Hamburg. In wenigen Tagen endet die Zeit des SPD-Politikers an der Spitze des Bezirksamts – weil die Grünen eine Kooperation plötzlich absagten.
Sein Amtszimmer im achten Stock des Bezirksamts am Grindelberg hat er bereits aufgeräumt und sich von seinen 1000 Mitarbeitern verabschiedet. Am 5. Januar endet dann auch offiziell nach sechs Jahren die Zeit von Kay Gätgens (SPD) als Bezirksamtsleiter von Eimsbüttel. Und das nicht, weil es Kritik an ihm gäbe, sondern weil die Grünen-Fraktion in der Bezirksversammlung eine fertig ausgehandelte Kooperation mit der SPD in letzter Minute doch abgelehnt hat.
Nun soll es mindestens bis zur Bezirkswahl im Mai 2024 überhaupt keine Bezirksamtsleitung geben, stattdessen übernimmt die Steuerungsdezernentin und stellvertretende Bezirksamtsleiterin Sonja Böseler die Geschäfte bis auf Weiteres kommissarisch. Eine mehr als ungewöhnliche Situation, über die das Abendblatt mit Kay Gätgens sprach.
Bezirk Eimsbüttel: Gätgens als Spielball der Politik?
Hamburger Abendblatt: Herr Gätgens, vor drei Jahren saßen Sie schon auf gepackten Koffern, weil Grüne und CDU Sie abwählen wollten. Dann durften Sie völlig unerwartet doch Bezirksamtsleiter bleiben, weil zweimal keine Mehrheit für Ihre Nachfolgerin zustande kam. Und nun endet Ihre Amtszeit, weil Grüne und SPD sich nicht einigen können. Fühlen Sie sich als Spielball der Politik?
Kay Gätgens: Das waren schon besondere sechs Jahre, in denen ich vier verschiedene Aggregatzustände erlebt habe: Zum Bezirksamtsleiter gewählt wurde ich 2016 unter Rot-Grün, die 20 Jahre lang in Eimsbüttel vertrauensvoll zusammengearbeitet hatten. Dann ging dieses Bündnis nach der Bezirksversammlungswahl 2019 auseinander, und es folgte eine Phase wechselnder Mehrheiten, bevor die Grünen sich entschieden, mit der CDU eine Koalition zu bilden. Und seit dieses Bündnis vergangenes Jahr auch zerbrach, haben wir wieder wechselnde Mehrheiten. Für mich persönlich hieß das: Wahl, zwei gescheiterte Abwahlanträge und am Ende gar keine Entscheidung über die Bezirksamtsleitung. Das hat viel mit politischer Verantwortung zu tun.
… die in diesem Fall nicht wahrgenommen wurde. Ist es nicht frustrierend, dass es überhaupt keine Kritik an Ihrer Person gibt, im Gegenteil sogar viel Lob, und Sie dennoch gehen müssen?
Das ist so. In der Tat habe ich mit allen Fraktionen einen guten, vertrauensvollen Kontakt gepflegt, das wurde mir in der letzten Bezirksversammlung noch einmal bestätigt. Aber so ist das Geschäft. Als Bezirksamtsleiter ist man von politischen Zusammenhängen abhängig, die man selbst nicht steuern kann.
Es lag ein ausverhandelter Kooperationsvertrag von SPD und Grünen vor, der auch Ihre Weiterbeschäftigung vorsah – mindestens bis zur Wahl 2024. Was waren nach Ihrer Wahrnehmung die Gründe dafür, dass diese Lösung bei den Grünen letztlich doch keine Mehrheit fand?
Da müssen Sie die Grünen fragen. Ich möchte da nicht öffentlich spekulieren. Ich bin enttäuscht, dass keine verantwortungsvolle Lösung für die Führung des Bezirksamts gefunden wurde.
Wäre es nicht sinnvoller, die Vertragslaufzeit von Bezirksamtsleitern an die Wahlperiode in den Bezirken zu koppeln?
Das sehe ich kritisch. Es hängt davon ab, wie man die Rolle des Bezirksamtsleiters definiert. Ich sehe mich in erster Linie als Chef einer Verwaltung mit 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die Dienstleistungen für 270.000 Bürger erbringt. Das macht einen Großteil meiner Arbeit aus. Darüber hinaus hat ein Bezirksamtsleiter auch die Aufgabe, an der Schnittstelle zwischen Verwaltung, Öffentlichkeit und Politik zu vermitteln und Lösungen zu finden sowie den Bezirk nach außen zu repräsentieren. Dieser kleinere, politische Aspekt würde viel stärker in den Vordergrund treten, wenn man die Amtszeit an die Wahlperiode koppeln würde. Daher halte ich das für keine gute Idee.
