Hamburg. Im Schatten der Männer erlebt der Frauenfußball einen nachhaltigen Hype. Auch der HSV will das für sich nutzen. Die Pläne.
Bayern München gegen den FC Barcelona, Champions League, Rekordkulisse. Es passte alles zusammen am Mittwochabend in der Münchner Allianz Arena. Mit 3:1 gewannen die Frauen des FC Bayern vor 24.000 begeisterten ZuschauerInnen. Ein Highlight in der noch jungen Geschichte des Frauenfußballs beim Deutschen Rekordmeister der Männer. Und eine Vision, die auch Catharina Schimpf im Kopf hat. Die 31-Jährige sitzt im Podcast-Studio des Abendblatts und denkt an die Zukunft. HSV gegen Werder Bremen, Volksparkstadion, Rekordkulisse.
So stellt sich die Managerin der HSV-Frauen die Zukunft ihres Vereins vor. Und wenn es nach ihr geht, könnte diese Vision schon innerhalb der nächsten drei Jahre Wirklichkeit werden. „Es ist ein Fantasiegedanke“, sagt Schimpf. Wer sich den Weg der früheren Bundesligafußballerin des HSV anschaut, der weiß, dass aus ihren Fantasien Realitäten entstehen.
HSV News: Koordinatorin des Frauenfußballs hat große Ziele
Von 2008 bis 2010 spielte die Rostockerin für die HSV-Frauen in Liga eins, ehe sie zum Bramfelder SV wechselte und dort erlebte, wie ihr Ex-Club unter der Führung von Carl Jarchow aus finanziellen Gründen die Frauenmannschaft vom Spielbetrieb abmeldete. Beim BSV hatte Schimpf die Vision, den Bezirksligisten zur Nummer eins im Hamburger Frauenfußball aufzubauen. Sie ging zum Präsidenten. Dessen Antwort: „Frauenfußball ist wie Reiten mit Eseln.“ Schimpf stutzte und sagte dem Präsidenten, dass sie ihm das Gegenteil beweisen werde. Wenige Jahre später schaffte Bramfeld den Aufstieg in die Zweite Liga und wurde zur Nummer eins in Hamburg, während der HSV in der vierten Liga den Neustart wagte.
Seit eineinhalb Jahren ist Schimpf nun die Koordinatorin des Frauenfußballs im HSV und hat wieder große Ziele. Am vergangenen Wochenende hat ihre Mannschaft das letzte Spiel im Kalenderjahr 2022 mit 2:1 beim ATS Buntentor in Bremen gewonnen. Saisonübergreifend haben die HSV-Frauen in diesem Jahr nur ein einziges Spiel verloren. Es war ausgerechnet das entscheidende Rückspiel in den Aufstiegsplayoffs zur Zweiten Liga bei Turbine Potsdam II.
Fußballspiel sorgte für sensationelle TV-Quoten
An Schimpfs Visionen hat sich durch diesen Rückschlag aber nichts verändert. Der Frauenfußball beim HSV ist im Aufwind – sportlich, strukturell, aber auch gesellschaftlich. „Es ist wichtig, dass wir Strukturen schaffen und mit dem Wandel der Zeit gehen“, sagt Schimpf. Einen besseren Zeitpunkt, den Frauenfußball auch beim HSV groß zu machen, könnte es nicht geben.
Schon bei der Europameisterschaft der Frauen im Sommer in England sorgte die Mannschaft um Kapitänin Alexandra Popp für sensationelle TV-Quoten. Das verlorene Finale gegen England sahen am 31. Juli durchschnittlich 17,9 Millionen Menschen – mehr als das entscheidende WM-Gruppenspiel der Männer in Katar gegen Costa Rica (17,44). Das gab es in der Geschichte des deutschen Fußballs bislang noch nie.
Bundesliga der Frauen knackt schon nach neun Spieltagen einen Rekord
Während viele Fußball-Fans auf die übersteigerte Kommerzialisierung und die mangelnden Menschenrechte im Gastgeberland Katar mit einem WM-Boykott reagierten, konnten der Frauenfußball das Momentum für sich nutzen. Viele Bundesligisten freuten sich in den vergangenen Wochen über Rekordkulissen. Werder Bremen spielte vor 20.417 Fans im Weserstadion gegen den SC Freiburg.
