Hamburg/Norderstedt. Auch Terroristenstühle waren im Einsatz: Klaus Neuenhüsges erzählt die spannende Geschichte von Hamburgs Strafvollzug.

Aus der Entfernung könnte es als schlichtes Kinderbett durchgehen. Doch das hölzerne Gebilde erinnert nur von außen an eine Wiege. Im Inneren werden Hunderte Kegel sichtbar, eng angeordnet und jeder spitz zulaufend. Wer sich hier hineinlegte, tat es nur unter Zwang — und unter großen Schmerzen. Es ist die „Folterwiege“, ein grausames Werkzeug früherer Zeit.

Im Gefängnismuseum der Justizvollzugsanstalt Glasmoor steht dieses Exponat aus dem 17. Jahrhundert direkt hinter der Eingangstür. „Gefangene mussten sich dort hineinlegen. Sie wurden der ‚peinlichen Befragung‘ unterzogen, also der Befragung unter Folter, und dabei geschaukelt, wodurch sich die spitzen Kegel noch tiefer ins Fleisch eingruben“, erklärt Klaus Neuenhüsges, Leiter des Museums und so etwas wie ein wandelndes Lexikon in Sachen Zuchthauswesen und Strafvollzug.

Gefängnismuseum Glasmoor: 1270 ein „Schlüsseljahr“

Die Handschellen und Folterwerkzeuge erinnern an dunkle Jahre.
Die Handschellen und Folterwerkzeuge erinnern an dunkle Jahre. © Bettina Mittelacher (Frankenfeld)

Wer den studierten Sozialpädagogen, der auch in Geschichte und Kriminologie ausgebildet ist, zu den Exponaten und der Geschichte der Gefängnisse befragt, bekommt ausführlich und hingebungsvoll Antwort. Ebenso kundig erzählt er über die Werkzeuge, die Fesseln, die kreativen Erfindungen der Häftlinge und viele andere Exponate, die im Museum auf rund 300 Quadratmeter ausgestellt sind. „Hier spüren Sie förmlich die Geschichte des Justizvollzugs — von der historischen Torfgewinnung bis zur heutigen Zeit“, verspricht Neuenhüsges.

„Strafvollzug muss im Kontext der jeweiligen Zeit gesehen werden“, erklärt der Fachmann. 1270 sei ein „Schlüsseljahr“ gewesen: „Damals hat Hamburg erstmals ein codifiziertes, also verschriftliches Stadtrecht vorgelegt. Erstmals war von einem Gefängnis die Rede.“ Später sei zur Bestrafung neben der Folterwiege unter anderem der sogenannte Hungerkorb eingesetzt worden.

Folter und Todesstrafe weit verbreitet

„Der hing unter der Zimmerdecke. Und wer da hineingesteckt wurde, guckte runter auf andere, die Essen hatten.“ Außerdem seien der Fesselblock, in dem die Füße fixiert wurden, sowie Hand- und Fußfesseln zur Anwendung gekommen.

Mittelalter, Renaissance, Erster Weltkrieg, Weimarer Zeit: Jede Epoche habe ihre eigene „Philosophie“ des Bestrafens gehabt — früher häufig die Folter und die Todesstrafe. Freiheitsstrafen hätten sich erst im 18. Jahrhundert herausgebildet. „Man sperrte Gefangene ein, versorgte sie mit Zwangsarbeit. So sollten sie auf den ,rechten Weg‘ gebracht werden“, berichtet Neuenhüsges.

Totenmasken als Symbol

Auf diesem Stuhl wurden Hungerstreikende zwangsernährt.
Auf diesem Stuhl wurden Hungerstreikende zwangsernährt. © Bettina Mittelacher

In der Herrschaftszeit der Nationalsozialisten hätten vor allem Vergeltung und der Rachegedanke Priorität gehabt. „Die Gefängnisse galten als ,Ascheimer der Deutschen Volksgemeinschaft‘“, erklärt der Experte. Die Untersuchungshaftanstalt, damals wie heute am Holstenglacis in Hamburg, sei eine der elf zentralen Hinrichtungsstätten jener Zeit gewesen. „Im Innenhof wurden mehr als 500 Todesurteile mit der Guillotine vollstreckt.“ Der damalige Scharfrichter Friedrich Hehr sei beauftragt worden, die Hinrichtungen zu vollziehen. „Auch nach einem Diebstahl konnte die Todesstrafe folgen.“

Von jedem, der zu der Zeit in einem Hamburger Gefängnis hingerichtet wurde, sei eine Totenmaske hergestellt worden. Mit der Totenmaske habe gezeigt werden sollen: So sieht der „geborene Verbrecher“ aus. „Es soll mehr als 500 solcher Totenmasken gegeben haben.“ Die eines 23-Jährigen ist eines der Exponate im Gefängnismuseum. „Scharfrichter Hehr wurde gefragt, wie er damit umgehe, Menschen hinzurichten“, berichtet Neuenhüsges. „Er soll geantwortet haben: ,Man gewöhnt sich an alles.‘“

