Hamburg. Roberto Pera ist muslimischer Seelsorger in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Fuhlsbüttel. Über seinen besonderen Arbeitsalltag.
Es ist ein Ort, den die meisten Hamburger wohl nie betreten werden. Wer sich dort aufhält, hat wirklich Übles begangen. Stacheldraht und hohe Metallzäune umrahmen das rote Backsteingebäude aus dem 19. Jahrhundert im Osten von Fuhlsbüttel. Umgangssprachlich „Santa Fu“ genannt, ist die Justizvollzugsanstalt (JVA) Fuhlsbüttel denjenigen vorbehalten, die Freiheitsstrafen von mindestens zweieinhalb Jahren absitzen müssen. Es gibt jedoch auch Personen, die hier ganz freiwillig ein und aus gehen.
So wie Roberto Pera. Der 37 Jahre alte Hamburger, der in einer Kleinstadt nahe Rom geboren wurde und anschließend in Hamburg aufwuchs, kommt mindestens einmal die Woche hierher. Dann nämlich versucht er die Gefangenen dazu zu ermutigen, „die Hoffnung nicht zu verlieren“, wie er sagt. Denn Gott antwortet „dem Ruf des Rufenden“. So stehe es im Koran. Pera ist Seelsorger. Genau genommen muslimischer Seelsorger.
Gefängnis Santa Fu: Ein Seelsorger für Muslime
Immer mittwochs leitet der studierte Islam- und Religionswissenschaftler zusammen mit einem Kollegen einen muslimischen Gesprächskreis im „Alten Werkhaus“ der JVA Fuhlsbüttel. Hauptberuflich ist Pera Projektleiter bei dem nach eigenen Angaben unabhängigen Verein „Fachrat Islamische Studien“, kurz FIS, der sich für islamische Lehre in den Bereichen Wissenschaft, Dialog und Bildung einsetzt.
Durch die Sicherheitsschleuse hindurch führt der Weg zu dem Gruppenraum, in dem Pera die Gesprächsrunde abhält, über den sogenannten Fremdenhof – ein Innenhof, der direkt an die interne Kirche grenzt. Diese steht unabhängig von ihrer Konfession allen Gefangenen offen. Tannenbäume, Sonnenblumen und sogar ein Gartenzwerg zieren den Fremdenhof. Auf dem Gelände ist es an diesem Oktobernachmittag auffällig leise. Vereinzelt hört man Gefangene aus dem Fenster rufen.
„Ich komme immer gerne hierher, und das anfängliche leichte Unbehagen war nach dem ersten Besuch auch gleich verflogen“, sagt Pera, der mit seinen weißen Turnschuhen, der blauen Mütze und einer braunen Hemdjacke auf den ersten Blick gar nicht wie ein Seelsorger wirkt. „Jedes Mal aufs Neue frage ich mich, wer mich heute wohl erwartet, und manchmal bin ich sogar traurig, wenn jemand Altbekanntes fehlt“, erzählt der 37-Jährige.
Peras veranstaltet wöchentlich eine zweistündige Sitzung
So wie letztens, als während seines Urlaubs gleich zwei Insassen entlassen worden seien. „Auf der einen Seite ist es zwar traurig, auf der anderen Seite freue ich mich aber natürlich auch für sie. Eigentlich ist es ja am besten, wenn sie ihre Freiheitsstrafe hier verbüßt haben und gehen können.“
Zwischen 20 und 50 Jahre alt, besuche ein „sehr gemischter“ Kreis der insgesamt 506 männlichen Insassen Peras zweistündige wöchentliche Sitzung. Die Insassen, von denen sich in Fuhlsbüttel 137 und damit mehr als ein Viertel zum muslimischen Glauben bekennen, kämen dabei mit den unterschiedlichsten Fragestellungen zu den Gesprächsrunden. „Von Fragen zu Riten über Glaubensausübungen bis hin zur Sinnsuche und der Frage nach Vergebung ist alles dabei“, erklärt Pera.
