Hamburg. Stadtentwicklungsexpertin Anke Frieling fordert weniger Eingriffe ins Grün und höhere Häuser für die Stadt. Über ein neues Leitbild.

Sie hat in der CDU eine schnelle Karriere hingelegt: Erst vor zwei Jahren zog die Blankeneserin  erstmals in die Hamburgische Bürgerschaft ein, wurde gleich stellvertretende Fraktionschefin, besetzt als Fachsprecherin mit den Themen Wissenschaft und Stadtentwicklung zwei Schlüsselbereiche und ist seit Kurzem auch Kreisvorsitzende in Altona. Sie versucht, der größten Oppositionspartei eine eigene Stimme zu geben, die anders klingt als in früheren Zeiten.

Dabei wurde Anke Frieling eher aus Zufall stadtentwicklungspolitische Sprecherin, erzählt sie im Gespräch mit dem Abendblatt: „Ich hatte zuvor als Altonaer Bezirksabgeordnete Zugang zu dem Thema – als Vorsitzende des Bauausschusses und Mitglied im Planungsausschuss. Altona wird seit Langem durch wichtige Stadtentwicklungsprojekte wie die Science City und die Neue Mitte geprägt.“

Stadtentwicklung: "Wohnungsbau gut gelaufen"

Auf die Frage, was Rot-Grün für sie als Oppositionspolitikerin gut hinbekommt, fällt der 60-Jährigen rasch eine Antwort ein: „Der Wohnungsbau der vergangenen zehn Jahre ist gut gelaufen. Da hat die Stadt vieles richtig gemacht, angefangen von ambitionierten Zielzahlen bis zum Drittelmix.“ Kritisch hingegen sieht sie inzwischen die Umsetzung der Ziele. „Viele Bezirke sind wegen ihrer personellen Besetzung der Flaschenhals für mehr Wohnungsbau. Es fehlt an qualifizierten Mitarbeitern, die Flächen entwickeln, Bauplanungen machen und Genehmigungen erteilen.“

 Die Stadt hätte auf diese Defizite viel früher reagieren müssen. „Der Wille zu bauen ist ungebrochen. Aber es fehlen Flächen und Baugenehmigungen. Wir brauchen mehr Fachkräfte in den Bezirksämtern, die das endlich abarbeiten.“ Nun rächten sich die Versäumnisse der Vergangenheit. „Wir hätten schon vor Jahren für diese Themen Fachkräfte ausbilden müssen. Damals wäre es kein Problem gewesen. Nun haben wir die Stellen, aber keine Bewerber mehr.“

„Wir müssen erhalten, was die Stadt besonders macht"

Frieling rät im Zielkonflikt zwischen Wohnungsbau und Grünerhalt zu Augenmaß. „Wir brauchen mehr Wohnraum, aber müssen schauen, was vor Ort noch möglich ist.“ Sie definiert eine Grenze des unbegrenzten Wachstums: Hamburgs Grün. „Wir müssen erhalten, was die Stadt besonders macht – das ist das grüne Hamburg, das sind aber auch die Siedlungen mit viel Baumbestand und Einfamilienhausquartiere. Dort muss jede Nachverdichtung behutsam sein, sonst zerstören wir den Charakter dieser Viertel.“ Die Stadt müsse kritisch hinterfragen, wie viel Versiegelung in Zukunft noch wünschenswert und möglich sei. „Wir als CDU wollen bei der Versiegelung so vorsichtig sein wie eben möglich.“

So sieht Frieling die großen Stadtentwicklungsprojekte wie etwa im Diekmoor im Norden, wo 700 Wohnungen entstehen sollen, oder Oberbillwerder im Osten mit bis zu 7000 Wohnungen kritisch. „Das ist zu viel des Guten“, kritisiert die Christdemokratin. „Bevor man weitere Grünflächen anknabbert, müssen wir Flächen etwa an den Hauptstraßen intensiver bebauen oder Büros umnutzen.“

„Hamburg muss unkonventioneller werden"

Sie schlägt vor, auch Parkplätze zu überbauen – etwa mit aufgeständerten Häusern. „Hamburg muss unkonventioneller werden und offen für neue Lösungen sein.“ Einen weiteren Ansatzpunkt sieht die Christdemokratin im Bau höherer Häuser mit acht oder zehn Geschossen. „In manche Gebiete passen durchaus höhere Häuser, die etwa an großen Kreuzungen oder Straßen auch als Lärmriegel funktionieren.“