- Fieber, Freispruch, Abgang: So endet Hamburgs Politikjahr
- Oke Göttlich wartet auf den Nachfolger von Kay Gätgens
- Wie ein Parteienstreit die Pläne des Kiezclubs gefährdet
Aber de facto werden Bezirksamtsleiter auch als „Bezirksbürgermeister“ wahrgenommen, und sie werden nun mal von der Politik gewählt. Dass die Mehrheitsverhältnisse sich alle fünf Jahre ändern können, während die Verwaltungschefs Sechsjahresverträge haben, sorgt doch erst dafür, dass es regelmäßig mitten in der Wahlperiode Gezerre um die Posten gibt.
Auf der anderen Seite ist nach Bezirkswahlen oft nicht sofort klar, welche Mehrheiten sich zusammenfinden. Wir haben ja in Eimsbüttel erlebt, dass das mehr als ein Jahr dauern kann. Was ist, wenn der Vertrag der Bezirksamtsleitung dann schon ausgelaufen ist? Im Übrigen habe ich ja trotz der wechselnden politischen Mehrheiten gute sechs Jahre gehabt, in denen wir viel für Eimsbüttel bewegt haben.
Die Grünen wollen bis zur Wahl 2024 keinen Anlauf mehr starten, eine neue Bezirksamtsleitung zu wählen. Das bedeutet, dass Ihre Stellvertreterin Sonja Böseler fast zwei Jahre lang das Bezirksamt kommissarisch leiten soll, obwohl sie „nebenbei“ Dezernentin ist. Sie waren selbst mal Dezernent. Ist das nicht zu viel für eine Person?
Grundsätzlich ist es ja so vorgesehen und daher zunächst nicht ungewöhnlich. Sonja Böseler ist schon seit zwei Jahren meine Stellvertreterin, und ich traue ihr das natürlich auch zu. Die besondere Herausforderung besteht hier darin, dass dieser Übergangszustand nicht nur für einige Monate anhalten soll, sondern eben bis zu zwei Jahre.
Inwiefern leidet darunter die Arbeit des Bezirksamts?
Die Kollegen werden sich sicher Gedanken machen, wie sie das auffangen können. Aber ich könnte mir vorstellen, dass gerade die politische und repräsentative Vertretung des Bezirksamts weniger wahrgenommen werden wird.
Sehen Sie dadurch Projekte gefährdet, bei denen intensive Abstimmung mit dem Senat und anderen Behörden nötig sind, etwa der Ausbau des Trainingsgeländes des FC St. Pauli an der Kollaustraße?
Das Bezirksamt wird sicher auch weiterhin umsetzen, was die Politik beschließt. Das hört ja nicht auf, nur weil ich nicht mehr da bin. Aber es wird möglicherweise etwas schwieriger, wenn die Schnittstelle zwischen Verwaltung und Politik nicht besetzt ist. Was die Kollaustraße angeht: Dieser Ringtausch ist ein gutes Konstrukt. Wir können dadurch den FC St. Pauli und sein Trainingszentrum in der Stadt halten, die Baseballer bekommen eine bessere, bundesligataugliche Anlage, und wir als Bezirk erhalten eine Sportanlage in Schnelsen zurück, die der FC St. Pauli im Moment noch für seine Jugendabteilung nutzt. Die können dann andere Sportvereine nutzen. Das ist eine Win-win-win-Situation.
Sie gelten als Wohnungsbauexperte. Eimsbüttel braucht dringend mehr bezahlbaren Wohnraum. Wie soll das ohne Sie funktionieren?
Ich bleibe zuversichtlich, dass Eimsbüttel weiterhin Genehmigungen schaffen wird. Wir haben in den vergangenen sechs Jahren 9000 Wohnungen genehmigt, das sind im Schnitt 1500 Wohnungen im Jahr – unsere mit dem Senat vereinbarte Zielzahl von 1050 Wohnungen haben wir also um 40 Prozent übertroffen. Darüber freue ich mich und bin auch stolz darauf. Das nächste große Projekt ist das Beiersdorf-Gelände, wo wir in hochzentraler Lage ungefähr 900 Wohnungen schaffen und es trotz der zentralen Lage in einem hoch verdichteten Quartier bisher keine größeren Konflikte gab.
Von der Wohnungsbauwirtschaft gibt es aber Bedenken, dass mit Ihrem Weggang der Wohnungsbau stockt.
Bei diesem Thema ist es schon wichtig, dass man die Politik mitnimmt und überzeugt, da sie am Ende mit entscheidet. Da habe ich als Bezirksamtsleiter schon eine wichtige Rolle gespielt, das wird in Zukunft etwas anders sein, das glaube ich schon.
