Hamburg. In manchen Vierteln stehen Hunderte Leihroller mitten im Weg. Nun sind täglich 15 Teams unterwegs – und die Verleiher reagieren.

Mit kräftigem Griff löst Manfred „Manni“ Friedrich den Bremsbügel des türkisfarbenen Aluminium-Fahrzeugs. Klack, der dumpfe, metallische Schlag zeigt die Entriegelung des E-Scooters an, unter protestierendem Piepsen wird er weggezogen. Das Gefährt ist eines von sehr vielen, die im Straßenraum abgestellt werden – und zwar oft auch nicht vorschriftsmäßig. Kaum ein anderes Thema beherrscht die Gemüter der Hamburger seit Längerem so wie dieses.

Manni Friedrich gehört zum Team „Sonderaufgaben“ der Stadtreinigung. Seit sechs Wochen fährt der 57-Jährige für das Pilotprojekt mit seinem Kollegen Stephan Katzmareck quer durchs Stadtgebiet und fahndet nach falsch abgestellten E-Scootern. „1,60 Meter Platz muss für den Fußweg sein, dann erst darf der Roller da stehen“, sagt Friedrich. Gerade ist er unterwegs in Eidelstedt, nahe dem Hörgensweg. Hier liegt das Fahrzeug achtlos auf dem Grünstreifen, das Hinterrad ragt auf den Gehweg. „Wenn da einer mit dem Rollator oder Kinderwagen durchwill, hat er keine Chance“, sagt Katzmareck, als der Alarmton verebbt ist.

Verkehr Hamburg: Falsch abgestellte E-Scooter werden dokumentiert

Während Friedrich routiniert Scooter und auch E-Bikes aufstellt, schiebt und umparkt, tippt sein Kollege auf dem iPad. Manchmal flucht er auch. „Zu Hause habe ich Tipp-Ex für meinen Bildschirm, wenn ich mich mal verschreibe“, witzelt er. Friedrich grinst. „Jetzt kann er das. Hat paar Tage gedauert.“

In der ersten Zeit, da hatten sich die beiden langjährigen Freunde erst einmal einfuchsen müssen, brauchten Zollstock für den Scooter-Gehweg-Abstand und Muße für die Technik. Denn: Dokumentation ist ein Muss. Jeder umgestellte Roller wird sowohl in der Auffindesituation als auch am Abstellplatz fotografiert, Menge und Anbieter werden angeklickt, Nummernschild oder QR-Code geknipst. „Die Daten gehen dann alle in die Zentrale und an die Roller-Verleiher“, sagt Katzmareck.

Stephan Katzmareck dokumentiert in Hamburg falsch abgestellte E-Scooter mit dem iPad.
Stephan Katzmareck dokumentiert in Hamburg falsch abgestellte E-Scooter mit dem iPad. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Die angesprochenen Scooter-Verleiher – in Hamburg gibt es aktuell Bird (zieht sich Ende des Jahres aus Deutschland zurück), Voi, Bolt, Tier und Lime – hätten flugs reagiert. „Im Sommer war hier alles voll mit Rollern, 300 oder 400 Stück stapelten sich in diesem Viertel“, erzählt Friedrich über die Wohngegend um den Bahnhof Eidelstedt, die Straßen Steinacker, Pinneberger Chaussee.

E-Scooter-Verleihfirmen in Hamburg holen die Falschparker ab

Mit ausgestreckten Armen malt er Halbkreise in die Luft – Berge von hingeworfenen Rollern gab es und dazu viele empörte Anwohner. „Kann ich verstehen“, so Friedrich. Beide kennen die „Rüpel-Rentner“, die aus Frust, weil kaum ein Durchkommen ist, den Alurollern einen gehörigen Schubs geben. Wie Dominosteine fallen die Gefährte dann um.

Einer der erwünschten Effekte des Pilotprojekts der Stadtreinigung Hamburg (SRH): Die Verleihfirmen holen die Falschparker ab und dünnen die Flotte an den Orten aus, an denen sich zu viele der schmalen Elektrotretroller tummeln.

Seit Anfang Oktober kümmert sich die Stadtreinigung im Auftrag der Behörde für Verkehr und Mobilitätswende (BVM) und mit Unterstützung der Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft (BUKEA) um die verkehrsbehindernden Scooter und E-Räder.

