Interessenten für das Ganze und für Teile."
Auch für Prof. Dr. Auffermann interessieren sich viele. Mitarbeiter möchten ihm mal richtig die Meinung geigen. Mieter in seinen Häusern bibbern um ihre Wohnungen, auf dass die Häuser nicht zwangsversteigert und sie hinausgedrängt werden. Und die Ermittler wollen endlich den Hauptdarsteller in diesem Fall um weiße Kittel, faule Bilanzen und enttäuschte Partnerinnen selbst befragen.
Doch sein Aufenthaltsort ist: unbekannt. Prof. Dr Wolfgang Auffermann einfach verhaften zu lassen, das würde in Dubai keinen Sinn machen. Mit den Vereinigten Arabischen Emiraten hat Deutschland kein Auslieferungsabkommen.