Hamburg. 26-Jähriger geht mit Küchenmesser auf die Frau los. Wollte er sie bestrafen? Besonders von einer Zeugin erhofft man sich Aufklärung.
Für die Feststellung gewisser Mordmerkmale wie der „niedrigen Beweggründe“ ist zentral, was sich vor und während der Tat im Kopf des Täters abgespielt hat. Was ihn antrieb. War es Eifersucht? Besitzdenken? Rachegelüste? Gekränkter Stolz? Doch der Angeklagte Mohamed M. lässt sich buchstäblich nicht in den Kopf gucken: Eine Exploration – eine Begutachtung im persönlichen Austausch mit einem psychiatrischen Sachverständigen – lehnt er ab.
Er soll seine Ex-Partnerin im Mai dieses Jahres beinahe umgebracht haben, kurz nachdem sie ihm den Laufpass gab. Ein Motiv sei zwar nicht bekannt, sagt Rechtsanwalt Joachim Breu, der die 41-jährige Nebenklägerin im Prozess gegen ihren 26 Jahre alten Ex vertritt. „Doch es spricht viel für einen Femizid.“
Prozess Hamburg: Wann ist ein Mord ein Femizid?
Zentrales Motiv für einen Femizid ist der Anspruch des Täters, über eine Frau verfügen zu können. Sogenannte Trennungstötungen können in diese Kategorie fallen. Die Linke in der Bürgerschaft fordert, grundsätzlich alle Morde an Frauen aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Selbstbestimmung als Femizid zu benennen – und nicht mit Begriffen wie Beziehungsgewalt zu verschleiern.
Bei fünf der zwölf (vorsätzlichen) versuchten oder vollendeten Tötungsdelikte gegen Frauen in Hamburg dieses Jahr waren die Opfer mit dem Täter vor oder zum Tatzeitpunkt liiert, wie aus der Senatsantwort auf eine kleine Anfrage der Links-Fraktion hervorgeht. Erfasst wurden alle Fälle bis Ende September.
Ex-Freund sticht Frau in Barmbek nieder
Mohamed M. steht seit Montag wegen heimtückischen Mordes und gefährlicher Körperverletzung vor dem Landgericht. Der alkoholisierte Mann soll seiner Ex-Freundin am Morgen des 21. Mai vor der Filiale eines Express-Lieferdienstes am Winterhuder Weg aufgelauert haben. Hier arbeitete die 41-Jährige, die sich erst wenige Tage zuvor von ihm getrennt hatte.
Als sie an jenem Tag mit dem Rad von einer Liefertour zurückkehrte, griff er sie mit einem Küchenmesser an, heißt es in der Anklage der Staatsanwaltschaft. Die Frau war sich demnach keiner Gefahr gewahr.
Zwei Stiche trafen ihren Hals und verursachten jeweils vier Zentimeter tiefe Wunden; ein weiterer Stich in Richtung Hinterkopf wurde von ihrem Fahrradhelm gedämpft. Als sich die Schwerverletzte in die Filiale retten wollte, setzte ihr der Mann nach und stach ihr noch ins Gesäß. Dann flüchtete er, kehrte aber wieder zurück und rüttelte an der nun geschlossenen Eingangstür, ehe ihn die Polizei festnahm, so die Anklage. Seither sitzt er in Haft.
Angeklagter will sich „schweigend verteidigen“
Mohamed M. werde sich schweigend verteidigen, sagte sein Anwalt, kündigte aber für den kommenden Prozesstag eine Erklärung seines Mandanten an. Die Große Strafkammer will überdies eine Reihe von Zeugen, darunter Betreuer des Angeklagten, vernehmen, um „so viele Erkenntnisse wie möglich außerhalb einer Exploration zu gewinnen“, sagte der Vorsitzende Richter.
- Frauenhäuser müssen immer mehr Notleidende abweisen
- Mutter zweier Kinder getötet – Polizei nimmt Ehemann fest
- Gewalt gegen Frauen nimmt dramatisch zu – volle Schutzhäuser
Eine Zeugin, von der man sich in diesem Zusammenhang Aufklärung erhofft, ist die ehemalige Lebensgefährtin von Mohamed M. Mit ihr hat er ein gemeinsames Kind. Im Mai 2020 hatte er ihr eine Glaskanne über den Kopf gezogen und mit den Fäusten auf sie eingeprügelt; ein Jahr später wurde Mohamed M. deshalb wegen gefährlicher Körperverletzung zu zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Weil er seine Ex danach aber auch noch bedroht haben soll, sei gegen Mohamed M. im März 2022 eine gerichtliche Gewaltschutzanordnung ergangen, sagte Rechtsanwalt Breu.
Prozess Hamburg: Frau schwebte nach Angriff in Lebensgefahr
Seine Mandantin, die 41 Jahre alte Nebenklägerin, leide seelisch unter den Folgen der Tat, während die körperlichen Wunden gut verheilt seien, so Breu. Es sei knapp gewesen damals. Ohne sofortige intensivmedizinische Versorgung und Not-Operation hätte sie nicht überlebt.
Während es in diesem Fall beim Versuch blieb, starb Anfang April eine junge Frau durch die Hand eines Stalkers. Damals erschoss ein gleichaltriger Mann die 22-Jährige in ihrem Wohnhaus in Ottensen mit einem Revolver, dann tötete er sich selbst.
Hintergrund: Der Täter, ein schweizerischer Nachwuchs-Politiker, soll schwer verliebt gewesen sein und der 22-Jährigen schon Monate vor der Tat nachgestellt haben. Sie wollte jedoch keine Beziehung – und das war offenbar ihr Todesurteil.