15 Teams der Stadtreinigung kümmern sich um E-Scooter

Jetzt ist Halbzeit, am Jahresende wird Bilanz gezogen. Zahlen will und kann die SRH-Pressestelle nach eigenen Angaben noch nicht nennen, absehbare Kosten seien aktuell unkalkuliert. Klar ist jedoch: Noch bis zum 31. Dezember sind zwei Zweierteams unterwegs, ausschließlich, um E-Scooter und E-Bikes, die andere Verkehrsteilnehmer beeinträchtigen, umzustellen.

Ein Schwerpunkt liegt auf besonders frequentierten Orten wie beispielsweise U- und S-Bahn-Haltestellen. Zusätzlich fahren 13 weitere Teams zu vermüllten Stellen, die über die Hotline „Saubere Stadt“ gemeldet wurden. Auch sie stellen E-Scooter um.

Friedrich und Katzmareck, die seit 30 Jahren befreundet sind und aus Hamm kommen, sehen auch ohne Datenauswertung schon jetzt unbedingt positive Veränderungen im Stadtbild. Strafen für falsch abgestellte Scooter gibt es nicht.

Aber die beiden begrüßen die Anstrengungen der Verleiher, die übermäßig viele E-Roller nach ihrer Meldung an einem Platz rasch entfernen oder nachts selbst Scooter aufreihen. „Hier zum Beispiel“, sagt Katzmareck und deutet auf vier Roller, die akkurat und parallel, mit gereckten Hälsen wie eine artige Giraffenfamilie, nebeneinander am Hörgensweg aufgereiht sind. „Hier war jemand heute schon und hat die wieder hingestellt.“

Doch es gibt genug zu tun für das Team. Kaum hat Friedrich im kleinen Elektrolaster Gas gegeben, fährt er rechts ran und schaltet die orange Signalleuchte auf dem Dach ein. Das Duo steigt aus, Friedrich schnappt sich das Fahrzeug, das falsch steht, Katzmareck dokumentiert das Ganze. Weiter geht’s. Nach 100 Metern steigen beide wieder aus. „Für uns ist das Arbeit, aber mal was anderes“, so Katzmareck „Wir haben auch schon Laub beseitigt oder Schilder gereinigt.“ Jetzt eben die Sache mit den E-Scootern. „Und wenn wir richtige Nester finden, wo 20 Roller hingeworfen liegen, dann sind das wahre Jagderfolge.“

Verkehr Hamburg: Wohin mit dem E-Scooter?

Mittlerweile ist das Team bei der U-Bahn-Station Hagenbecks Tierpark angelangt, das kleine Müllauto parkt auf der Verlängerung der Busspur. „Hier ist gerade montags richtig viel zu tun, am Wochenende sind wir ja nicht im Einsatz“, erklärt Katzmareck. „So was“, sagt er dann und deutet mit seinem iPad auf ein blau umrandetes Rechteck auf dem Boden, an dessen Stirnseite ein Verkehrsschild mit einem „P“ und einem E-Roller angebracht ist.

So geht es auch: ein ausgewiesener Parkplatz für E-Roller – davon müsste es nach Meinung von Stephan Katzmareck in Hamburg mehr geben.
So geht es auch: ein ausgewiesener Parkplatz für E-Roller – davon müsste es nach Meinung von Stephan Katzmareck in Hamburg mehr geben. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

„Warum haben wir das nicht an jeder U-Bahn-Haltestelle?“ 17 zugewiesene Stellflächen für aktuell etwa 17.000 Roller gibt es laut Verkehrsbehörde in Altona, Alt- und Neustadt und auf St. Pauli. Dazu mehrere 100 ausgewiesene Parkverbotszonen – wie beispielsweise den Stadtpark.

Sodann schiebt Friedrich zwei Roller, weg von einer Leuchtreklametafel hin zum rückwärtigen Teil des U-Bahn-Vorplatzes. Aber da war doch genug Platz, oder? „Schon. Aber mitten vor der Werbung, wenn hier hinten frei ist? Nee. Wenn einer da steht, dann stellen alle ihre Roller daneben, und sofort ist es rappelvoll“, weiß der Fachmann. „Die Leute stellen da ab, wo schon einer steht, denn sie wissen nicht, wohin mit dem Roller.“