Hamburg. Das erste Urteil gegen den Mann wurde 2015 kassiert. Seitdem musste das Verfahren immer wieder zurückgestellt werden. Die Gründe.

Sie sind wichtige Stützen für die Hamburger Justiz: die ehrenamtlichen Richter. Sie haben das Schicksal von Angeklagten mit in ihren Händen, denn sie tragen zu Verurteilungen bei – oder zu Freisprüchen. Weil ihr Amt so wichtig ist, muss jeder Schöffe den Eid ablegen, „nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen“. Auch Johann D. hat diesen Schwur einst geleistet. Doch der 38-Jährige soll sein Amt aufs Gröbste beschädigt haben. War der Mann bestechlich?

Prozess Hamburg: Schöffe verlangt 20.000 Euro für Freispruch

Freispruch gegen Bezahlung: Diese Offerte soll Johann D. im Juni 2014 in einem Korruptionsprozess, in dem er als Schöffe mit auf der Richterbank saß, an einen der drei damaligen Angeklagten gerichtet haben. Laut Staatsanwaltschaft fuhr der Laienrichter zum Wohnort des Angeklagten B. und forderte von ihm jeweils 20.000 Euro für sich selber und einen weiteren Schöffen. Im Gegenzug wolle er das bereits vom Gericht vorberatene Urteil zu Gunsten des Angeklagten beeinflussen, indem er den anderen Schöffen dazu überredet, gemeinsam für einen Freispruch zu stimmen.

B. ging zum Schein auf den Deal ein und vereinbarte eine Geldübergabe im Hamburger Hauptbahnhof. Tatsächlich berichtete er jedoch seinem Verteidiger von dem unmoralischen Angebot. Schöffe Johann D. wurde daraufhin vorläufig festgenommen. Und der Prozess, für den er vereidigt worden war, platzte am 16. Verhandlungstag. Das mutmaßliche Verbrechen des Schöffen galt als einzigartig in der Hamburger Justizgeschichte.

Bestechlicher Schöffe begründet Tat mit Abhängigkeit

Nun sitzt Johann D. also selber vor seinen Richtern, räumt die Vorwürfe ein und ringt mit einer Erklärung dafür, wieso er sein Ehrenamt derartig ramponierte. Er habe damals eine „Abhängigkeit“ gehabt, „so ähnlich wie spielsüchtig, aber mit Aktien und Rohstoffen“ und habe deshalb in finanziellen Schwierigkeiten gesteckt, erzählt der 38-Jährige.

Dass es in dem Verfahren, in dem er als Schöffe eingesetzt war, ausgerechnet um Bestechung ging, habe er als „gute Gelegenheit“ erachtet. Also habe er den Angeklagten B., mit dem er bereits mehrfach in Verhandlungspausen beim Rauchen ins Gespräch gekommen sei, an dessen Wohnort in Glinde aufgesucht.

Ehrenamtliche Richter haben gleiches Stimmrecht wie Berufsrichter

Er habe B. erzählt, dass dieser „höchstwahrscheinlich verurteilt wird“. Es gebe aber die Möglichkeit, einen Freispruch zu erzwingen — nämlich dann, wenn beide Schöffen gemeinsam dafür votieren. Tatsächlich haben ehrenamtliche Richter in einem Prozess das gleiche Stimmrecht wie die Berufsrichter. Für eine Verurteilung ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich. In einer mit drei Berufs- und zwei Laienrichtern besetzten Kammer, wie seinerzeit im Prozess, reicht es demnach für eine sogenannte „Sperrminorität“, wenn zwei auf der Richterbank für einen Freispruch stimmen.

Mit dieser Offerte sei B. einverstanden gewesen, berichtet der Angeklagte weiter. B. habe beiden Schöffen eine Bestechungssumme von je 20.000 Euro angeboten. „Ich habe ihm meine Visitenkarte gegeben, bin wieder weggefahren“, erzählt Johann D.

Schöffe war am Hauptbahnhof für Geldübergabe verabredet

Später habe er einen Anruf erhalten und sich am Hauptbahnhof zu einer Geldübergabe verabredet. Als aber nicht B. selber dort erschien, sondern sich jemand als Freund des Mannes ausgab, sei ihm das „merkwürdig“ vorgekommen. Unter einem Vorwand habe er das Treffen abgebrochen. Damit, dass er das Geld noch erhalten werde, habe er nicht mehr gerechnet.

Tatsächlich war der angebliche Geldbote ein Polizist — und die Machenschaften des Schöffen waren längst aufgeflogen. Als Johann D. das nächste Mal zum Prozess kam, war er bereits wegen Befangenheit ablehnt worden. Die Verhandlung gegen B. musste später komplett neu beginnen. Letztlich wurde der Mann wegen Bestechung zu zwei Jahren und vier Monaten Haft verurteilt.

Schöffe wurde bereits 2015 wegen Bestechlichkeit verurteilt

Dem jetzigen Angeklagten Johann D. könnte eine höhere Strafe drohen. Schon einmal stand er wegen genau dieses Vorwurfs vor Gericht und erhielt damals wegen Bestechlichkeit drei Jahre Freiheitsstrafe.

„Sie haben ein Geschäft mit der Freiheit eines Menschen machen wollen. Das ist besonders verwerflich“, mahnte seinerzeit die Vorsitzende Richterin. Doch der Bundesgerichtshof hob das Urteil auf, weil bestimmte Aspekte nicht hinreichend geprüft worden seien. Konkret geht es darum, ob es eine zusätzliche Straftat darstellt, dass Johann D. den anderen Schöffen auf die Seite des Angeklagten bringen wollte.

Verfahren gegen Schöffen musste immer wieder zurückgestellt werden

Damit beschäftigt der Fall die Justiz schon extrem lange. Das erste Urteil war am 23. November 2015 kassiert und ans Landgericht zurückverwiesen worden. Anfang 2016 ging die Akte bei der jetzt zuständigen Kammer ein. Seitdem habe das Verfahren gegen Johann B., der nicht in Untersuchungshaft sitzt, immer wieder zurückgestellt werden müssen, weil andere Prozesse, sogenannte Haftsachen, vorrangig verhandelt werden müssen, erklärt der Vorsitzende Richter.

Seine Kammer habe seit 2016 mittlerweile 50 Verfahren mit insgesamt 68 Angeklagten verhandelt, darunter sechs Prozesse im Zusammenhang mit Encro-Chat und ein Sexualstrafverfahren, das sich über 52 Prozesstage hingestreckt habe. Insgesamt, so der Richter, gebe es eine Überlastung der Großen Strafkammern, „die seit Jahren andauert“.

Das bestätigt auch Gerichtssprecher Kai Wantzen. Die Situation bei den Großen Strafkammern sei seit Jahren sehr angespannt. Dieser Fall sei allerdings „ein Extrembeispiel für die Auswirkungen der hohen Belastung des Landgerichts mit sogenannten Haftsachen“. Der Prozess wird fortgesetzt.