Hamburg. Programm „Frei_Fläche“ zur Zwischennutzung leer stehender Räume trägt Früchte. Von Jupiter bis Alter Wall – Beteiligte sind begeistert.

In Hamburg kann man lernen, wie man aus der Not eine Tugend macht: Als im Juni 2021 das Programm „Frei_Fläche“ zur Bekämpfung des Leerstandes und zur Belebung der Innenstadt an den Start ging, war die Skepsis groß.

Würden genug Vermieter mitziehen, ihre Gewerbeflächen zu Schnäppchenpreisen von 1,50 Euro den Quadratmeter an den Mann zu bringen? Gibt es genug Kreative, die leer stehende Läden und Geschäfte inklusive eines ausgewachsenen Kaufhauses bespielen können? Und haben Politik und Kreativ-Gesellschaft den langen Atem, um das Programm finanziell zum Erfolg zu führen?

Leerstand bekämpfen: Hamburg als Vorbild?

Die Antworten lauten Ja. Und Ja. Und Ja. „Das ist ein einzigartiges Programm und kann Vorbild für andere Städte sein“, sagt nun Martin Wolfrat, Hamburg-Chef der Art Invest, die mit dem Alten Wall, den Großen Bleichen, dem Reesehaus und der Opern-Plaza rund 2000 Quadratmeter Freiflächen zur Verfügung gestellt und zehn Zwischennutzungen ermöglicht hat.

„Das ist eine Win-win-Situation: Die Immobilienbesitzer können ihre Flächen präsentieren. Künstler, die sonst nie in der Innenstadt ausstellen könnten, bekommen eine Bühne. Und die Stadt profitiert, weil sie die Geschäfte beleben und bespielen.“

Hamburg steckt weitere Millionen in das Programm

Tatsächlich fördert Frei_Fläche gleich mehrere Branchen, die unter der Pandemie besonders gelitten haben: Künstler, Kreative und Handel wurden zu Corona-Opfern, weil zunächst Schließungen verordnet wurden und später viele Menschen aus Angst vor einer Infektion zu Hause blieben.

Anfang des Monats hat die Bürgerschaft das Programm bis Ende 2023 verlängert – den neun Millionen Euro seit Juni 2021 folgen nun weitere 4,3 Millionen Euro aus dem regulären Haushalt der Freien und Hansestadt Hamburg. „Mit überzeugenden Konzepten nutzen Kreative die Chancen, ihre Leistungen und Produkte an Orten zu präsentieren, die sonst unerreichbar sind: Damit geben sie ihren Angeboten einen starken Schub vorwärts“, sagt Egbert Rühl, Geschäftsführer der Hamburg Kreativ-Gesellschaft.

61 neue Projekte in leerstehenden Immobilien

Seit Programmstart konnten 61 Projekte aus Mode- und Produktdesign, Kunst, Musik und Performance in 53 Einzelhandelsflächen über ganz Hamburg realisiert werden. „Schon 22.000 m² weniger Leerstand“, heißt es auf der Website www.frei-flaeche.de.

Entstanden sind temporäre Ateliers, Ausstellungsräume und Pop-up-Stores in besten Innenstadtlagen wie Neuer Wall, Alter Wall, Ballindamm, Hamburger Hof, aber auch in Geschäften im Elbe Einkaufszentrum, dem Mundsburg Center oder dem Wandsbek Quarree.

Karstadt Sport auf sechs Etagen verwandelt

Das auffälligste zwischengenutzte Haus ist das ehemaligen Karstadt Sport an der Mönckebergstraße 2–4 – hier verwandelten sich gleich 8000 Quadratmetern über sechs Etagen in Arbeitsräume, Veranstaltungs- und Ausstellungsflächen.

Auch mehr als zwei Jahre nach der Schließung des Sporthauses kommen noch immer viele Kunden ins Haus, die eigentlich auf der Suche nach Turnschuhen sind, erzählen die Macher im Jupiter, wie das Warenhaus sich nun nennt.

„Die haben sich dann eine Kunstausstellung angeschaut, bei der Baukultur ein bisschen Zeit reingesteckt oder afrikanisch gegessen“, erzählt Tina Unruh, die mit der Stiftung Baukultur das Erdgeschoss des Kaufhauses an der Mö bespielt hat.

Es seien Menschen gekommen, die sich nur kurz aufwärmen wollten und blieben, auch weil es viele Angebote für Kinder gab. „Mir ist auch ein junger Mann in Erinnerung. Der stand mitten in der Ausstellung, guckte auf sein Handy und bekam angezeigt, er sei jetzt bei Rewe. Er war total verwirrt, und das war eine sehr lustige Situation.“ Nicht immer ist digital besser.

Immobilienbranche zeigt großes Interesse

Auch die Politik ist zufrieden: „Mit Frei_Fläche konnten wir die Innenstadt und die bezirklichen Zentren beim Wiederbeginn nach Corona gezielt unterstützen“, sagt Finanzsenator Andreas Dressel (SPD). „Bedingt durch die Energiekrise bleibt dieses Thema auch in den kommenden Monaten aktuell, und die Verlängerung des Programms für 2023 ist daher nur konsequent.“

Dieses stößt in der Immobilienbranche auf breites Interesse, es beteiligen sich unter anderem alstria office, Becken Asset Management, die ECE Group, Momeni Real Estate, Procom, R+V sowie Union Investment.

Zwischenmieter bleiben maximal flexibel

Wolfrat von Art Invest lobt die Kreativ Gesellschaft, die das Programm koordiniert: „Sie verfügt über ein großes Netzwerk von Kreativen, die sie passgenau zu den Immobilien vermitteln.“ Zu dem Alten-Wall-Konzept „Fine Arts, Fine Shopping, Fine Dining“ ließen sich die Bausteine der Kreativ Gesellschaft „hervorragend ergänzen und führen zu einer noch größeren Vielfalt“. Wolfrat betont: „Zwischennutzungen sind zweifellos besser als Leerstand. Unserer Erfahrungen sind durchweg positiv.“

So bekommen die Vermieter für die Laufzeit sämtliche Nebenkosten erstattet, bleiben aber maximal flexibel – zum Monatsende lassen sich die Zwischennutzungen kündigen. „Das blockiert die Entwicklung nicht, sollte jemand die Flächen dauerhaft mieten wollen.“ Für Wolfrat ist die aus der Not geborene Idee längst Vorbild. „Vieles lässt sich auch auf andere Quartiere übertragen.“