Hamburg. Modernisierung des Tierparks wird immer dringlicher, einige Gehege sind viel zu klein. Hinter den Kulissen dauert der Streit an.
Auch, wenn Hagenbeck regelmäßig niedliche Tierbabys präsentiert oder Prominente zu deren Taufpaten macht (im September etwa taufte DFB-Kapitänin Alexandra Popp einen kleinen Tiger) – in den Medien wird die Berichterstattung über den berühmten Tierpark seit mehr als zehn Jahren von immer neuen Einzelheiten hässlicher Streitereien dominiert.
Erst ging es um die beiden Familienstämme und die von ihnen jeweils eingesetzte Geschäftsführung, die sich spinnefeind waren und weiterhin sind. Und kaum waren im Frühjahr 2020 zwei externe Geschäftsführer eingesetzt worden, um Ruhe in die Leitungsebene zu bringen, musste der eine wegen Krankheit wieder ausscheiden – und der andere, Dirk Albrecht, steht seitdem wegen seiner Auseinandersetzungen mit der Belegschaft in den Schlagzeilen.
33 Verfahren wurden gegen die Geschäftsführung eingeleitet
Unter den 33 Verfahren, die gegen die Geschäftsführung eingeleitet wurden, ermittelt die Staatsanwaltschaft in drei Fällen wegen der Vorwürfe der Behinderung des Betriebsrats und wegen Betrugs im Zusammenhang mit Kurzarbeitergeld. Zudem verweigert Geschäftsführer Albrecht seit Monaten die Aufnahme von Tarifverhandlungen. Mittlerweile streiten die beiden Parteien vor Gericht, Mitte Januar steht ein nächster Termin an.
Darüber hinaus wird die Modernisierung der 1907 eröffneten Anlage immer dringlicher. Viele Tierhäuser und -gehege entsprechen nicht mehr den modernen tierschutzrechtlichen Anforderungen. Der historische Pavianfelsen etwa und die Gehege für Löwen und Giraffen sind viel zu klein. Geschäftsführer Albrecht – in diesen Zeiten besonders bemüht, positive Nachrichten zu verbreiten – kündigt auf Abendblatt-Nachfrage Investitionen von mehr als 25 Millionen Euro an.
Geplant sind ein Giraffengehege und die Sanierung des Eingangsportals
„Aktuell arbeiten wir parallel an mehreren Neubau-, Umbau- und Sanierungsprojekten“, so Albrecht Bei den größeren Projekten handele es sich unter anderem um den Neubau einer Giraffenanlage, die Sanierung des Historischen Jugendstiltors und die Erweiterung des Orang-Utan-Hauses. Auch eine Klima – und Technikmodernisierung im Tropen-Aquarium ist angedacht. Für das von Ingenieurbüros auf 900.000 Euro geschätzte Projekt bittet die Stiftung Hagenbeck, die seit 1998 Spenden eintreibt, um den Tierpark zu unterstützen, derzeit auf ihrer Homepage um Geld.
Ohne „die großzügige Unterstützung der Stiftung Hagenbeck, mit der es jetzt wieder eine sehr gute Zusammenarbeit gibt“ seien die Investitionen nicht möglich, so Albrecht und verweist darauf, dass Hagenbeck „als einziger deutscher Großzoo keine laufende finanzielle Unterstützung durch öffentliche Mittel“ bekomme. „Bei anderen Zoos finanzieren die Städte die gewünschten Innovationen.“
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Hagenbeck müsse die Kosten des gesamten Geschäftsbetriebes in Höhe von rund 42.000 Euro täglich aus Eintrittsgeldern bestreiten – und in den letzten drei Jahren habe es durch coronabedingte, monatelange Schließungen des Tierparks „Einnahmeeinbrüche von mehreren Millionen Euro gegeben, die nicht vollständig durch staatliche Unterstützungen ausgeglichen werden konnten“.
Betriebsratsvorsitzender Günther bei Planungen eingebunden
Allerdings: Im Bundesbilanzanzeiger ist zu lesen, dass Hagenbeck – nachdem sich schon 2019 die Bilanzsummer (also die Gesamtsumme aller Vermögenswerte der Gesellschaft) gegenüber dem Vorjahr um knapp drei Millionen Euro erhöht hatte – insgesamt sei „mit konstant hohen Besucherzahlen“ rechne. Und dass, obwohl 2020 und 2021 die Besucherzahlen zurückgingen, in beiden Jahren „ein noch leicht positives und ein zumindest ausgeglichenes Jahresergebnis“ erzielt werde und Eigenkapital und Liquidität „weiterhin deutlich positiv“ verblieben.
