Hamburg. Immer wieder verschwinden demente Senioren. Hunde, Drohnen, Wärmekameras im Einsatz – und sehr viel Erfahrung.

Er wollte nur kurz ein Foto machen. Dieser kleine Moment, in dem der Mann bei einem Ausflug seine Frau aus den Augen ließ, hatte fatale Folgen. Die demente 74-Jährige war plötzlich verschwunden und irrte offenbar orientierungslos durch die Gegend. Erst fünf Tage später konnte die Hamburgerin gefunden werden — in kritischem Zustand, aber eben doch gerade noch rechtzeitig. Ein Jäger hatte der Polizei einen entscheidenden Hinweis gegeben.

Dass ältere Menschen, die an Demenz leiden, ihre gewohnte Umgebung verlassen und zumindest vorübergehend unauffindbar sind, geschieht immer wieder — und ist dann in vielen Fällen Sache der Polizei. „Manche Vermisste können bereits eine Stunde, nachdem die Polizei Meldung erhalten hat, gefunden werden“, erzählt Kay Maaß, Sachgebietsleiter beim Landeskriminalamt.

Vermisst in Hamburg: So suchen Experten demente Senioren

Andere Personen würden nach mehreren Stunden oder spätestens Tagen entdeckt. Allerdings könnten nicht immer alle Vermissten gefunden werden. „Es gibt bedauerliche Einzelfälle, die einen tragischen Verlauf nehmen“, sagt Maaß. Der 55-Jährige und sein Team sind zuständig für sogenannte Erwachsenen-Vermisstensachen im Bereich Altona. Wenn dort jemand vermisst gemeldet wird, sind ihr strategisches Denken, ihr Spürsinn, ihre Erfahrung gefragt.

Oft sind es die nächsten Angehörigen der Vermissten, die sich bei der Polizei melden. Sie sind aufgelöst und in Sorge, weil der Partner, die Mutter, der Onkel, die Oma oder der Großvater unauffindbar ist. Oder das Personal eines Pflegeheims schlägt Alarm, nachdem festgestellt wurde, dass ein Bewohner fehlt. In der Regel finden diese Vermissten wegen einer demenziellen Erkrankung nicht mehr nach Hause. Sie haben die Orientierung verloren oder sind vielleicht auf der Suche nach einem Ort, der sich in ihrer Erinnerung nach einem Zuhause angefühlt.

Kälte und Orientierungslosigkeit – gefährliche Kombination

Grundsätzlich gelte: Jeder, der volljährig ist, hat das Recht, „sich da hinzubegeben, wo er möchte“, erläutert Kripomann Maaß. Eine Ausnahme bestehe dann, wenn ein Suizid angekündigt wird, wenn jemand auf lebenswichtige Medikamente angewiesen ist oder wenn aus anderen Gründen Lebensgefahr besteht.

Und bei dementen Personen, die nicht in ihre Wohnung oder ihr Pflegeheim zurückfinden, „kann sich eine latente Lebensgefahr ergeben, beispielsweise dass die Person bei Kälte und Nässe erfrieren könnte“. Die Polizei habe auch mit Personen zu tun, die sich in ihrer Orientierungslosigkeit an Orte begeben, die gefährlich sein können, etwa stark befahrene Straßen.

Polizei: So läuft das Prozedere im Vermisstenfall ab

Wenn die Polizei eine entsprechende Anzeige entgegengenommen hat, ist es gängiges Prozedere, mit den Angehörigen in Kontakt zu treten, mit dem Umfeld. Das könnten auch die Pfleger im Seniorenheim oder die Nachbarn sein. „Wir wollen herausbekommen: Wer hat die Person zuletzt gesehen? Wenn wir von einer Lebensgefahr für diesen Menschen ausgehen, werden die Rettungsleitstellen abtelefoniert mit dem Ziel zu erfahren, ob die Person mit dem Rettungswagen transportiert worden ist.“ Außerdem würden von der Polizei die umliegenden Krankenhäuser angerufen und eine polizeiinterne Funkfahndung eingeleitet.

„Die meisten Vermissten finden wir zeitnah wieder“, sagt Maaß. Die dementen Personen würden häufig auffallen, etwa weil sie stundenlang an der Bushaltestelle sitzen oder in der U-Bahn bis zur Endhaltestelle fahren und dann nicht aussteigen. „Es kommt häufiger vor, dass andere Menschen aufmerksam sind und Hinweise geben, beispielsweise wenn eine ältere Person orientierungslos durch eine Wohnstraße läuft, in der sie noch nie gesehen wurde.“ Denn durch ihr unsicheres Verhalten zeigten die Vermissten, „dass etwas nicht stimmt“.

Vermisste Senioren: "Die Leute verstecken sich nicht"

Nicht selten werde die demente Person im direkten Umfeld ihrer Aufenthaltsstätte wiedergefunden, also etwa im Keller des Altenheims, oder auch in der Region, wo sie früher gewohnt oder sich häufig aufgehalten hat. So hätten sie beispielsweise einen Senior, der wegen seiner Demenz im Pflegeheim untergebracht war, in genau jenem Kleingarten entdeckt, den er früher gepachtet hatte, sagt Maaß. „Er saß dort auf der Bank und hat sich gesonnt.“

Immer würden die Maßnahmen auf den Einzelfall abgestimmt, erklärt Maaß. Zu Beginn würden die zu Verfügung stehenden Kollegen so eingeteilt, dass man die Umgebung, in der Vermisste zuletzt gesehen wurde, absucht. „Man geht die Wege ab, guckt rechts und links, man schwärmt aus.“ Ein größeres Areal werde unter Umständen in Sektoren aufgeteilt. „Es hängt immer davon ab: Wie gut ist die Örtlichkeit abzusuchen? Die Leute verstecken sich in der Regel nicht.“

Wichtig: Hat der oder die Vermisste ein Handy bei sich?