Die Mutter dreier Söhne sieht Grenzen des Wachstums. „Darüber denke ich seit Langem nach – auch angesichts unserer Klimaziele. Die extreme Verdichtung der Megastädte kann kein Modell für Hamburg sein. Wir müssen einen Kompromiss finden zwischen einer Politik, die alles erlaubt, und einer, die nichts mehr zulassen möchte.“ Das auch von Bürgermeister Peter Tschentscher kommunizierte Ziel der Zwei-Millionen-Stadt teilt Frieling nicht uneingeschränkt. „Zwei Millionen Einwohner sind kein Selbstzweck. Aber attraktive Städte ziehen Menschen an: Wenn Hamburg zu einer Wissenschaftsmetropole wird, ist das mit Zuzug verbunden. Dem sollten wir uns nicht versperren.“

Leitbild "Wachsende Stadt" muss abgelöst werden

Derlei klingt anders als noch vor zwei Jahrzehnten: Damals hatte die CDU sich das Ziel der „Wachsenden Stadt“ auf die Fahnen geschrieben. Das Leitmotiv trieb die Stadt an. Erst 2009 wurde aus der „Wachsenden Stadt“ das heute längst vergessene „Wachsen mit Weitsicht“. Frieling fordert auf ihrer Website, die „Weichen mit Weitsicht in die richtige Richtung zu stellen“. Die Wortwahl ist kein Zufall. „Man muss die Botschaften aus ihrer Zeit verstehen. Zur Jahrtausendwende war die wachsende Stadt ein gutes Leitbild, heute passt es nicht mehr ganz, weil es zu undifferenziert ist.“

Den Elbtower, ein 245 Meter hohes Wahrzeichen einer wachsenden Stadt, sieht sie positiv. „Ich bin ja erst in eine politische Funktion gewählt worden, als die Weichen für den Wolkenkratzer längst gestellt waren.“ Schon der Masterplan sah als Abschluss der HafenCity an den Elbbrücken ein auffälliges Hochhaus vor. „Der jetzige Entwurf ist markant, der Prozess mit dem Investor weit gediehen.“ Als Betriebswirtin und Demokratin sei sie eine überzeugte Anhängerin des Rechtsstaats und der Planungssicherheit.

Vorstoß bei Tiny Houses sorgte für Aufsehen

„Die Gegner der Elbtowers hätten das Projekt früher stoppen müssen.“ Sollte der Investor bis September die geforderten Bedingungen wie Vermietungsquote und eine gesicherte Gesamtfinanzierung erfüllen, spräche nichts gegen den Bau. Allerdings kritisiert Frieling die Behörde: „Bei der Erteilung der Baugenehmigung sind wir alle vom Stuhl gefallen“, sagt sie. Ein Mitarbeiter machte die Baugenehmigung im Transparenzportal der Stadt schon am 8. März öffentlich – noch bevor Bürgerschaft und sogar Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) davon erfuhren.

Die promovierte Betriebswirtin sieht ihre Aufgabe als Opposition nicht allein in der Kritik am Regierungshandeln, sondern auch in konstruktiven Vorschlägen. Aufsehen erregte ihr Vorstoß, in Außenbezirken den Bau von Minihäusern, sogenannten Tiny Houses, als „flexible und kreative Wohnform“ zuzulassen. „Uns haben immer wieder Menschen angesprochen, die ein solches Haus bauen möchten oder geeignete Flächen dafür im Blick hatten.“

„Hamburg ist manchmal zu wenig mutig"

Gerade in den Einfamilienhausquartieren gebe es Raum für solche Wohnformen, etwa für Familienangehörige oder für Alleinstehende, denen das alte Haus zu groß geworden sei. „Tiny Häuser könnten zudem eine temporäre Lösung für schwierige Grundstücke sein, die brachliegen.“ Frieling verweist auf das Beispiel eines bayerischen Pflegeheims, das wohnungssuchende Angestellte in Tiny Houses auf dem eigenen Grundstück untergebracht hat. Sie sieht darin ein Modell: „Hamburg ist manchmal zu wenig mutig, neue Wege einzuschlagen.“

Das gilt auch für die Innenstadt, kritisiert die CDU-Politikerin. „Es gibt ein großes Engagement aller Beteiligten, sich für die City einzusetzen. Es gibt aber keine Vision und niemanden, der den Hut aufhat und die Prozesse steuert.“ Sie fordert seit Langem einen Innenstadtbeauftragten, eine Stelle, die der Senat nun geschaffen und mit der Stadtplanerin Elke Pahl-Weber besetzt hat. Frieling begrüßt die Personalie und hofft auf Durchsetzungskompetenz.

