Hamburg. Die Zahl der Straftaten rund um den Bahnhof steigt wieder. Die Parteien haben ganz unterschiedliche Vorschläge zur Lösung.
Vor gut 20 Jahren hat die ausufernde Kriminalität rund um den Hauptbahnhof schon einmal eine Bürgerschaftswahl mit entschieden. Seitdem war es darum etwas ruhiger geworden, doch in letzter Zeit nehmen die Straftaten im Bahnhof und in St. Georg wieder zu. Wie berichtet, verzeichnete die Polizei dort rund fünf Prozent mehr Taten als noch 2019, dem letzten Vor-Corona-Jahr.
Kriminalität am Hauptbahnhof: Welche Lösungen die Parteien vorschlagen
Das Abendblatt hat die Innenpolitik-Experten in der Bürgerschaft gefragt, wie sie das Problem einschätzen und was sie dagegen tun würden. Ein Ergebnis: Die CDU beantragt, das Waffenverbot, das an den Adventswochenenden im Bahnhof und im Umfeld gilt, zu einer Dauerlösung zu machen – „analog zu den bestehenden Gebieten Reeperbahn und Hansaplatz“, wie es im dem Antrag heißt, der dem Abendblatt exklusiv vorliegt. Die Waffenverbotszone auf die Vorweihnachtszeit zu beschränken, sei „nicht nachvollziehbar“.
Hamburger Abendblatt: Nimmt die Kriminalität tatsächlich zu oder wird aufgrund erhöhter Polizeipräsenz nur mehr aufgedeckt?
Sören Schumacher (SPD): „Im unmittelbaren Umfeld des Hauptbahnhofes sowie im Bereich um die Drogenhilfeeinrichtung Drob Inn ist ein Anstieg der Kriminalität im Vergleich zum Vorjahr zu verzeichnen, insbesondere im Hinblick auf Betäubungsmittelkriminalität. Diese Bereiche stehen deshalb bereits seit einiger Zeit im besonderen polizeilichen Fokus. Daraus folgt auch eine Zunahme der Kriminalitätsaufdeckung.“
Sina Imhof (Grüne): „Die Innenstadt, der Hauptbahnhof und der Stadtteil St. Georg sind schon seit langem kriminalitätsbelastete Orte. Bei der Frage nach den Gründen für den Anstieg der Zahlen schließe ich mich der polizeilichen Analyse an: Verstärkte Kontrollen sorgen für eine Erhellung des Dunkelfeldes, zugleich bot die gestiegene Nutzung des ÖPNV in den Sommermonaten mehr Gelegenheiten für Taschendiebe am Verkehrsknotenpunkt Hauptbahnhof.“
Dennis Thering (CDU): „Es ist wieder soweit, mit der SPD steigt die Kriminalität in Hamburg erneut und der Hamburger Hauptbahnhof führt sogar das Negativranking bei Gewalt in ganz Deutschland an. Zu CDU-Regierungszeiten war die Situation deutlich besser und SPD und Grüne müssen jetzt dringend umsteuern, damit Hamburg nicht wieder zur Verbrechenshochburg wird.“
Deniz Celik (Linke): „In St. Georg gibt es eine erhebliche Polizeipräsenz und damit werden zwangsläufig mehr Delikte aufgedeckt, also vom Dunkelfeld ins Hellfeld geholt. Zudem kriminalisiert die Kontaktverbotsverordnung Sexarbeit und schafft einen zusätzlichen Deliktbereich. Unzweifelhaft ist aber die Bahnhofsgegend wie in jeder Großstadt ein erheblicher sozialer Brennpunkt und Anlaufpunkt für Menschen in prekären Lebenslagen, insbesondere obdachlose Menschen und Menschen mit Suchterkrankungen. Es ist daher nicht überraschend, dass es in diesem Bereich eine erhöhte Armuts- und Beschaffungskriminalität gibt.“
Dirk Nockemann (AfD): „Beides ist richtig. Natürlich kann nur mehr aus dem Dunkel- ins Hellfeld rücken, wenn auch mehr Polizei vor Ort präsent ist. Die Zahlen sind erschreckend und alarmierend. Aber sicherlich nimmt die objektive und subjektive Sicherheit am Hauptbahnhof ab. Das zeigen alle Statistiken und auch Gespräche mit Bahnpendlern und Reisenden.“
Was sind die Gründe für die Zunahme der Kriminalität?