Bereits im Oktober kamen 21.297 Menschen zum Topspiel des VfL Wolfsburg gegen Bayern München – nicht viel weniger als fast zum gleichen Zeitpunkt die Männer des VfL gegen den VfL Bochum (24.000). Bereits nach neun Spieltagen hat die Frauen-Bundesliga einen neuen Zuschauerrekord aufgestellt. 173.438 Fans besuchten nach DFB-Angaben die bisherigen Spiele. Damit wurde die Bestmarke aus der gesamten Saison 2013/14 bereits frühzeitig um rund 17.000 Besucher übertroffen.
HSV profitiert vom Hype um den Frauenfußball
Der EM-Hype lebt weiter – auch beim HSV. Die Hamburger profitieren in dieser Hinrunde gleich mehrfach von der Entwicklung. Vom gesteigerten Interesse am Frauenfußball insgesamt, vom wachsenden Desinteresse an der Nationalmannschaft und insbesondere an der WM in Katar. 500 Fans kamen vor rund zwei Wochen zum letzten Heimspiel des Jahres nach Norderstedt, nachdem der Supporters Club die Partie als Teil des alternativen Winterprogramms aufgenommen hatte.
Das Interesse der HSV-Fans hatte aber schon vorher zugenommen. 1800 Zuschauer hatten das erste Aufstiegsspiel gegen Potsdam verfolgt – mit dabei waren viele Ultras von der Nordtribüne des Volksparkstadions. „Es entwickelt sich immer mehr. Die Leute kommen wieder und es kommen immer neue Gesichter“, sagt Catharina Schimpf. „Das ist ein Stempel des gesellschaftlichen Wandels.“
HSV-Frauen wollen Aufmerksamkeit nutzen
Schimpf beobachtet eine neue Offenheit gegenüber dem Frauenfußball insgesamt. „Wir schauen überall in Deutschland, dass es einen Wertewandel in Sachen Diversität gibt. Das spüre ich als Frau auf der Führungsebene, das spüren aber auch unsere Fußballerinnen auf dem Platz.“ Nun gilt es für die HSV-Frauen, die neue Aufmerksamkeit für sich zu nutzen. An der Seite von Horst Hrubesch arbeitet Schimpf an optimalen Strukturen.
Der Nachwuchsdirektor setzt sich persönlich für den Frauenfußball ein. „Wir arbeiten daran, so schnell wie möglich die Strukturen so aufzubauen, dass wir immer eine Liga weiter sind“, sagt Schimpf. Schon jetzt seien die Bedingungen in der Regionalligamannschaft auf Erstliganiveau.
„Da sollte einiges überdacht werden"
In dieser Saison soll der Sprung in die Zweite Liga gelingen. Knackpunkt könnten aber erneut die Playoffs werden. Schafft der HSV den Aufstieg, hätte er in der Zweiten Liga gute Chancen auf den direkten Durchmarsch in die Bundesliga. Schließlich sind die Hälfte der 14 Teams in der Zweiten Liga Zweitvertretungen der großen Clubs, die nicht aufsteigen können. Schimpf regt daher eine DFB-Reform an. „Da sollte einiges überdacht werden. Der schwierigste Schritt auf unserem Weg sind die Playoffs zur Zweiten Liga. Für die Entwicklung des Frauenfußballs ist das nicht optimal“, sagt sie.
Auf die Unterstützung der HSV-Fans kann sich Schimpf in jedem Fall verlassen. Anders als im Männerfußball insgesamt kann sich der HSV zwar nicht über ein sinkendes Zuschauerinteresse beklagen – im Gegenteil. Aber viele Fans entdecken auch den Frauenfußball für sich. So wie Simon Philipps aus der Abteilungsleitung des Supporters Clubs. Er war einer der Initiatoren des als WM-Boykott ausgelegten Winterprogramms.
