Hamburg. Bei Erdarbeiten waren untergegangene Straßenzüge aufgetaucht. Nun ist das Grabungsfeld schon wieder zugeschüttet. So geht es weiter.

Für manche wirkte es fast wie ein kleines Wunder, zumindest aber wie eine Zeitreise: Im vergangenen Sommer gab es nördlich der Altonaer St. Trinitatiskirche plötzlich einige Straßenzüge zu sehen, die seit Jahrzehnten im Boden versunken waren.

Während der Luftangriffe des Zweiten Weltkriegs in Schutt und Asche versunken, hatte man die Reste dieser Gänge und Gässchen rund um die einstigen Gassen Kibbelstraße und Kibbeltwiete nach dem Krieg zugeschüttet und planiert. Als dann in diesem Jahr die Vorarbeiten für das neue Trinitatisquartier begannen, bot sich Hamburgs Archäologen die im wahrsten Sinne des Wortes einmalige Chance, die alte Bebauung freizulegen und zu erforschen.

Altona: Zu den Fundstücken gehören Flaschen und Werkzeuge

Bei einer öffentlichen Präsentation waren dann vor Ort nicht nur die Fundamente zahlreicher Häuser und sogar einige Kellergewölbe zu sehen, sondern auch vieles, was im Boden überdauert hatte und nun geborgen war: Hausrat wie Flaschen, Kochutensilien und Teller, Werkzeuge, Teile von Möbeln, Türgriffe und ähnliches mehr.

Der Archäologe und wissenschaftlicher Leiter Jan Bock war damals von der Qualität der zahlreichen Fundstücke begeistert. „Dass wir hier so viel finden würden, hatten wir niemals erwartet“, so Bock im Juli.

Es gab stets nur ein begrenztes „archäologisches Zeitfenster“

Von Anfang an war klar, dass die Freilegung kein Dauerzustand sein könne. Da die Bauarbeiten für das neue Quartier weitergehen mussten, stand den Forschern nur ein begrenztes archäologisches Zeitfenster zur Verfügung. Wie schnell das Ganze aber schon vorbei sein würde, dürfte vielen Hamburgerinnen und Hamburger aber nicht deutlich gewesen sein. Als sich das Abendblatt am vergangenen Mittwoch vor Ort umsah, war die große Fläche bereits weitgehend wieder zugeschüttet.

Ununterbrochen bewegten Bagger Erdmassen, Lastwagen voller Schutt und Sand fuhren hin und her. Nur in einer Ecke ratterte noch ein Förderband, auf dem Sand von Steinen und Metall getrennt wurde, während die Planierarbeiten langsam näher rückten. Kehrausstimmung auf einem Grabungsfeld. Musste es wirklich so schnell gehen?

Landesarchäologe kämpft für Ausstellung

Prof. Rainer-Maria Weiss, Landesarchäologe und Direktor des Archäologischen Museums Hamburg, unter dessen Federführung die Ausgrabungen liefen, verteidigt das Vorgehen und bittet um Verständnis. Wie berichtet, werden vor Ort rund 35 Millionen Euro in ein neues Quartier investiert. Ein kleines Freilichtmuseum, von dem mancher geträumt haben mag, würde in keinem Verhältnis zu diesem Projekt stehen.

Weiss erinnert daran, dass es bei sehr vielen vergleichbaren Erdarbeiten in den Nachkriegsjahrzehnten überhaupt keine Untersuchungen gegeben habe und dass man dankbar sein könne, dass es hier möglich war. Fakt ist auch: Was der Boden freigab, ist zwar hoch interessant und bewahrenswert, aber archäologische Schätze oder sonstige Sensationsfunde waren auch nicht darunter.

Bezirksamtsleiterin: „beeindruckende Relikte“

Das Entscheidende aber: Die vielen Fundstücke sind keineswegs verloren – sie sind nicht mal vergessen. Wie Weiss sagt, laufen mit dem Bezirksamt Altona bereits Gespräche, wie sie der Öffentlichkeit nachhaltig präsentiert werden können.

Das bestätigt Bezirksamtsleiterin Stefanie von Berg (Grüne) dem Abendblatt „Die Ausgrabungen bei der St. Trinitatis Kirche haben viele beeindruckende Relikte der Vergangenheit zu Tage gefördert“, so von Berg. „Diese Exponate der Zeitgeschichte möchten wir als Bezirksamt den Menschen aus Altona und Hamburg gerne möglichst zeitnah zugänglich machen.“

Fundstücke bald im Rathaus?

Gemeinsam mit dem Archäologischen Museum werde nach einer entsprechenden Möglichkeit gesucht, die Ausgrabungsstücke zu zeigen. Aktuell sieht die Planung so aus: Langfristig könnten die Exponate auf Wunsch der Kirchengemeinde im neuen Trinitatisquartier dauerhaft gezeigt werden – also dort, wo sie herstammen.

„Das finde ich ganz hervorragend“, so von Berg, „weil es dadurch eine räumliche Nähe zwischen Ausstellungs- und Fundort geben wird.“ Da es aber noch etwas dauert, bis das Quartier fertiggestellt ist, möchten das Bezirksamt eine Übergangslösung anbieten. Angedacht ist jetzt eine – vorübergehende – Ausstellung im Windfang des Rathaus-Eingangs und zwar schon im kommenden Jahr.

Erste Forschungsergebnisse liegen vor

Zurück zum (ehemaligen) Grabungsfeld an der Trinitatiskirche. Während Lastwagen vorbeidonnern und Maschinen rattern, erzählt Archäologe Kay-Peter Suchowa beim Ortstermin anschaulich von seiner Arbeit vor Ort.

Anhand von Nachforschungen in alten Adressbüchern war es ihm und seinem Team gelungen, den Kellerresten die Berufe der dort lebenden Menschen zuzuweisen. Schuhmacher und Bader hatte es vor Ort gegeben, und über die Fundstücke konnte das auch belegt werden.

Altona: Das Geheimnis der Kiste mit den Uhren

Die vielen ebenfalls geborgenen Südseemuscheln waren typische Mitbringsel von Seeleuten, doch ein Objekt hat es Suchowa besonders angetan: ein Kasten voller Taschenuhren – relativ gut erhalten. Laut Suchowa war die Gegend beim Kibbelsteg einst, wenn auch nicht ausschließlich, „Milieu“.

Das heißt, dass es dort auch Hehlerei und Prostitution gab. „Die vielen Uhren in der Kiste waren bestimmt keine Privatsammlung“, sagt Suchowa und grinst hintersinnig. Diese Kiste und vieles mehr ist nun aufbewahrt – und wird bald für alle Interessierten zu sehen sein.