Hamburg. Kaum wurde der 43-Jährige vor dem Bio-Supermarkt in Eppendorf festgenommen, war er wieder frei. Wegen Engpässen in der Justiz?

Fast zehn Monate lang jagte die Polizei mit großem Aufwand den Serienräuber, der mehrfach Biosupermärkte in Eimsbüttel und Eppendorf überfallen hat. In der vergangenen Woche wurde ein 43-Jähriger gefasst: Die Ermittler sind sich sicher, dass es sich um den Täter handelt. In Untersuchungshaft kam er nicht. Die Staatsanwaltschaft beantragte keinen Haftbefehl und ließ den Mann wieder auf freien Fuß setzen. Experten, wie der Landesvorsitzende des Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Jan Reinecke, sind „schockiert“.

„Die Voraussetzungen für die Beantragung eines Haftbefehls liegen aus Sicht der Staatsanwaltschaft nicht vor“, so die offizielle Stellungnahme von Liddy Oechtering, Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Der Tatvorwurf in dem Fall lautet „schwerer Raub“,  ein Verbrechenstatbestand, für den das Strafgesetzbuch eine Haftstrafe von nicht unter drei Jahren vorsieht. Die Staatsanwaltschaft beantrage Haftbefehle nur, wenn die Voraussetzungen dafür vorlägen, so Liddy Oechtering. Das seien neben einem dringenden Tatverdacht das Vorliegen von Haftgründen und die Verhältnismäßigkeit.

Polizei Hamburg: Kein Haftbefehl für Serienräuber wegen fehlender Ressourcen?

Der Landesvorsitzende des BDK sieht das anders. „Nach meinem Kenntnisstand ist das ein absoluter Skandal, bei dem die monatelange Arbeit von Kollegen zunichte gemacht wurde“, sagt Reinecke. Denn nicht fehlende Haftgründe, sondern ein Engpass im Bereich der Zuführung soll ausschlaggebend für den Verzicht auf die Beantragung eines Haftbefehls gewesen sein. „Bestätigt sich das, haben wir die Situation, dass in Hamburg die gerade vorhandenen Ressourcen diktieren, ob eine Strafverfolgung stattfindet oder nicht“, so Reinecke.

Die Polizei hatte großen Aufwand betrieben, um den Mann, der am 24. August vergangenen Jahres den ersten von sieben Überfallen verübt haben soll, festzunehmen. Unter anderem war das MEK eingesetzt, eine Spezialeinheit, die für die Bekämpfung der Schwerkriminalität zuständig ist. Beamte dieser Einheit hatten den 43-Jährigen festgenommen, als er offenbar einen achten Überfall begehen wollte. Die an den Ermittlungen beteiligten Dienststellen hatten, wie Reinicke sagt „nächtelang übergreifend gearbeitet“, um den Täter zu endlich zu stoppen. Nach der Festnahme habe man eine Beweislast zusammengetragen, die „erdrückend“ sei.

Verdächtiger mit Schreckschusswaffe und Promille

Die Taten selbst gehören zu einer der umfangreicheren Raubserien der vergangenen Jahre. Nach dem Raub im August überfiel derselbe Täter am 16. September, am 6. November, am 28. Dezember und am 22. April die Filiale von Tjaden´s an der Fruchtallee. Am 6. Mai überfiel er dann die Tjaden´s-Filiale an der Martinistraße in Eppendorf. Was den Täter zum Wechsel veranlasst hat, ist unklar. Vermutlich hatte er die verstärkten Sicherheitsmaßnahmen an der Fruchtallee bemerkt, wo ein Security-Dienst zum Einsatz kam. Zwischendurch gab es einen Überfall auf einen Pizza-Service an der Borsteler Chaussee, der ebenfalls dem Täter zugerechnet wird.

Bei seiner Festnahme am Donnerstagabend hatte der 43-Jährige eine Schreckschusswaffe und vor allem eine auffällige Maske dabei, die er auch bei vorangegangenen Überfällen getragen hatte. Aufnahmen aus Überwachungskameras hatte das dokumentiert. Außerdem war der Mann betrunken. Ein Atemalkoholtest ergab 2,3 Promille. „Es waren geplante, vorbereitete Taten, die begangen worden sind, und keine zufälligen aus einer Gelegenheit resultierende Verbrechen“, sagt ein Beamter mit Blick auf die Maskierung und Bewaffnung des Täters.

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Der Fall löst nicht nur bei Reinecke Empörung aus. Auch Dennis Gladiator, Innenexperte der CDU-Bürgerschaftsfraktion, kann das Vorgehen der Staatsanwaltschaft nicht nachvollziehen. „Mir würde schon jedes Verständnis fehlen, wenn in so einem Fall einfach nur nicht konsequent gehandelt wird“, sagt Gladiator. „Denn wir haben es hier mit einem Serientäter zu tun, dem ein Verbrechen vorgeworfen wird.“ Bestätige sich aber, dass fehlende Kapazitäten in der Justiz eine Rolle gespielt haben, sei das „noch einmal eine andere Dimension“. „Dieser Vorgang muss aufgearbeitet und die entsprechenden Konsequenzen gezogen werden.“

Serienräuber bei Tjaden's: Verdächtiger auf freiem Fuß

Thomas Junger, Landeschef  der der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) spricht von einem „fatalen Signal“. „Schon allein der Umstand, dass ein dringend Tatverdächtiger nach so einer Überfallserie auf freiem Fuß bleibt, ist ein Unding und ein Signal, dass sich Verbrechen in Hamburg lohnt. Wenn sich bestätigt, dass hier wie auch immer geartete Engpässe im Bereich der Justiz  bei der Entscheidung über einen Haftbefehl eine Rolle gespielt haben, ist das ein unhaltbarer Zustand“, so Jungfer. Für die Beamten, die den Fall bearbeiteten, sei es schon jetzt „ein Schlag in die Magengrube“.