Über die Person, die gesucht wird, seien möglichst präzise Angaben wichtig, etwa, welche Kleidung dieser Mensch zuletzt getragen hat. Von Bedeutung sei auch, ob der Vermisste ein Handy bei sich hat. Dann könne unter Umständen das Handy geortet werden. Dafür ist allerdings ein richterlicher Beschluss nötig. „Da müssen wir die Lebensgefahr begründen.“

Es werde bei jeder Suche „situativ und individuell reagiert“, so Maaß. „Wir versuchen, keine Möglichkeiten auszulassen, wo die Person sich befinden könnte.“ Und wenn Gefahr durch eine bestimmte Örtlichkeit bestehe, etwa einen nahe gelegenen See oder Fluss, „dann lassen wir auch diese Möglichkeit nicht aus“, erklärt Maaß. „Dann fordern wir Taucher an.“ Jeder Vermisstenfall „verursacht ein Bauchgefühl“, sagt der Beamte, der seit 1994 bei der Polizei und seit zweieinhalb Jahren Sachgebietsleiter in der Region Altona ist. „Man bekommt ein Gespür dafür, wie dringlich ein Fall ist.“ Eine bestimmte Häufigkeit, wie oft Vermisstenmeldungen eingehen, gebe es nicht. „Es kann mal sein, dass wir einen Monat lang gar keinen Fall haben, dann aber wieder vier in einer Woche.“

Suchhunde können die vermisste Person aufspüren

Wird davon ausgegangen, dass sich die vermisste demente Person draußen aufhält und orientierungslos beispielsweise in einem größeren Stadtteil herumirrt, könne ein Personenspürhund eingesetzt werde. „Diese Tiere haben eine intensive und spezielle Ausbildung durchlaufen“, erklärt Kripomann Maaß. Um eine Person aufspüren zu können, braucht der Hund Geruchsstoffe, also zum Beispiel Kleidung des Vermissten. „Wir setzen den Hund immer an dem Punkt ein, an dem die Person zuletzt gesehen wurde. So ein Hund ist toll, er kann sehr viel riechen. Aber er die Eindrücke ständig verarbeiten. Deshalb ist er nach ein bis zwei Stunden erschöpft.“

Dann komme unter Umständen ein weiterer Hund zum Einsatz. „Jeder Mosaikstein wird neu bewertet, und daran werden die Maßnahmen ausgerichtet.“ Häufig komme es vor, dass der Personenspürhund gezielt zu einer Bushaltestelle läuft, dann aber stehen bleibt — weil sich die Spur aufgelöst hat. „Dann ist der Vermisste sehr wahrscheinlich in den Bus eingestiegen.“ Ziel der Polizei sei es nun, den Zeitraum einzugrenzen, wann das gewesen sein kann, und den entsprechenden Bus zu lokalisieren. „Dann fordern wir die Videoaufnahmen aus dem Bus an. Dafür brauchen wir keinen richterlichen Beschluss“, erläutert Maaß.

So greifen Spezialisten bei der Suche auf technische Mittel zurück

Neben Personenspürhunden greifen die Spezialisten bei der Suche nach Vermissten auch auf technische Mittel zurück. Wenn etwa jemand in einem Waldstück oder einer landwirtschaftlich genutzten Umgebung verschollen ist, würden Polizeihubschrauber mit Wärmebildkamera oder auch Drohnen eingesetzt. Die Wärmebildkamera registriere den Temperaturunterschied zur Umgebung, könne aber nicht definieren, ob dieser wirklich von einem Menschen ausgeht.

Einmal hatte wir eine Wärmesignatur“, erinnert sich Maaß, und als sie die entsprechende Stelle am Boden aufsuchten, „standen wir an einer Wildschweinsuhle“. Es werde aber, wenn eine Wärmesignatur festgestellt werde, diese niedrigschwellig überprüft. „Es geht jemand zu der Stelle hin und guckt nach.“ Maaß lobt Wärmebildkameras der Hubschrauber und Drohnen als „tolle Hilfsmittel. Man sieht aus der Höhe viel mehr, als wenn man am Boden steht.“

Vermisst in Hamburg: So suchen Experten demente Senioren

Wenn eine Person dement wird und die Gefahr besteht, dass dieser Mensch aus seiner gewohnten Umgebung verschwinden und vermisst werden könnte, gebe es einige Vorsichtsmaßnahmen, erklärt Maaß. „Hilfreich ist, wenn der Name in der Kleidung steht — und vielleicht auch die Telefonnummer.“ Wenn jemand großen Bewegungsdrang hat, „dann ist es gut, wenn derjenige ständig ein Handy dabei hat“. Außerdem gebe es sogenannte Tracker, die beispielsweise am Schlüsselbund befestigt werden oder in der Jackentasche der Person getragen werden könnten.

Auch sei es wichtig, möglichst viel über die früheren Lebensgewohnheiten der dementen Person zu wissen: etwa zu welchen Nachbarn intensiverer Kontakt bestand und welches die Lieblingsorte waren, beispielsweise eine bestimmte Parkbank an der Elbe. „Das sind oft die Sachen, die diese Leute aus dem Landzeitgedächtnis hervorholen — und da dann wieder hinwollen“, weiß Maaß. „Und mit etwas Glück kann man sie genau dort finden.“