Hamburg. Corona machte ihnen einen Strich durch die Rechnung – doch nun suchen die Initiatoren einen Termin für einen Neustart.

Diese Forderung war so weitgehend und radikal, dass die Absender eigentlich mit einem Sturm der Entrüstung gerechnet hatten. „Senat und Bürgerschaft unternehmen unverzüglich alle notwendigen Schritte, damit die gesamte Hamburger Innenstadt (Altstadt und Neustadt) spätestens 12 Monate nach Beschluss durch den Volksentscheid vom motorisierten Individualverkehr (MIV) bis auf wenige, begründete Ausnahmen befreit ist.“

Verkehr Hamburg: Initiative für autofreie City nimmt neuen Anlauf

So lautete der Text, den die Volksinitiative „Klimawende JETZT – Autos raus aus der Hamburger Innenstadt“ im Januar 2020 präsentierte und für den sie fortan um Zustimmung warb. Dabei gingen die Vertrauensleute der Initiative, Bernd Kroll, Joachim Lau und Jochen-Carl Müller, selbst davon aus, dass es ordentlich Gegenwind geben werde. Doch es trat eher das Gegenteil ein.

Fast gleichzeitig mit dem Start der Initiative äußerte eine klare Mehrheit der Hamburgerinnen und Hamburger große Sympathie für derartige Vorschläge: Nach einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des Hamburger Abendblatts wünschten sich 61 Prozent der Befragten eine autofreie Innenstadt, und in einer Umfrage im Auftrag des NDR sagten sogar 67 Prozent der Befragten, dass Vorschläge für autofreie Innenstadtbereiche „in die richtige Richtung“ gingen.

Inhaltlich habe sich an ihrem Anliegen nichts geändert, heißt es

Man hätte also meinen können, dass diese Volksinitiative ein Selbstgänger wird, zumal Vorstöße aus der Bevölkerung in Hamburg oft erfolgreich sind – sei es über einen Volksentscheid wie dem gegen die Schulreform 2010 und dem für den Rückkauf der Energienetze 2013 oder weil die Politik vorher einlenkt und einen Kompromiss aushandelt. So war es kürzlich bei zwei Initiativen zum Thema Wohnungsbau gelaufen. Doch von wegen Selbstgänger: Die Initiative für eine autofreie Innenstadt ist im Sand verlaufen, vorerst jedenfalls. Doch sie plant für kommendes Jahr einen Neustart, wie Bernd Kroll dem Abendblatt sagte.

So kam es dazu: Wie alle Initiativen musste auch diese zunächst 10.000 Unterstützer-Unterschriften vorlegen. Erst danach ist nach Hamburger Recht eine Volksinitiative zustande gekommen und kann die nächsten Schritte – Volksbegehren und Volksentscheid – einleiten.

Kroll und seine Mitstreiter hätten dazu ursprünglich bis Mitte Juli 2020 Zeit gehabt. Da im Februar des Jahres die Corona-Pandemie Hamburg erreicht hatte und das Sammeln von Unterschriften im öffentlichen Raum bald nahezu unmöglich wurde, hatten sie eine Fristverlängerung bis zum 29. September 2020 erhalten. Doch angesichts der schwierigen Rahmenbedingungen stellten die Initiatoren die Aktivitäten letztlich ein. Das Verfahren sei damit „beendet“, die Initiative könne keine Unterschriften mehr einreichen, teilte die zuständige Innenbehörde jetzt auf Abendblatt-Anfrage mit.

"Die einzige Möglichkeit bleibt, die City autofrei zu machen"

Allerdings gibt es in der Hamburger Volksgesetzgebung keinen Passus, der es verbietet, dieselbe Initiative einfach noch einmal zu starten – und genau das haben Kroll und seine Mitstreiter vor. „Wir wollen das machen, wir stehen zu der Initiative“, so der frühere CDU-Bezirksabgeordnete aus Winterhude. Es gehe jetzt nur um den richtigen Zeitpunkt für den Neustart, vermutlich im kommenden Jahr.

Den müsse man so timen, dass unter Beachtung der Fristen für Volksinitiativen und Volksbegehren (dann müssen gut 65.000 Unterschriften binnen drei Wochen gesammelt werden) der mögliche Volksentscheid auf einen Wahltermin fällt – also etwa den der Bürgerschaftswahl im Februar 2025 oder den der Bundestagswahl im darauffolgenden Herbst. Denn an Wahltagen lassen sich die Bürger deutlich leichter mobilisieren als wenn „nur“ ein Volksentscheid ansteht.

