Hamburg. Am Dirigentenpult festgeklebte Aktivisten werden zum Politikum. Wie das Konzerthaus und die Hamburger Polizei den Vorfall bewerten.

Um kurz nach 20 Uhr am Mittwochabend wird die Konzertbühne im Großen Saal der Elbphilharmonie für wenige Minuten zur größten Bühne des Klimaprotests in Deutschland. Aus der Sitzgruppe in der ersten Reihe lösen sich eine Frau und ein junger Mann, beide tragen orange Warnwesten. Ohne zu zögern, huschen sie kurz vor Beginn des Beethoven-Konzerts der Sächsischen Staatskapelle Dresden zum Dirigentenpult und kleben sich am Geländer fest. Auf einem später veröffentlichten Video sind vereinzelt genervte Rufe aus dem Publikum zu hören. „Raus“ und „Oh nee“.

„Letzte Generation“: Klima-Protest in der Elbphilharmonie

Aber für die Zuhörer im Saal ist die Botschaft der beiden Aktivisten der „Letzten Generation“ ohnehin nicht bestimmt – ihr Adressat ist die breite Masse, die nur Minuten später auf Twitter ein Video der Aktion zu sehen bekommt. Die Elbphilharmonie ist der symbolträchtige Schauplatz, das Vehikel für eine maximale Verbreitung des Protests, die reinste Aufmerksamkeitsschleuder.

„Genau wie es nur ein Geigenkonzert von Beethoven gibt, haben wir nur diesen einen Planeten, dessen Grenzen wir so sehr missachten, dass klimabedingte Katastrophen häufiger und tödlicher werden“, sagen die beiden. Und weiter: „Es wird keine Elbphilharmonie mehr geben, um Beethoven zu genießen, wenn Hamburg unter Wasser steht. Die Krise eskaliert jetzt gerade, vor unseren Augen!”

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Klimaprotest in der Elbphilharmonie: Nach fünf Minuten war der Auftritt vorbei

Keine fünf Minuten später ist ihr Auftritt vorüber: Ein Mitarbeiter des Orchesters löst eine Verbindungsstange des Dirigentenpultes und geleitet die beiden friedlichen Aktivisten aus dem Saal. Draußen genügt etwas Öl, um den Sekundenkleber von den Händen zu entfernen. Alarmierte Polizisten nehmen die Personalien der 34 Jahre alten Frau und des 21 Jahre alten Mannes auf, sprechen noch einen Platzverweis für das nähere Umfeld des weltberühmten Konzerthauses aus; beide sind polizeibekannt.

Die Elbphilharmonie selbst will auf Sanktionen verzichten: „Wir haben keine Strafanzeige erstattet und kein Hausverbot ausgesprochen“, sagt Sprecher Martin Andris auf Abendblatt-Anfrage. Letztlich habe es sich um einen „kurzen Zwischenfall“ gehandelt, eine Änderung des Sicherheitskonzeptes sei nicht geplant. „Im Kern respektieren wir aber das Anliegen der jungen Protestierenden, zumal es respektvoll vorgetragen wurde“, so Andris weiter.

Der spektakulärste Coup der „Letzten Generation“ in Hamburg

Der Protest in der Elbphilharmonie war zwar nicht der folgenreichste, aber sicher der spektakulärste Coup der „Letzten Generation“ in Hamburg bisher. Noch am Abend gingen die ersten Berichte online. Wie üblich hatte die Gruppierung auch diese Aktion perfekt choreografiert und medial aufbereitet.

Ein Video und druckreife Zitate der beiden Aktivisten erschienen nur Minuten später auf Twitter und der Homepage der „Letzten Generation“. Ganz ähnlich hatte die Gruppierung in den vergangenen Wochen schon das Besudeln weltberühmter Kunstwerke etwa von Klimt, Rubens und Monet mit Kartoffelbrei, Öl oder Tomatensuppe in Szene gesetzt. Dafür erntete sie vor allem massiv Kritik, generierte aber auch ein Maximum an Aufmerksamkeit.

Bei der Hamburger Polizei sieht man die Aktivitäten der Gruppe zwar keineswegs unkritisch. Den Beamten ist noch gut das Vergießen von 60 Liter Rapsöl und eine Festklebaktion auf der Köhlbrandbrücke im Februar in Erinnerung. Doch sei ihr Ziel keine „konkrete Gefährdung“ von Menschen, heißt es aus Polizeikreisen.

Demokratischer Protest gedeckten zivilen Ungehorsams

Im Zusammenhang mit körperlichen Auseinandersetzungen sei die „Letzte Generation“ bisher nicht aufgefallen, eher durch „niedrigschwellige Straftaten“. Allerdings gab es Störaktionen wie Sperrungen, Blockaden oder Besetzungen, anders als in Berlin, in Hamburg bisher nur vereinzelt. Auch viele Protestforscher betrachten deren Anhänger überwiegend nicht als Speerspitze einer extremistischen Öko-Bewegung, sondern als Vertreter eines noch vom demokratischen Protest gedeckten zivilen Ungehorsams.

Das unterscheide die „Letzte Generation“ von radikaleren Klimaprotestlern wie denen von Extinction Rebellion, heißt es weiter. „Den Aktivisten der Letzten Generation geht es darum, eine möglichst große mediale Wirkung zu erzielen und mit ihren Themen dauerhaft im öffentlichen Fokus zu bleiben.“ Überdies träten die Anhänger mit „offenem Visier“ für ihre Überzeugungen ein.

Während CDU-Fraktionschef Dennis Thering Verhältnisse wie in Bayern, wo Klimaaktivisten bis zu 30 Tagen Polizeigewahrsam droht, herbeisehnt, und die AfD von „apokalyptischen und wohlstandsverwahrlosten Klima-Extremisten“ spricht, die es zu sanktionieren gelte, äußert sich Kultursenator Carsten Brosda (SPD) konzilianter. „Wir alle verstehen das Anliegen, das die Protestierenden mit ihren Aktionen stärker ins gesellschaftliche Bewusstsein rücken wollen“, sagt Brosda.

Viel Resonanz hat die „Letzte Generation“ mit der Aktion zweifellos erhalten

„Ich würde mir aber wünschen, dass sie Kunst und auch die Kulturorte nicht nur als Resonanzräume für die Lautstärke ihrer eigenen Botschaften gebrauchen würden, sondern begreifen, welchen Verbündeten sie in Kunst und Kultur für ihr Anliegen, den menschengemachten Klimawandel zu bekämpfen, haben.“

Viel Resonanz hat die „Letzte Generation“ mit der Aktion zweifellos erhalten – und von der Linksfraktion Rückendeckung dazu. Vor dem Hintergrund der existenziellen Bedrohung durch den Klimawandel und der enttäuschenden Bilanz der Klimakonferenz in Ägypten habe Die Linke „großes Verständnis für diese Aktion“, so der umweltpolitische Sprecher Stephan Jersch.

Den beiden Aktivisten, die die Bühne der Elbphilharmonie geentert haben, droht zumindest kein strafrechtliches Nachspiel. „Beide hatten Tickets für das Konzert und hielten sich somit regulär im Großen Saal auf“, sagt Polizeisprecher Sören Zimbal. Die Tickets für das Konzert kosteten bis zu 230 Euro.