Ebenfalls erfreulich ist die Auskunft, dass in den ersten fünf Monaten des Jahres 2022 die Umsatzerlöse insgesamt über dem Niveau von 2019 lagen – was, neben den guten Besucherzahlen, auch auf eine Anhebung der Eintrittspreise zurückzuführen sei.
Wie auch immer. Geld und guter Wille sind offenbar da. Die Zeiten, in denen der Streit zwischen den Familien-Geschäftsführern viele notwendige Sanierungs- und Neubaumaßnahmen verhinderten, scheint vorbei zu sein.
Derzeit würden mit internen und externen Experten Planungsgespräche geführt, sagt Albrecht und betont, dass beim neuen Giraffengehege auch der Betriebsratsvorsitzende (und Giraffenpfleger) Thomas Günther einbezogen sei. Das wird fachlich begründet, kann aber auch Kalkül oder der Versuch einer Annäherung sein. Denn das Verhältnis zwischen den beiden Männern ist zerrüttet; der Betriebsratschef hatte sogar vorübergehend eine Kündigung kassiert, die Albrecht später zurückgenommen hatte.
Ins neue Giraffengehege soll nach Fertigstellung eine Zuchtgruppe einziehen
Die Geschäftsleitung, betont Albrecht, habe angesichts der Coronapandemie „aus kaufmännischer Sicht verantwortungsvoll und notwendig“ größere Investitionen und Sanierungen zurückgestellt – und sobald neue Corona-Schließungen nicht mehr zu befürchten waren, mit den Gesellschaftern neue Gehege und die Sanierung weiterer Reviere beschlossen. Teilweise habe bereits deren Umsetzung bereits begonnen.
Doch „dass mit„dem Beschluss zur Errichtung neuer Gehege gleich die Bagger anrollen“, so der Geschäftsführer, sei „vorsichtig gesagt naiv“. Im Gegenteil. Planungen für ein neues Giraffenhaus oder einer Nashornanlage, wie man sie sich wünsche, verginge bis zur Baugenehmigung etwa ein Jahr, und die Baufirmen vergäben aktuell erst Termine für 2024.
Dennoch ist Eile geboten. So ist das alte Giraffengehege bereits seit einem Jahr nicht mehr besetzt. Der letzte Bewohner, Giraffenbulle Charli, war im Juli 2021 in einen niederländischen Safaripark gebracht worden. Nach Fertigstellung des umgebauten Giraffenhauses soll dort eine neue Zuchtgruppe einziehen.
Die Tradition, Streit vor Gericht auszutragen, bleibt bestehen
Neben dem Neubau der Giraffenanlage, der Sanierung des Eingangsportals und der Erweiterung des Orang-Utan-Hauses stehen auch die Erneuerung des Rundbeckens im Tropen-Aquarium und die Erweiterung der Eisbären- und Elefantenanlage auf der to-do-Liste. „Darüber hinaus wollen wir etliche kleinere Projekte angehen, mit deren Umsetzung teilweise schon begonnen wurde“, so Albrecht.
Dazu gehören ein Laufsteg durch den Reptilienwald, ein Elefanten-Lehrpfad, eine Gehegeerweiterung bei den Leoparden, die Erneuerung der Sandfilteranlage bei den Menschenaffen, ein Vogelteich bei den Flamingos, die Dacherneuerung im Zebra- und Straußenhaus und eine Ibis-Voliere. Insgesamt rechnet der Tierpark für diese Maßnahmen mit einer Gesamtinvestition von etwa 1,6 Millionen Euro.
Aber trotz dieser positiven Nachrichten – die schlechte Tradition, Streitigkeiten vor Gericht auszutragen, bleibt bestehen. Während sich die Hagenbeck nach Abendblatt-Recherchen in den vergangenen zehn Jahren mindestens 126-mal vor dem Landgericht verklagt haben und mehr als eine Million Euro in Anwaltskosten vergraben haben, geht es auch zwischen Geschäftsführer Dirk Albrecht und dem Betriebsrat weiterhin hoch her.