Inhaltlich habe sich an dem Anliegen nichts geändert, so Bernd Kroll. Der Verkehrsbereich trage nach wie vor nichts zur CO2-Reduktion und damit zum Klimaschutz bei. „Die einzige Möglichkeit bleibt, die City autofrei zu machen, denn dann fallen viele Fahrten gar nicht mehr an.“ Zweitens hatte die Initiative auf die erhöhte Lebensqualität in einer autofreien Innenstadt hingewiesen.

Ausgesperrt werden sollen private Autos, Lkw und Motorräder

Ihre Forderung nach Autofreiheit bezieht sich im Prinzip auf den Bereich innerhalb des Rings 1 bis an den Hafenrand. Ausgesperrt werden sollen private Autos, Lkw und Motorräder – Taxis und der ÖPNV hingegen nicht.

Die Forderungen hatten im Bürgerschaftswahlkampf Anfang 2020 für mächtig Wirbel gesorgt. Die Linkspartei hatte sich „vorbehaltlos“ hinter die Initiative gestellt, während die Grünen zwar Sympathie gezeigt, aber keine Unterstützung zugesagt hatten – wohl auch, weil die Forderungen über ihr eigenes Konzept für eine „autoarme Innenstadt“ hinausgingen.

„Der Weg zu einer autofreien Innenstadt muss in den nächsten fünf Jahren angegangen werden“, sagte damals die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne), sorgte an anderer Stelle aber auch für Irritationen, als sie die Forderungen der Initiative als „irre“ ablehnte.

In der Realität ging es Schritt für Schritt weiter

Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hatte damals eine ähnliche Haltung: „Ich bin auch dafür, dass wir Teile der Innenstadt autofrei machen“, sagte er bei einer Podiumsdiskussion im Wahlkampf. Zwischen Gänsemarkt und Rathaus könne er sich das gut vorstellen. Man müsse sich an das Thema aber vorsichtig „rantasten“, eine komplett autofreie City lehne er ab.

Peter Tschentscher kritisierte die Verteilung von Flüchtlingen nach dem Königsteiner Schlüssel.
Peter Tschentscher sagte damals: „Ich bin auch dafür, dass wir Teile der Innenstadt autofrei machen." (Archivbild) © dpa / Jonas Walzberg

Gar nicht so viel anders äußerten sich CDU, FDP und AfD: Über Schritte hin zu weniger Verkehr in der City könne man reden, aber Autos komplett auszusperren lehne man ab, war ihr Tenor. „Wir brauchen Lösungen, den Kfz-Verkehr zu reduzieren, da sind wir uns doch alle einig“, sagte der damalige CDU-Verkehrsexperte Dennis Thering in ungewöhnlich versöhnlichen Tönen.

In der Realität ging es Schritt für Schritt weiter: Nachdem schon im Sommer 2019 zwei Straßen im Rathaus-Quartier für einige Wochen autofrei waren und das auf überwiegend positive Resonanz gestoßen war, einigten sich SPD und Grüne in ihrem Koalitionsvertrag im Sommer 2020 darauf, dass man die Innenstadt „autoarm gestalten“ wolle.

Der Initiative geht das nicht weit genug

„Wir werden diese Innenstadt verändern, sodass Sie in fünf Jahren eine ganz andere Innenstadt finden, mit viel mehr Lebensqualität, viel mehr Grün und viel weniger Autoverkehr“, hatte der damalige Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks angekündigt. Einiges hat er in seiner neuen Funktion als Verkehrssenator schon umgesetzt: Jungfernstieg und Bergstraße wurden für den motorisierten Individualverkehr gesperrt, ebenso einige Straßen im Passagenviertel. Auch der Ballindamm wurde umgestaltet: Inzwischen gibt es eine Fahrspur je Richtung weniger, dafür aber breite Radwege und großzügigere Fußwege.

Der Initiative „Klimawende JETZT – Autos raus aus der Hamburger Innenstadt“ geht das aber noch nicht weit genug. Gut möglich also, dass sie der Hamburger Politik vor der nächsten Wahl wieder Druck macht.