Hamburg. Familie Gifaldi plant setzt beim Hausbau auf einen ungewöhnlichen Stoff. Diese Vorteile bringt das Bauen mit Hanfsteinen.
Im Hanfstieg in Lurup wird derzeit ein Haus aus Hanf gebaut – Zufall oder ein Marketing-Witz? Weder noch. Als Familie Gifaldi zusammen mit den Großeltern den Bau eines Mehrgenerationenhauses plante und ein Grundstück im Hanfstieg erworben hatte, regte die Schwester der Großmutter an, doch auch mit Hanf zu bauen.
Da sie selbst mit Hanftextilien arbeitet, wusste sie über die vielseitigen Eigenschaften der Nutzpflanze Bescheid. Weil das Dämmen mit Hanfwolle schon relativ verbreitet, das massive Bauen mit Hanfkalk in Deutschland jedoch noch nicht etabliert ist, landete der Auftrag schließlich in Tübingen bei Henrik Pauly, selbst ernannter Hanfingenieur.
Hamburger Familie baut Haus aus Hanf mit „Hanfingenieur“
„Ich habe mir das Bauen mit Hanf im Selbststudium beigebracht“, sagt der 32 Jahre alte Bauingenieur. Bevor man auf falsche Gedanken kommen könnte, fügt er hinzu: „Ich bin einer der wenigen Hanfenthusiasten, die Nichtraucher sind.“ Mit der Berufsbezeichnung „Hanfingenieur“ verfolge er eine konkrete Mission. „Ich will provozieren, dass man bei dem Wort ,Hanf‘ nicht gleich an die Droge denkt, sondern auch daran, dass man damit Häuser bauen kann.“
Noch sei er der einzige Ingenieur in Deutschland, der mit diesem Rohstoff baut. „Ich hoffe aber, dass es bald noch mehr Hanfingenieurinnen und -ingenieure geben wird.“
Im Hanfmuseum in Berlin entdeckte Pauly Hanfkalk
Seine Faszination für die Pflanze habe er 2018 im Hanfmuseum in Berlin entdeckt, wo er während seines Studiums am Wochenende ehrenamtlich arbeitete. „Dort habe ich zum ersten Mal Hanfkalk in die Finger bekommen. Ein massiver Bau- und Dämmstoff aus Frankreich. Da habe ich gedacht, das ist doch genial, wieso benutzt das keiner in Deutschland?“ Bei seiner Recherche ist er bundesweit auf keine Firma gestoßen, die sich auf das Bauen mit Hanfkalk fokussiert hat.
„Also habe ich mich auf die Reise begeben. Ich wollte was Sinnvolles mit meinem Beruf anfangen und habe das ökologische Bauen für mich entdeckt.“ Das sei mithilfe von Hanf möglich. Mit Kalk und Wasser gemischt entsteht Hanfkalk, ein Baustoff, der dann zu Steinen gepresst wird.
„In Lurup entsteht das erste Haus aus Hanfsteinen in Hamburg"
„Die Steine werden überhaupt erst seit zwei Jahren als primärer Baustoff in Deutschland eingesetzt“, erzählt Pauly. „Davor wurde das Material vor Ort gemischt und gestampft oder gesprüht.“ Das hätte jedoch den Nachteil, dass Handwerker extra angelernt werden müssten. „Die Hanfsteine nehmen hingegen auch mittelständische Bauunternehmen mit, die nicht geschult sind, weil die Abläufe analog zum Maurern mit herkömmlichen Mauerziegeln sind.“
Die Steine beziehe er aus einem Werk in Belgien, weil dieses bereits über die notwendigen Zulassungen verfügt. „In Lurup entsteht gerade das erste Haus aus Hanfsteinen in Hamburg“, betont Henrik Pauly. Ein Pionierprojekt also. Und auch deutschlandweit sei ihm bislang kein größeres Hausbauprojekt bekannt. Für ihn unverständlich. „Was wir heute alles an Klebstoffen, Plastik, Schaum oder Folien in unsere Häuser ranpanschen und was die alle ausstoßen und an Schadstoffen in die Luft abgeben – das will ich auf meiner Baustelle nicht haben.“
Bei Hanf handelt es sich um einen nachwachsenden Rohstoff
Ein Vorteil des Baustoffs ist, dass es sich bei Hanf um einen nachwachsenden Rohstoff handelt. „Die Pflanzen binden sehr viel CO2 in sich. Im Vergleich zu einem konventionell gebauten Haus sparen wir durch die Verwendung von Hanfsteinen bei diesem Projekt circa 20 Tonnen CO2 ein“, sagt Pauly.
Zudem seien Wände aus Hanfsteinen „diffusionsoffen“, sie können also Feuchtigkeit aus der Luft aufnehmen und wieder abgeben. Durch die ausgeglichene Feuchtigkeit entstehe ein gutes Wohnklima. Diesen Vorteil besitzen jedoch auch andere Naturbaustoffe wie zum Beispiel Lehm. „Die Dämmung ist aber nicht so gut wie bei Hanf“, hält Pauly dagegen. „Die hohen Anforderungen an den KfW-55-Standard bekommt man mit Lehm nicht mehr hin.“
Hanfsteine hätten hingegen annähernd denselben Dämmwert wie Hochleistungsdämmziegel. Durch die Kombination mit Kalk entstehe zudem ein deutlich härteres Gemisch als Lehm, das stabiler und dadurch witterungsresistenter ist.
In Deutschland ist der Baustoff Hanf weitgehend unbekannt
Warum der Baustoff hierzulande weitgehend unbekannt ist? „In Deutschland war auch der Anbau von rauschfreiem Hanf lange Zeit verboten. Die Hanfindustrie konnte anders als in Frankreich nicht entstehen und sich weiter fortentwickeln“, so Pauly.
„In Frankreich wurde hingegen schon in den 70er-Jahren mit Hanf gebaut, da der Anbau des rauschfreien Hanfs dort nie verboten war.“ In der hiesigen Bauindustrie herrsche zudem Skepsis gegenüber Neuem. „Es bedarf viel Erklärungs- und Überzeugungsarbeit.“ Pauly wiederum ist mehr als überzeugt. „Als Ingenieur sucht man nach Fehlern. Bis jetzt habe ich nichts gefunden“, sagt er und lacht.
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Hanfhaus in Lurup: Fertigstellung für Sommer 2023 geplant
Einzig der Preis ist momentan aufgrund der geringen Verbreitung und noch kleinen Fertigungszahlen recht hoch. „Die Materialien sind zehn bis 20 Prozent teurer als Dämmziegel oder Porenbeton, der auch häufig verwendet wird“, sagt Pauly. Anders als beim klassischen Bauen spare man sich jedoch die Zusatzkosten für die Dämmung.
Und: „Hanfbaustoffe haben sich im Gegensatz zu herkömmlichen Materialien das ganze Jahr nicht verteuert und sie sind zuverlässig lieferbar, da Hanf schnell auf dem Acker nachwächst.“ Die Fertigstellung für das Hanfhaus in Lurup ist für Spätsommer 2023 geplant. Paulys Vision für danach: „Ich arbeite daran, dass das Bauen mit Hanf Standard wird.“