Viele Häftlinge verschluckten Gegenstände

Überwiegend aus der Nazizeit stammt auch eine Sammlung von Gegenständen, die damals von Häftlingen absichtlich verschluckt wurden: rund zwanzig Zentimeter lange Gabeln zum Beispiel oder auch Scheren. „Das Verschlucken von Gegenständen war ein Phänomen, das in jener Zeit vermehrt aufgetreten ist“, erklärt Neuenhüsges. „Das Kalkül der Häftlinge war: Wenn sie etwas Gefährliches herunterwürgen, werden sie medizinisch betreut. Auch die Verpflegung war auf der Krankenstation besser.“

Die verschluckten Gegenstände seien entweder auf natürlichem Wege wieder herausgekommen. „Oder es wurde operiert.“ Die Fragen, die sich angesichts dieser Gegenstände stellen, formuliert Neuenhüsges gleich selber: „Wie schlimm muss es damals in den Haftanstalten zugegangen sein? Wie verzweifelt muss ein Gefangener gewesen sein, um sich selber einer solchen Tortur auszusetzen?“

Gefangene bastelten Tätowiergeräte

Auch Gegenstände, die die Kreativität mancher Gefangener zeigen, sind in der Ausstellung zu sehen: selbst gebastelte Tauchsieder beispielsweise, hergestellt aus Drähten und einem damit verbunden Metallgegenstand. Oder sie konstruierten eine Art Waffe etwa aus Heizungsrohren.

Außerdem sind selbst gebastelte Tätowiergeräte ausgestellt, mit denen sich die Gefangenen dann vereinfachte Tattoos stachen. Statt Tinte benutzten sie beispielsweise Asche. „Ein gängiges Motiv waren die Träne am Auge oder drei Punkte“, berichtet Fachmann Neuenhüsges. „Die Botschaft war: ,Die letzte Freiheit über meinen Körper behalte ich.‘“

„Die Ausstellung ist für alle geeignet"

Die Idee, ein Gefängnismuseum einzurichten, entstand aus der Sammelleidenschaft eines früheren Mitarbeiters der Justizvollzugsanstalt Glasmoor, erzählt Neuenhüsges, der selber 1980 als Mitarbeiter im Strafvollzug begonnen hatte und bald danach Personalrat beim Strafvollzugsamt sowie Gewerkschaftsvorsitzender wurde.

„Kurz nachdem der Kollege verstorben war, ging ich in Pension und wurde gefragt, ob ich etwas auf die Beine stellen wolle, das den Namen ,Museum‘ verdient.“ So entstand im unter Denkmalschutz stehenden Beamtenhaus in der JVA Glasmoor das Museum, das den Strafvollzug anschaulich, verständlich und spürbar machen soll. „Die Ausstellung ist für alle geeignet: junge Leute und Erwachsene. Die Besucher sollen zum Nachdenken angeregt werden.“

„Die Resozialisierung stand im Vordergrund“

Bei einer Führung erzählt Neuenhüsges die Geschichte der Exponate. So beispielsweise die des „Hamburger Terroristenstuhls“, einem Relikt der 1970er-Jahre. „Eigentlich herrschte damals im Justizvollzug eine Art Aufbruchstimmung“, berichtet der Experte. „Die Resozialisierung stand im Vordergrund.“ Doch die meisten Mitglieder der Rote Armee Fraktion (RAF), die damals ihre kriminelle Hochzeit hatten, dann gefasst und inhaftiert wurden, hätten nicht wieder eingegliedert werden wollen.

An die 20 von ihnen hätten ihre Strafen in Hamburg verbüßt, und einige von ihnen traten in den Hungerstreik. „Es gab die Herausforderung: Wie geht man im Strafvollzug damit um? Die Entscheidung fiel, dass die RAF-Mitglieder zwangsernährt werden sollten.“ Dies geschah über eine Sonde und mit der Anwendung unmittelbaren Zwangs — auf dem Terroristenstuhl. „Acht bis zehn Kollegen waren nötig, um so einen Menschen, der sich der Zwangsernährung widersetzte, auf dem Stuhl zu fixieren“, erzählt Neuenhüsges.

Gefängnismuseum Glasmoor: Konrad Kujau ein „prominenter“ Gefangener

Als „prominente“ Gefangene erinnert sich der Fachmann beispielsweise an den Maler und Kunstfälscher Konrad Kujau und den Reporter Gerd Heidemann, die beide 1985 im Zusammenhang mit der Fälschung der Hitlertagebücher zu Haftstrafen verurteilt wurden. „Heidemann habe ich noch selber im Justizvollzug erlebt“, erzählt Neuenhüsges. „Er wurde für die Arbeit als Büchereikalfaktor eingesetzt. Und Kujau hat als Gefangener einem meiner Kollegen eine Widmung geschrieben: seine eigene und die vom ,Führer‘.“

Gefängnismuseum Glasmoor (Am Glasmoor 99, 22851 Norderstedt): Führungen für Gruppen nach vorheriger Vereinbarung, montags bis sonntags. Anmeldung unter 0170-35 90 555 oder klaus@neuenhüsges.de oder klaus.neuenhüsges@justiz.hamburg.de. Der Besuch ist kostenlos, Spende erbeten.