Hamburg. Der Einstieg der Chinesen im Hamburger Hafen ist umstritten – ein Gespräch über Abhängigkeiten.
In ihrem gemeinsamen Podcast „Wie jetzt?“ unterhalten sich Lars Haider und Dieter Lenzen über Themen, die Wissenschaft und Journalismus gleichermaßen bewegen. Heute get es um die Frage, wie abhängig Deutschland von China ist und ob wir daran etwas ändern müssen.
Hamburger Abendblatt: Heute wollen wir über Abhängigkeiten sprechen, lieber Herr Lenzen. Wir haben schmerzhaft erlebt, und tun das immer noch, wozu diese Abhängigkeiten führen können, wenn sie wirtschaftlicher Natur sind. Deutschland hatte eine hohe Abhängigkeit von Gas-, Öl- und Kohlelieferungen aus Russland, die wir in einem gewaltigen Kraftakt in diesem Jahr abgebaut haben, weil wir es mussten. Nun gerät die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von einem anderen Land in den Fokus, das auch keine lupenreine Demokratie ist. Es geht um die Abhängigkeit von China, die vor allem für Hamburg von Bedeutung ist, weil unser Hafen eines der wichtigsten europäischen Einfallstore für chinesische Waren ist.
Dieter Lenzen: Das ist das Ergebnis von mehr als 30 Jahren Globalisierung im ökonomischen Bereich, die uns engere und umfassende Handelsbeziehungen mit Ländern gebracht haben, bei denen wir nicht davon ausgehen können, dass sie auf derselben Wertebasis ausgetragen werden, wie wir sie für selbstverständlich halten. Die Interessen mancher Länder sind eben andere, als nur den Lebensstandard ihrer Bevölkerung zu erhöhen. Manchmal gehören imperialistische Interessen dazu, manchmal psychiatrische Auffälligkeiten einzelner Staatschefs. Was China angeht, hat sich die Frage der Abhängigkeit noch mal durch eine mögliche Beteiligung am Hamburger Hafen gestellt.
Und Ihre Antwort ist?
Lenzen: Man darf das nicht tun. Das hat weniger mit China als mit Abhängigkeiten überhaupt zu tun. Denn die Folgen sind nicht vorhersehbar, wenn Sie nicht mehr Herr im eigenen Haus sind, dann können Sie schnell in Probleme kommen.
Das erleben wir gerade im Bereich der digitalen Medien. Google, Facebook und Twitter haben in Deutschland einen enormen wirtschaftlichen und publizistischen Einfluss, sind aber alles rein amerikanische Firmen. Nun stehen uns die Amerikaner näher als die Chinesen, aber ihr Beispiel mit dem Herr im eigenen Haus, der man eben nicht mehr ist, trifft auch hier zu.
Lenzen: Das ist richtig. Die Digitalisierung ist insgesamt sehr stark dominiert worden von den USA, auch dieser Sektor ist problematisch. Globalisierung hat nun mal diese Folgen, und wir können nicht erwarten, dass diese Entwicklung zurückgedreht werden kann. Natürlich werden sich Länder wie Deutschland darauf besinnen, und tun das auch jetzt schon, dass sie wieder etwas unabhängiger werden müssen. Aber diese Unabhängigkeit hat in einer so arbeitsteiligen Weltwirtschaft, wie sie in den vergangenen Jahrzehnten entstanden ist, ihre Grenzen.
Was heißt das für die Abhängigkeit von China?
Lenzen: Man muss verstehen, welche geostrategischen Überlegungen dahinterstecken, dass China sich beispielsweise für Häfen in Europa oder anderswo interessiert. Man will durch Beteiligungen offenbar den Einfluss des eigenen Landes in der Welt ausdehnen und verfolgt damit klassische imperialistische Ziele.
Und das macht man unter anderem, indem man sich in wichtige Infrastrukturen einkauft oder sie im besten Fall gleich ganz übernimmt. Wie das funktionieren kann, haben wir bei den Russen erlebt, die deutsche Gasspeicher gekauft haben. Und wir haben das in dem Glauben zugelassen, durch wirtschaftliche Verflechtungen etwas erreichen zu können, was man Wandel durch Handel nennt. Bei den Russen haben wir festgestellt, dass das nicht funktioniert hat. Besteht diese Gefahr bei den Chinesen nicht auch, und muss Deutschland deshalb jetzt beginnen, die wirtschaftlichen Abhängigkeiten mit den Chinesen zu reduzieren – insbesondere dort, wo es im Zweifel gefährlich werden kann?