Stichwort Verkehr: Das ist ein Thema, das den Grünen wichtig ist. Wie fällt Ihre Bilanz da aus – auch als begeisterter Fahrradfahrer?
Ich habe mal ausgerechnet, dass ich in den vergangenen sechs Jahren den Bezirk mehr als 30.000 Kilometer mit dem Fahrrad „erfahren“ habe. Das habe ich nicht nur gemacht, weil ich Bezirksamtsleiter bin, sondern weil es ein gutes Verkehrsmittel ist. Der Job ist ja schon anspruchsvoll, auch zeitlich. Eine halbe Stunde morgens und abends sich den Wind um die Ohren pusten zu lassen, tut gut. Insofern bin ich den Themen der Mobilitätswende sehr zugewandt, und da haben wir uns auch sehr angestrengt. Wir haben in meiner Amtszeit ungefähr 42 Millionen Euro auf die Straße gebracht, in die Verbesserung des Straßenraums, da nehmen wir unter den Bezirken einen Spitzenplatz ein. Zum Beispiel die Osterstraße hat absolut an Qualität gewonnen.
Was verbuchen Sie noch als Erfolg Ihrer Amtszeit?
Nur einige Beispiele: Wir geben allein 2022/2023 rund 43 Millionen Euro für Spiel- und Sportanlagen sowie Spiel- und Bürgerhäuser aus. Wir haben in Eidelstedt über das Rahmenprogramm „Integrierte Stadtteilentwicklung“, kurz RISE, in meiner Amtszeit 38 Millionen Euro in 40 Maßnahmen investiert, um den Stadtteil zu stärken. Und wir haben es geschafft, auch Schnelsen als RISE-Gebiet auszuweisen. Darüber freue ich mich, auch wenn ich es nicht mehr begleiten kann. So wichtig das Kerngebiet ist, so wichtig ist es auch, die äußeren Stadtteile im Blick zu behalten. Mit der Vision Eimsbüttel 2040, dem Klimaschutzkonzept und dem sozialen Leitbild hat Eimsbüttel in diesen herausfordernden Zeiten als einziger Bezirk einen umfassenden Orientierungsrahmen für die Zukunft.
Auf welche besonderen Momente blicken Sie zurück?
Als die Bundeswehr in das Bezirksamt „einmarschierte“. Wir hatten während der Corona-Zeit ja das Team für die Nachverfolgung der Infektionswege im Gesundheitsamt sehr plötzlich von drei auf 100 Personen aufstocken müssen und dafür auch noch zusätzlich Bundeswehrkräfte bekommen. Die Soldaten kamen in Kampfanzügen, das war schon alles sehr ungewohnt für uns. Generalmajor Breuer kam im Hubschrauber angeflogen. Und es gab am Ende sogar Tränen auf beiden Seiten, als die Bundeswehr wieder ging. Wir haben so viel voneinander gelernt. Das war ein besonderer Moment. Ein weiterer war die Eröffnung des Autobahndeckels in Schnelsen, zu dem mehrere Tausend Menschen kamen. In die Augen dieser Menschen zu gucken und zu sehen, wie sie sich darüber freuen, dass die Narbe im Stadtteil wieder geschlossen ist, das fand ich beeindruckend. Na ja und die zwei gescheiterten Versuche, mich abzuwählen, waren auch besonders. Das vergisst man nicht.
Wie geht es Ihnen heute? Die ganze Angelegenheit geht doch sicherlich nicht spurlos an Ihnen vorbei.
Ehrlicherweise geht es mir gut. Ich bin darüber selbst überrascht, aber das hat damit zu tun, dass ich auf hervorragende sechs Jahre zurückblicke. Und jetzt freue ich mich auf etwas Neues. Ich schaue zufrieden zurück und blicke zuversichtlich und neugierig in die Zukunft. Die Gegenwart aber ist schon ein wenig anspruchsvoll, diese zwei, drei Wochen des Abschieds. Gerade der Abschied von den Kolleginnen und Kollegen fällt mir schwer. Für die 270.000 Menschen, die in Eimsbüttel wohnen, und für die 1000 Mitarbeiter im Bezirksamt ist es schon sehr bedauerlich, dass Politik in krisenhaften Zeiten keine gute, verantwortungsvolle Entscheidung getroffen hat. Ich habe viele Rückmeldungen bekommen von Bürgern, Institutionen und Vereinen, die für diese Vorgänge kein Verständnis haben. Andererseits ist das Geschäft so; wie es ist, ich gucke nach vorn.
Wie sieht Ihre berufliche Zukunft aus?
Darum werde ich mich Anfang Januar kümmern. Ich hoffe, eine passende Aufgabe zu finden. Im Bereich Stadtentwicklung zum Beispiel.