Hamburg. Er ist nicht vorbestraft, hat einen Job, aber überfiel mehrfach Tjaden's-Filialen – mit Softairpistole seines Sohnes und Opa-Maske.
Niemand soll den Helden spielen. Das war schon lange Zeit die Devise für die Mitarbeiter der Bio-Supermarktkette Tjaden’s. Also: kein Widerstand für den Fall, dass es einen Raubüberfall geben sollte. Tatsächlich hat seit dem 24. August vergangenen Jahres sechsmal ein Verbrecher die Filialen heimgesucht.
„Beim ersten Mal haben wir gedacht: Oh Gott, oh Gott“, sagt Petra Tjaden, die Chefin der Bioläden. „Und als er wieder kam, waren alle in heller Aufregung.“ Jetzt ist die Hamburgerin ins Strafjustizgebäude gekommen, um mitzuerleben, wie der Prozess gegen jenen Mann läuft, der sich wegen der Überfälle vor dem Landgericht verantworten muss. „Ich wollte sehen, wer er ist“, sagt Petra Tjaden.
Prozess Hamburg: Tjaden's –Biomarkt-Räuber trug Opa-Maske
Er ist ein Mann, der vordergründig ein bürgerliches Leben geführt hat, als Familienvater mit einem festen Job. Doch seit dem Sommer vergangenen Jahres sorgte Jan B. mit seiner Serie von Raubüberfällen auf die Bio-Supermarktkette für Angst und Schrecken — stets unkenntlich gemacht mit einer Latexmaske, die ihn als alten Mann erscheinen ließ, und ausgestattet mit einer Softair-Pistole, die für Laien wohl nach einer echten Schusswaffe aussah.
Er habe die Verbrechen aus Geldnot begangen und weil Menschen aus dem Drogenmilieu ihn immer wieder erpresst hätten, sagt der 44-Jährige zum Prozessauftakt in einem Geständnis. „Am Ende war ich so fertig, dass ich die Überfälle gemacht habe.“
Prozess Hamburg: Biomarkt-Räuber erbeutete 4125 Euro
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Hamburger Raub in sechs Fällen, fünf davon besonders schwer, sowie versuchte räuberische Erpressung vor. Stets in den Abendstunden, wenn die Kassen gut gefüllt waren, betrat Jan B. laut Anklage die Filialen der Biomarkt-Kette, meistens das Geschäft an der Fruchtallee, zuletzt auch die Filiale an der Martinistraße, und forderte von den Kassierern Geld.
Insgesamt habe der Täter 4125 Euro erbeutet, so die Staatsanwaltschaft. Bei dem letzten Überfall am 6. Mai dieses Jahres konnte er trotz Sofortfahndung und obwohl der Polizeihubschrauber „Libelle“ mit eingesetzt wurde, nicht gefasst werden. Das gelang dann einen Monat später in der Nähe einer Filiale von Tjaden’s – als er offenbar wieder einen Überfall begehen wollte. Die Latexmaske hatte der Verdächtige erneut bei sich. Nach der Festnahme wurde Jan B. zunächst wieder auf freien Fuß gesetzt, kam dann aber am 20. Juni in Untersuchungshaft — wegen Fluchtgefahr.
Überfälle auf Tjaden's-Biomarkt: Angeklagter erzählt von finsteren Typen
„Ich wollte niemandem wehtun“, beteuert der grauhaarige Angeklagte in seinem Geständnis. Immer wieder räuspert sich Jan B., während er erzählt. Mitunter ist seine Stimme vor Schluchzen kaum zu verstehen. Bei der Schilderung, wieso er zum Verbrecher geworden sei, geht der 44-Jährige bis in das Jahr 2004 zurück, als ein guter Freund von ihm gestorben sei. Dieser besondere Kumpel sei zuvor in Drogengeschäfte verstrickt gewesen und habe bei mehreren anderen Menschen Schulden gehabt.