Beide Teile der City besser verbinden

Vorrangig müsse mehr Wohnraum geschaffen werden. „Es ist zwar einiges passiert, das reicht aber nicht, um die Innenstadt zu beleben.“ Die zweite Aufgabe liege darin zu verhindern, dass die City hinter die HafenCity zurückfällt. „Vieles, was neu entsteht, zieht an die Elbe. Deshalb müssen wir beide Teile der City besser verbinden. Wir brauchen neue Wegeverbindungen, die die großen Verkehrsachsen überwinden.“

Frieling schlägt vor, mit dem Katharinenweg eine alte Verbindung neu zu beleben. „Der Weg ist nicht weit, er ist nur unattraktiv und kaum bekannt. Da würde eine Beschilderung und Begrünung Wunder wirken.“ Auch der Alsterwanderweg sei auf dem letzten Stück unattraktiv. Zugleich dringt sie darauf, die alte Ost-West-Straße in einem Tunnel unter die Elbe verschwinden zu lassen, was der Senat für unfinanzierbar hält. „Das wäre ein wahnsinniger Gewinn für die Stadt.“

„Der Bus- und Taxiverkehr killt die Atmosphäre"

Anke Frieling rät, die Stadt stärker als Ganzes zu denken. „Nun werden die Plätze herausgeputzt. Das ist gut. Aber noch besser wäre, die Plätze zu vernetzen. Wir müssen zunächst an die Verbindung im Stadtraum denken – und dann an die Neugestaltung.“ Bislang werde leider vieles isoliert betrachtet: „Der Ballindamm wird umgestaltet und bleibt Straße, der Jungfernstieg wird neu gemacht und verkehrsberuhigt – das passt nicht zusammen und ist bloße Symbolpolitik.“

Zugleich plädiert Frieling dafür, den Busverkehr aus der Mönckebergstraße herauszunehmen, wenn die Meile an den Nahverkehr etwa über Kleinbusse angebunden bleibt. „Der Bus- und Taxiverkehr killt die Atmosphäre – man schlendert dort nicht, man darf nie unaufmerksam sein.“ Trotzdem müsse die Innenstadt für Autofahrer erreichbar bleiben. „Die Menschen dürfen selbst entscheiden, wie sie in die City kommen. Es gibt aber Bereiche, an denen alle von der Verkehrsberuhigung profitieren.“ Ausdrücklich lobt sie das autofreie Ottensen: „Die Ottenser Hauptstraße gewinnt, wenn wir den Verkehr herausnehmen. Straßenraum und Bürgersteige sind einfach zu schmal.“

Stadtentwicklung: Hamburg muss auch an Senioren denken

Die gebürtige Sauerländerin und Wahlhamburgerin möchte die Stadt auch aus dem Blickwinkel der Senioren gestalten: Heute sind 18 Prozent der Menschen in Hamburg 65 Jahre und älter, schon 2030 könnten es 22 Prozent sein. „Deshalb wird es immer Bereiche in der Stadt geben, wo wir das Auto benötigen“, sagt Frieling. „Es gibt Stadtteile, in denen man ohne Auto kaum mobil ist.“ Seniorenfreundlich bedeutet für die promovierte Betriebswirtin unter anderem, dass der Öffentliche Personennahverkehr schnell und gut erreichbar ist.

Und noch eine Idee will die 60-Jährige in Hamburg vorantreiben: „Wir müssen mehr Möglichkeiten für ältere Leute schaffen, in die Stadt zu ziehen. In Berlin gibt es am Ku’damm viele Seniorenwohnungen – dort haben sie alles vor der Tür, befinden sich mitten im Leben und benötigen kein Auto mehr. Das wäre eine Stadt der kurzen Wege.“