Steigende Gerichtskosten, weil immer wieder neu verhandelt wird
Schon insgesamt zwölf Mal haben sich die Streithähne aus dem Tierpark Hagenbeck vor Gericht getroffen. Am 17. Januar ist es erneut soweit, weil – trotz eindeutiger Rechtslage – in der letzten Verhandlung vor dem Arbeitsgericht keine gütliche Einigung erzielt werden konnte. Also muss jetzt erneut verhandelt werden. Es geht um drei Themen.
Erstens: das Recht des Betriebsrats auf Einsicht in die Gehaltslisten der Belegschaft, was Geschäftsführer Dirk Albrecht den Arbeitnehmern seit Monaten verweigert. Eigentlich eine klare Sache. Dennoch erklärte der Anwalt, der Albrecht vor dem Arbeitsgericht vertrat, er müsse sich mit diesem erst abstimmen. Das heißt, ein neuer Termin und damit weitere Kosten entstehen
Ähnlich verhielt es sich beim zweiten Punkt, bei dem es um die Kosten für einen großen Sitzungssaals ging, den der Betriebsrat im Frühjahr 2021 anmietete, um nicht gegen die Abstandsregeln zu verstoßen. Albrecht weigert sich, die Kosten von insgesamt 428,40 Euro für vier Sitzungen zu übernehmen. Auch hier kam es zu keiner gütlichen Einigung, stattdessen steigen die Kosten weiter, weil Mahngebühren und Zinsen anfallen.
Beim dritten Punkt, der erneut verhandelt wird, geht es um einen Aushang des Betriebsrats, mit dem dieser die Belegschaft im Mai ausführlich über den Streit mit Albrecht informiert hatte. Der Geschäftsführer, der sich verleumdet fühlte, strebt ein Amtsenthebungsverfahren des Betriebsrates an. Aus Betriebsratskreisen heißt es, man blicke diesem Termin „gelassen“ entgegen. Aber „es werde versucht, die Arbeitnehmer-Interessenvertretung kaputt zu machen“.
Müssen Tiere Streit zwischen Belegschaft und Leitung ausbaden?
Glaubt man Berichten von Hagenbeck-Mitarbeitern, müssen die Tiere die Folgen dieses Streits ausbaden. „Die miese Stimmung und die schlechte Presse hat in den letzten zwei Jahren ein Drittel der Belegschaft vergrault“, sagt einer, der anonym bleiben möchte.
Ein Teil davon sei zwar ersetzt worden, doch gerade die Tierpflege, der größte Bereich des Tierparks, sei unterbesetzt. „Eine katastrophale Situation.“ Es sei schon mehrfach vorgekommen, dass die Elefanten selbst bei gutem Wetter nicht nach draußen konnten – was auch Abendblatt-Lesern aufgefallen war.
Und auch Schaufütterungen und das medizinische Training der Meeressäuger, beides laut Mitarbeiter „ein Spaß für die Tiere“, seien schon mal wegen Personalmangel ausgefallen. „Das Wohl der Tiere ist noch nicht gefährdet, denn die Tierpfleger tun alles dafür, dass es ihnen gut geht“, betont der Mitarbeiter. „Aber was sie in einem Acht-Stunden-Tag nicht schaffen, müssen sie halt weglassen.“
Mitarbeiter beklagen Belastung durch Persona-Knappheit
Manchmal riskant wirke sich die Situation dagegen auf die Mitarbeiter aus. „Viele, auch Jüngere, fallen wegen Überlastung oder Krankheit aus“, sagt der Angestellte. Reviere, in denen sonst mehrere Pfleger arbeiteten, würden zeitweilig eigenverantwortlich von Auszubildenden geführt. „Da fehlt dann die Aufsicht – vom eigentlichen Ausbildungsauftrag ganz zu schweigen.“ Die Arbeit mit großen Tieren, nicht nur mit Raubtieren, sondern auch mit Rindern und Pferden, sei für Auszubildende „nicht immer ungefährlich“.