Offenbar bei der Beerdigung seines Freundes müssten diese finsteren Typen aus dem Milieu auf ihn, Jan B., aufmerksam geworden sein, meint der Hamburger. Jahre später, als er 2011 selber mal Kokain gekauft habe, hätten sich diese Leute wohl an ihn erinnert — und von ihm verlangt, dass er die Schulden seines Freundes begleiche. Seitdem hätten sie ihm mehrfach aufgelauert.
Biomarkt-Räuber berichtet im Prozess von Erpressung
„Ich bekam einen Schlag in die Magengrube; ich wusste gar nicht, was los ist“, erzählt der Angeklagte über die erste Begegnung mit den Männern. Sie hätten 5000 Euro gefordert. „Ich war fix und fertig.“ Irgendwie habe er das Geld aufgetrieben und sei dann bis 2018 in Ruhe gelassen worden. Plötzlich hätten sie ihn aber, als er von der Arbeit kam, an der U-Bahn-Station abgepasst. „Nach sieben Jahren“, hakt der Vorsitzende Richter nach. Ob Jan B. nun „unter so einer Art Dauerdruck“ gestanden habe?
Der Angeklagte nickt. Die Erpresser hätten erneut 5000 Euro von ihm verlangt. Als er die Zahlung verweigert habe, „standen sie wieder da. Mir wurde von hinten mit dem Totschläger eins auf den Oberschenkel gehauen. Da war ich dann wieder zahlungsbereit“, meint Jan B. In kleinen Beträgen habe er das Geld zusammengekratzt, damit möglichst seine Frau nichts mitbekommen solle, und schließlich sogar seinen Ehering in einem Pfandhaus versetzt. Insgesamt hätten die Erpresser wohl „mehr als 20.000 Euro aus mir herausgequetscht“.
Biomarkt-Räuber nutzte kaputte Softairpistole seines Sohnes
Als er seinen Peinigern mitgeteilt habe, dass kein Geld mehr da sei, „da sagten sie: ,Dann mach doch einen Raub!’“ Er sei „so fertig“ gewesen, habe sich bei seinem Arbeitgeber aus der Requisite die ausgediente Latexmaske besorgt und die kaputte Softairpistole seines Sohnes genommen. „Dann bin ich halt losgegangen und habe das gemacht.“
Aufmerksam hat Petra Tjaden der Erzählung des Angeklagten gelauscht. Immer wieder habe sie und ihre Mitarbeiter seinerzeit die Frage umgetrieben, warum der Täter stets ausgerechnet ihre Bioläden heimsucht, erzählt sie. „Wir haben gedacht, er hat leichtes Spiel.“ Jeder habe überlegt, wer der Räuber sein könne. Viele hätten gedanklich ihr Umfeld daraufhin abgecheckt, ob der Täter womöglich jemand sei, der aus dem Bekanntenkreis kommt — oder vielleicht ein Kunde ist.
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Petra Tjaden zu Schilderung des Angeklagten: „Schöne Geschichte"
Insgesamt sei das eine „schlimme Sache“ für die Mitarbeiter gewesen, sagt Petra Tjaden. Mehrere Beschäftigte hätten gekündigt, weil die Belastung zu groß gewesen sei. Und andere hätten fortan Angst gehabt, in der besonders betroffenen Filiale an der Fruchtallee Dienst zu tun, insbesondere in den Abendstunden. Einige Kassierer hätten aber trotz allem weiterhin in diesem Laden arbeiten können und wollen. Öffnungszeiten hätten nicht reduziert werden müssen.
Was der Angeklagte zu seinen Taten und seinen Motiven gesagt hat, bezeichnet Petra Tjaden als „schöne Geschichte. Ich weiß nicht, was wahr ist. Ich konnte es schwer glauben.“ Außerdem habe sie mit dem Angeklagten „null Mitleid“. Dass der Verdächtige seinerzeit nach einer ersten Festnahme zunächst wieder auf freien Fuß kam, habe bei ihr und den Mitarbeitern „völliges Unverständnis“ ausgelöst. Auf die Frage, was sie für eine angemessene Strafe halte, sagt die Unternehmerin: „Ich finde, dass er einige Zeit einsitzen muss.“ Der Prozess wird fortgesetzt.