„Der Frauenfußball sollte die Aufmerksamkeit nutzen"
„Viele Fans, die das erste Mal zum Frauenfußball gehen, haben vielleicht Vorurteile und sind dann überrascht, wie gut der Fußball ist“, sagt Philipps, der im Sommer auch mit nach Potsdam gefahren war und erlebte, wie der Aufstiegstraum platzte. „Man spürt eine wahnsinnige Identifikation mit der Mannschaft. Man kennt sich, man trifft sich. Es sind alle richtige HSVerinnen.“
Der Sport sei nun an einem ganz entscheidenden Punkt der Entwicklung angelangt. „Der Frauenfußball sollte die Aufmerksamkeit nutzen, um sie in die richtige Bahn zu lenken. Dann kann daraus eine gute Alternative entstehen.“ Philipps warnt aber auch vor falschen Entscheidungen. „Es wäre ein Fehler, wenn man versucht, dem Männerfußball hinterherzurennen. Vielleicht ist es eine Chance, einen anderen Weg einzuschlagen.“
„Wir wollen eine wohlige Atmosphäre in einem kleinen Stadion“
So hält es Managerin Schimpf auch nicht für die richtige Idee, über regelmäßige Spiele im Volksparkstadion nachzudenken. Die Frauen wollen ihre Nahbarkeit erhalten. Und trotzdem perspektivisch in einem größeren Stadion spielen. „Wir wollen eine wohlige Atmosphäre in einem kleinen Stadion“, sagt Schimpf. Und trotzdem sei der Volkspark für besondere Anlässe eine Vision, für die sich auch der Supporters Club einsetzen würde. „Wenn der Wunsch besteht, würden wir das natürlich unterstützen“, sagt Philipps.
Spiele im Volksparkstadion wären dann auch für TV-Übertragungen interessanter. Schon jetzt profitiert der Frauenfußball enorm vom neuen Fernsehvertrag. Mit 5,175 Millionen Euro pro Jahr sind die Einnahmen künftig 16-mal so hoch wie zuvor. DAZN und Magenta übertragen ab 2023/24 parallel alle Spiele der Bundesliga – ein Novum im deutschen TV, das der Liga eine große Verbreitung bringt. Der neue Vertrag läuft bis 2026/27.
HSV News: "Wir können alles neu aufbauen"
Bis dahin will auch der HSV von den TV-Töpfen partizipieren. „Der neue Vertrag ist extrem viel wert. Das ist der Beginn. Länder wie England und Spanien sind uns einen Schritt voraus“, sagt Schimpf. Nun können die Clubs ihre Strukturen weiter professionalisieren. Der HSV könnte bereits viele Schritte weiter sein, hätte der Verein vor zehn Jahren nicht die Bundesligamannschaft abgemeldet. „Die Entscheidung ist noch immer extrem traurig und schwer nachzuvollziehen“, sagt Schimpf mit einem Jahrzehnt Abstand. „Ich sehe es aber auch als Chance. Wir können alles neu aufbauen. Es war eine andere Zeit, aber ist auch besonders wichtig, aus dieser Zeit zu lernen.“
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Strukturell hat der HSV in den vergangenen zwei Jahren bereits große Fortschritte gemacht. Schimpf schließt mittlerweile viel mehr Verträge ab, um Abgänge wie den von Toptalent Sophie Nachtigall (18) im Sommer zu Eintracht Frankfurt zu verhindern oder zumindest in Zukunft wirtschaftlich von solchen Transfers zu profitieren. Die jungen Spielerinnen haben selbst in der Regionalliga mehr und mehr eigene Beraterinnen und Berater dabei. Der Markt wächst. Auch das ist ein Zeichen der zunehmenden Professionalisierung. Nun soll auch sportlich der nächste Schritt erfolgen: Der Aufstieg in die Zweite Liga. Am liebsten in einem gemeinsamen Aufstiegssommer mit den Männern. Catharina Schimpf hat auch diese kurzfristige Vision: „Das wäre perfekt.“