Hamburg. An der Friedensallee entsteht zurzeit sozialer, nachhaltig erstellter Wohnraum. Ein Vorbild für andere Hamburger?

Völlig unerwartet ein Grundstück inmitten eines Hamburger Szeneviertels erben – das klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Genau das ist einer jungen Frau in Ottensen vor sieben Jahren jedoch passiert. 2015 wird sie überraschend Eigentümerin des Grundstücks in der Friedensallee 94. Die kinderlosen Nachbarn ihrer Eltern hatten es ihr in ihrem Testament vermacht. Und jetzt?

Möglichkeiten gibt es viele. Doch anstatt das Grundstück zu verkaufen, hat die Erbin gemeinsam mit ihrem Mann, einem Architekten, die Idee, ein besonderes Objekt darauf zu realisieren. Über einen Artikel im Hamburger Straßenmagazin „Hinz & Kunzt“ stößt sie auf die Lawaetz-Stiftung, die eben solche Projekte betreut.

Wohnen Hamburg: "Bezahlbarer Wohnraum mit einer sozialen Durchmischung"

„Sie kam mit klaren Vorstellungen, was da passieren könnte“, erinnert sich Willi van Buggenum, Geschäftsführer der Lawaetz-wohnen&leben gGmbH, einer Tochtergesellschaft der Lawaetz-Stiftung, die im Auftrag der Stadt Wohnungen akquiriert und Mietverhältnisse für Hamburgerinnen und Hamburger mit Zugangsproblemen zum Wohnungsmarkt vermittelt. „Es sollte bezahlbarer Wohnraum mit einer sozialen Durchmischung in einem nachhaltigen, autofreien Gebäude in Massivholzbauweise entstehen, das sowohl dem Stadtraum etwas zurückgibt, aber auch das Leben der Menschen, die dort leben sollen, bereichert“, so van Buggenum.

Eine wirklich konkrete Vorstellung, die in Zusammenarbeit mit der Stiftung als Projektentwicklerin Form annimmt. Neben einem Gemeinschaftsraum und einer kleinen Gemeinschaftswohnung, in der die Bewohner Besuch unterbringen können, ist im Erdgeschoss auch ein Café geplant.

Im Erdgeschoss des Wohnprojekts soll ein Café entstehen.
Im Erdgeschoss des Wohnprojekts soll ein Café entstehen. © Spine Architects/VIR.works

Eine weitere Tochtergesellschaft kümmert sich um den Bau von zehn geförderten Sozialwohnungen für Wohnungssuchende mit Dringlichkeitsschein. Doch die müssen finanziert werden. Wieder passiert etwas Unerwartetes. „Ein zweiter sich engagierender, sozial denkender Hamburger, der anonym bleiben möchte, hat uns eine halbe Million Euro für das Projekt geschenkt. Somit konnten wir überhaupt einsteigen.“

Baugruppe als preiswerte Zukunftsperspektive

Für die weiteren der insgesamt 30 Wohnungen bildete sich zunächst eine Kerngruppe um die Grundstückseigentümerin. Nach und nach werden die übrigen Eigentümer gefunden – durch Infoabende oder Mundpropaganda. Einer von ihnen ist Benjamin Fuchs. Seine Frau habe von Freunden auf dem Spielplatz von dem Projekt gehört, sagt Fuchs.

„Als wir angefangen haben, uns nach Baugruppen umzuschauen, waren wir in der Situation, dass wir eine relativ kleine Wohnung hatten und das erste Kind schon da war und es nicht dabei bleiben sollte, sodass wir schon wussten, früher oder später müssen wir mal in eine andere Wohnung umziehen. Baugruppen schienen uns da eine sehr schöne Möglichkeit, sich eine Zukunftsperspektive aufzubauen, ohne dass man im normalen Mietmarkt schauen und die entsprechenden Preise zahlen muss.“

Nachhaltiges und soziales Projekt: Einzigartig in Hamburg

An dem Projekt in der Friedensallee habe das Paar sowohl der soziale Charakter als auch der ökologische Ansatz gereizt, sagt Fuchs. Diese beiden Punkte in Kombination würden das Projekt auch so besonders machen, ergänzt van Buggenum. „Das Konzept, ein nachhaltiges und gleichzeitig soziales Objekt zu bauen, ist in der Form, wie es hier realisiert wird, in Hamburg wirklich das erste Mal.“ So würden Wohnungseigentümer erstmalig Tür an Tür mit Dringlichkeitsschein-Berechtigten leben. „Ich denke, das ist eine große Chance für alle, die da einziehen, gemeinsam das zu gestalten, was heutzutage oft als vielfältig und divers bezeichnet wird.“

Eine weitere Besonderheit: Das Grundstück wurde durch die Grundstückseigentümer im Erbbaurecht zur Verfügung gestellt. „Das macht es auch möglich, dass hier bezahlbarer Wohnraum entsteht. Wir hätten uns das Grundstück ansonsten in der Lage nicht leisten können.“ Und: Es gab ein Grundstück, bevor die Baugemeinschaft überhaupt existierte. „Das ist ungewöhnlich. Es gibt viele Baugemeinschaften, deren Hauptschwierigkeit ist, ein Grundstück zu finden bei der großen Wohnungs- und Grundstücksknappheit, die wir in Hamburg haben“, sagt van Buggenum. Daher konnte das Projekt auch relativ problemlos begonnen werden.

Wohnen Hamburg: „Wohnprojekte machen eine Stadt lebendiger“

Doch es gab auch Schwierigkeiten. So habe das Warten auf die Baugenehmigung insgesamt 19 Monate gedauert. Im Juli 2021 musste dann auch noch eine Weltkriegsbombe entschärft werden, die auf dem Grundstück gefunden wurde. Rund 5500 Nachbarn mussten dafür evakuiert werden. Nun machen die gestiegenen Baukosten der Gruppe zu schaffen.

„Wir sind durch den Prozess zusammengewachsen, und unser Hauptwunsch ist, dass nicht noch jemand aussteigen muss“, sagt van Buggenum. Der Einzugstermin ist für August 2023 geplant. Auch wenn es derzeit ein besonderes Risiko beinhalte, Eigentum zu erwerben, sollte der Baugemeinschafts-Gedanke weiter vorangebracht werden, so van Buggenum. „Wohnprojekte machen eine Stadt lebendiger.“