Schumacher (SPD): „Die Gründe sind vielschichtig. Zum einen ist in den letzten beiden Jahren, die von der Corona-Pandemie geprägt waren, die Straßenkriminalität situationsbedingt stark zurückgegangen. Seit dem Frühjahr 2022 hat sich die Situation deutlich verändert und entspricht vielleicht sogar an vielen Orten wieder der Situation der Vor-Corona-Jahre. Dies schafft wieder Gelegenheiten für Straftaten. Zudem hat auch das Drob Inn im Mai 2022 seine pandemiebedingten Einschränkungen aufgehoben.“
Imhof (Grüne): „Leider stellen wir eine gestiegene Anzahl an Obdachlosen und drogenabhängigen Wohnungslosen rund um den Hauptbahnhof fest. Hierdurch kommt es verstärkt zu Straftaten, die der sogenannten Beschaffungskriminalität zugeordnet werden. Die Sichtbarkeit der offenen Drogenszene, das menschliche Elend, macht die Anwohner*innen betroffen und es ist aus unserer Sicht nachzuvollziehen, dass dies in ein steigendes Unsicherheitsgefühl münden kann.“
Thering (CDU): „Die Innere Sicherheit ist bei SPD und Grünen in schlechten Händen. Fehlende politische Rückendeckung und Ausstattung der Polizei führen auf Dauer zu mehr Kriminalität. SPD und Grüne schauen zu oft aus falsch verstandener Toleranz weg, anstatt durchzugreifen. In der Folge gibt es wieder No-Go-Areas in der Stadt.“
Celik (Linke): „Neben der Polizeipräsenz, die Kriminalität im Hellfeld sichtbar macht, erleben wir seit Jahren eine zunehmende Verelendung. Die Corona-Pandemie und die vielfältigen Krisen haben das Leben für Menschen in prekären Lebenssituationen oftmals noch prekärer gemacht. Gesellschaftliche Ausschlüsse führen dazu, dass legale Finanzierungsmöglichkeiten nicht mehr erreichbar sind.“
Nockemann (AfD): „Ein hausgemachtes Problem ist der Kriminalitätsanziehungspunkt, die Drogenhilfeeinrichtung ,Drob Inn’. Es gab über Jahre hinweg in deren Umfeld – und damit am Hauptbahnhof – eine Politik des Wegschauens.“
Welche konkreten Maßnahmen müssten ergriffen werden, um die Kriminalität einzudämmen?
Schumacher (SPD): „Der Bereich rund um den Hauptbahnhof steht bereits seit einiger Zeit in besonderem polizeilichen Fokus. Die Polizeipräsenz wurde deutlich erhöht und an den Adventswochenenden wird im Hauptbahnhof ein Waffenverbot verhängt. Dies ermöglicht der Polizei erleichterte Eingriffsbefugnisse mit dem Ziel, sehr gezielt Kontrollen durchführen zu können und im Zweifel mitgeführte Waffen sicherzustellen, Identitätsfeststellungen durchzuführen und Platzverweise und Aufenthaltsverbote aussprechen zu können. Gleichzeitig wird zurzeit kompetenzübergreifend ein Konzept erarbeitet, um der Situation langfristig mit den geeigneten Maßnahmen zu begegnen.“
Imhof (Grüne): „Rein repressive Maßnahmen sind nicht die Lösung, sondern führen nur zu einer Verdrängung des Problems. Wir brauchen eine Kombination aus sicherheits- und sozialpolitischen Maßnahmen. So wird das Winternotprogramm sicherlich zu einer Entlastung führen. Außerdem können die bereits an der Holstenstraße durchgeführten Maßnahmen auch einen guten Lösungsansatz für den Hauptbahnhof darstellen: die Bereitstellung von Spritzenabwurfbehältern, mehr öffentliche Toiletten sowie eine intensivere Kommunikation zwischen örtlichen Beamten und Anwohnerinnen.“
Thering (CDU): „Die CDU setzt sich dafür ein, die Videoüberwachung deutlich auszuweiten und die Polizeipräsenz dauerhaft und spürbar zu erhöhen. Außerdem beantragen wir eine dauerhafte Waffenverbotszone im Hauptbahnhof und der Umgebung. Hamburgs Hauptbahnhof muss für Hamburger und Touristen wieder ein Ort werden, wo man jederzeit gerne und sicher ankommt. Dazu braucht es auch volle politische Rückendeckung für unsere Einsatzkräfte.“
Celik (Grüne): „Für die besonders kriminalitätsbelasteten Orte rund um den Hauptbahnhof braucht es vor allem einen Ausbau der sozialen Infrastruktur. Dies umfasst den Ausbau von Drogenkonsumräumen und Schlafmöglichkeiten, Ausweitung der Substitutionstherapien sowie aufsuchende Sozialarbeit auch für Menschen ohne Status oder Leistungsanspruch. Und eigentlich bräuchten wir auch eine kontrollierte Abgabe von Drogen, um die Beschaffungskriminalität wirksam zurückzudrängen. Mehr Polizei ist auf jeden Fall keine Lösung, sondern führt nur zur Verdrängung und Eskalation der Situation.“
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Nockemann: (AfD): „Wir fordern ein Aktionsbündnis ,Mehr Sicherheit am Hamburger Hauptbahnhof’. Daran müssen alle Akteure (Innenbehörde, Bundespolizei, Bahn, Gewerbetreibende) beteiligt sein. Wir brauchen noch mehr Sicherheitspersonal und eine konsequente Nulltoleranzpolitik. Der rot-grüne Senat muss endlich kriminelle Ausländer abschieben. Zudem müssen konsequent Platzverweise und Hausverbote erteilt und auch bei Nichtbeachtung knallhart sanktioniert werden. Und die Bahn muss mit Unterstützung der Bundespolizei rigoros die Hausordnung umsetzen.“