Dass Auszubildende eigenverantwortlich arbeiten müssten, weist der Zoologische Direktor, Guido Westhoff, zurück. Jeder der Auszubildenden erhalte neben der Theorie in jedem Tierparkrevier eine Schulung und müsse diesen als Teil seiner Ausbildung im zweiten und dritten Lehrjahr auch selbstständig betreuen – „allerdings immer nur mit Supervising durch einen ausgebildeten Tierpfleger“. Was Westhoff dagegen bestätigt, ist, dass es wegen „besonderer Personal-Engpässe“ in den letzten Monaten vereinzelt Tage gegeben habe, an denen die Elefanten nur „verkürzt auf die Außenanlage kommen konnten“.
Solche Engpässe habe es aber vereinzelt schon immer gegeben, sie hätten nichts mit der allgemeinen Personal-Knappheit im Tierpark zu tun. Auch einzelne Trainingstermine seien ausgefallen. Das beeinträchtige aber nicht die Gesamtqualität des medizinischen Trainings.
Dirk Albrecht: Facharbeitermangel hat Tierparks erreicht
Geschäftsführer Albrecht räumt ebenfalls ein, dass die Personaldecke in der Tierpflege „dünn“ sei. Doch hier sei Hagenbeck kein Einzelfall. „Der Facharbeitermangel hat die Tierparks erreicht. Derzeit gibt es deutschlandweit etwa 200 unbesetzte Stellen für Tierpfleger, eine für alle Zoos dramatische Entwicklung.“
Hagenbeck wäre in den letzten Monaten von einigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verlassen worden – wegen Renteneintritt, Wechselwünschen und Schwangerschaften. „Die Stellen sind ausgeschrieben und werden wieder besetzt werden“, betont Albrecht. Im kommenden Jahr werde der Tierpark zudem eine deutschlandweite Werbekampagne starten, um Tierpfleger zu gewinnen.
Doch Hagenbeck-Mitarbeiter vermuten, dass sich wegen der schlechten Bezahlung nicht viele Auszubildende und Tierpfleger bewerben werden. „,Tarifgebunden’ ist heute ein wichtiger Wertefaktor“, sagt einer von ihnen. So habe in der Vergangenheit habe das Gehalt für Auszubildende nur „knapp über dem Mindestlohn“ gelegen. Mittlerweile sei es, sagt er, „aber etwas besser“.
Gewerkschaft schaltet sich medienwirksam in Streit um Bezahlung ein
„Bis vor einigen Jahren galten bei Hagenbeck betriebliche Vereinbarungen, die tarifliche Inhalte hatten“, sagt Pascal Lechner, bei der IG BAU (Bauen, Agrar, Umwelt) zuständig ist für den „Grünen Bereich“ und damit auch für den Tierpark. So würden neue Kollegen deutlich schlechter gestellt als langjährige Beschäftigte.
Die Folge: Mittlerweile wären etwa 80 Zoomitarbeiter gewerkschaftlich organisiert. Für sie hatte die Gewerkschaft eine Art Betriebsvereinbarung entwickelt, die sie im April medienwirksam vor dem Tierpark überreichte – allerdings nicht an Geschäftsführer Albrecht, sondern an eine Mitarbeiterin aus der Verwaltung.
„Seit diesem Tag gab es keine Gespräche mehr“, so Lechner. Im August hatte es einen zweistündigen Warnstreik gegeben. Ein längerer Streik zur Erzwingung einer besseren Bezahlung falle aber aus. „Ähnlich wie Patienten in einem Krankenhaus sind auch die Tiere in einem Zoo auf Betreuung angewiesen.“
Hagenbeck: Eimsbüttler Politik äußert Solidarität
Weil Albrecht eine von der Gewerkschaft genannte Frist verstreichen ließ, hat diese jetzt einen ungewöhnlichen Weg eingeschlagen: „Weil Dirk Albrecht offenbar an einem Erhalt des Konflikts interessiert ist, haben wir die Gesellschafter gebeten, auf ihn einzuwirken“, sagt Pascal Lechner. Auch die Politik hat sich schon eingeschaltet. So unterstützt ein Großteil der Eimsbüttler Bezirksversammlung die Forderung nach einem Tarifvertrag.
Und auch die Linksfraktion der Bürgerschaft äußerte sich. Angesichts der Coronahilfen in Millionenhöhe und der Tatsache, dass sich die Stadt an der Finanzierung der Zooschule beteilige und den Tierpark mit kostenfreier Werbung unterstütze, sei es „auch eine politische Frage“, dass die Beschäftigten nach Tarif bezahlt würden.