Lenzen: Sie spielen auf unsere Abhängigkeit von Medikamenten an, die günstig in China hergestellt werden. Diese Abhängigkeit ist noch gefährlicher als die Abhängigkeit von russischem Gas. Was ich kritisiere ist, dass deutsche Politiker offenbar gar nicht bemerkt oder es hingenommen haben, dass solche Abhängigkeiten überhaupt entstanden sind. Wir haben doch alle fassungslos der Information gegenübergestanden, dass es einen Gasspeicher in Deutschland gibt, der gar nicht Deutschland gehört und in dem sich plötzlich nur noch zwei Prozent Gas befanden. Die Bevölkerung hat nichts davon gewusst, das war ein blinder Fleck. Man hat diese Prozesse offenbar sich selbst überlassen, und den ökonomischen Zwängen untergeordnet – Hauptsache, die Energie war schön billig.
Wir waren nun einmal diejenigen in Europa, die mit am meisten von dem billigen Gas aus Russland profitiert haben, und wir profitieren bis heute stark von den wirtschaftlichen Beziehungen zu China. Wir haben die negativen Seiten dieser Beziehungen doch auch deshalb nicht sehen wollen, weil es uns erst einmal um unseren eigenen Wohlstand ging.
Lenzen: Als Bürger haben wir nie vor der Frage gestanden, ob wir mehr Unsicherheit wollen oder mehr Geld für Gas bezahlen wollen, diese Frage ist uns nie gestellt worden. Es wäre Aufgabe von Politikern gewesen, die Bürger auf die Lebensrisiken hinzuweisen, die sie, also die Politik eingegangen ist, und die unmittelbare Konsequenzen für alle haben. Ich glaube, dass wir unseren wirtschaftlichen Austausch mit anderen Nationen, der bei den Rohstoffen beginnt und bei fertigen Produkten endet, neu justieren und neu darüber nachdenken müssen. Denn es ist eine Illusion, dass es eine Weltgemeinschaft gibt, in der alle immer nur nett zueinander sind.
Und da haben wir jetzt als Deutschland ein Problem. Denn unser wichtigster Rohstoff ist das, womit Sie sich ein Leben lang beschäftigt haben, das Wissen. Andere Rohstoffe sind bei uns dagegen knapp, Arbeitskräfte werden es sein. Das heißt, wir sind von anderen Ländern abhängig, die uns in den letzten beiden Bereichen aushelfen.
Lenzen: Das ist richtig, wobei sich die Frage stellt, ob die These mit den Rohstoffen stimmt. Ich war erstaunt, dass wir Kohle aus Russland einführen, obwohl wir eigene Kohlevorkommen in Deutschland hätten – die zu fördern wäre aber teurer gewesen. Das heißt, der Preis ist verantwortlich für die gesamte Struktur der Abhängigkeiten. Das muss reflektiert werden, das ist auch eine Frage der Konzeptionierung einer nationalen Wirtschaft. Wir müssen klar festlegen, in welchen Bereichen etwa Preisdeckel und Eingriffe des Staates nicht nur möglich, sondern auch notwendig sind, und welche Bereiche wir dem Marktgeschehen überlassen können.
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Was heißt das, wenn wir unsere Abhängigkeit von China betrachten?
Lenzen: Wenn ich nicht von einem anderen Land abhängig sein will, muss ich dafür sorgen, dass dieses Land selbst von mir abhängig ist. Es war lange so, dass China von unserem Wissen und Know-how abhängig war und nicht darauf verzichten konnte, aber das hat sich leider geändert. Inzwischen gibt es eine Wissensindustrie in China, die der unsrigen in Teilen deutlich überlegen ist, womit sich die Abhängigkeiten zu unseren Ungunsten verschoben haben.
Wir dachten ja auch bei den Russen, dass die immer weiter liefern würden, weil wir ordentlich bezahlt haben. Aber selbst diese Abhängigkeit, ihr habt die Rohstoffe, wir das Geld, hat nicht mehr funktioniert. Bei China hoffe ich immer noch, dass es ein eigenes Interesse daran hat, dass Deutschland und Europa als Absatzmärkte für chinesische Produkte gut funktionieren.
Lenzen: Ich glaube, dass es ein anderes, dominierendes Interesse gibt. Den Chinesen geht es um Geld und gute Umsätze, aber auch darum, ihren politischen und gesellschaftlichen Einfluss in der Welt weiter auszubauen. Bei Mao Tse-tung war die Rede vom langen Marsch, an dessen Ende der Sieg Chinas stehen würde, auch wenn dieser Marsch Jahrzehnte oder Jahrhunderte dauern würde. Diese Geduld bringen wir im Westen nicht auf, zumal wir ständig wechselnde Regierungen und Koalitionen haben, die das Land mal in die eine, mal in die andere Richtung lenken.
Wir denken auch deshalb stärker an den kurzfristigen Erfolg.
Lenzen: Das ist leider so, und der Wechsel ist ein Kernelement der Demokratie. Aber er schwächt ein Land, das so von anderen abhängig ist wie das unsere.