Resozialisierung und Glaube an Hoffnung
Ziel der Gesprächsrunde sei es unter anderem, die Resozialisierung zu unterstützen und den Gefangenen zu vermitteln, dass sie „die Hoffnung nicht aufgeben sollen“. „Gott ist schließlich ein vergebender Gott“, erklärt Pera, der mit 25 Jahren aus eigenem Antrieb heraus vom katholischen zum muslimischen Glauben konvertierte und mit dem Islam „die Sprache seiner persönlichen religiösen Suche“ gefunden habe.
Doch wie schafft man es, Verurteilte, die womöglich mit einer großen Schuld beladen sind, davon zu überzeugen, die Hoffnung nicht aufzugeben? Darüber, welche Taten die Gefangenen begangen haben und wie lange sie bereits in Haft sitzen, spricht Pera in seinem Gesprächskreis nicht, wie er sagt. Es obliege allein den Gefangenen, was sie erzählen wollen und was nicht.
Informationen zu Taten der Gefangenen
„Ehrlich gesagt bin ich dankbar, es nicht zu erfahren. Ich kann mir manchmal gar nicht vorstellen, was genau manche Personen verbrochen haben sollen.“ Pera empfinde alle Teilnehmer durchweg als „höflich und nett“. Klar gebe es unter den Teilnehmenden den einen oder anderen, der vielleicht etwas festgefahrene Ansichten habe. Mit der Zeit merke der Seelsorger aber immer wieder, wie diese aufweichten. Viel könne man bereits dadurch erreichen, dass man einfach über das spricht, worüber die Gefangenen die letzten Tage nachgedacht hätten.
Der Gesprächsraum, in dem sich die Gruppe trifft, liegt im zweiten Stock des Alten Werkhauses. Auf dem dunkelblauen Teppichboden stehen Pflanzen und ein Kreis aus Holzstühlen mit königsblauen Sitzpolstern. Bevor Peras Gruppe sich hier mittwochs trifft, findet in dem Raum mit den mintgrünen Wänden ein anderer Gesprächskreis statt. Eine Gruppe junger Männer, darunter einer, der ein Kreuz auf die Wange tätowiert hat, verlassen an diesem Mittwochnachmittag nacheinander den Raum und grüßen freundlich.
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„Diejenigen, die zu unserem Gesprächskreis kommen, haben auch große Lust dazu und ein Bedürfnis, sich Sachen von der Seele zu reden oder Fragen zu stellen“, sagt Pera. „Für unsere Runde gibt es auch eine Warteliste, und der Bedarf ist definitiv da.“
Seelsorger müssen sich Sicherheitsüberprüfung unterziehen
Dass dieser auch gedeckt wird, ist Inhalt des Staatsvertrags, den Hamburg 2012 mit den muslimischen Gemeinschaften geschlossen hat. Darunter unter anderem der Rat der islamischen Gemeinschaften, kurz Schura, sowie der Landesverband der islamischen Organisation Ditib. Dem Vertrag nach hat sich Hamburg dazu verpflichtet, den islamischen Religionsgemeinschaften in öffentlichen Einrichtungen wie Krankenhäusern, Heimen, aber auch Justizvollzugsanstalten oder Polizeiausbildungsstätten das Recht zur religiösen Betreuung zu gewährleisten.
Um jene religiöse Betreuung jedoch ausüben zu dürfen, muss sich jeder Seelsorger einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen. Auch Roberto Pera hat sie durchlaufen. Was die Seelsorger schlussendlich aber mit den Gefangenen besprechen und welches Konzept sie dabei verfolgen, bleibe den Seelsorgern selbst überlassen, wie die Justizbehörde dem Abendblatt auf Nachfrage mitteilt. Die einzige Vorgabe, die die Behörde den religiösen Betreuern dabei mache, sei die Sprache: Alle Gesprächsrunden müssen auf Deutsch stattfinden.
Gefängnis Santa Fu: „Wir bieten hier einen geschützten Raum"
Pera, der, während er auf die Gefangenen wartet, ein Tablett mit Tassen und Tee in den Gesprächsraum trägt, erklärt dazu: „Wir bieten hier einen geschützten Raum, in dem die Teilnehmenden unbefangen und in vertraulicher Atmosphäre sprechen können.“ So wie an diesem Nachmittag, wo er schließlich in der Küche verschwindet, um Kekse zu holen. „Ich versuche, es uns den Umständen entsprechend so gemütlich wie möglich zu machen.“