Hamburg. Linke spricht von „besorgniserregender Entwicklung“ und kritisiert Gebühren für Eingangstest. Was die Hochschulen sagen.
Der Weg in den Hörsaal führt nicht nur über das Abitur: Auch Bewerber ohne den höchsten Schulabschluss dürfen an Hochschulen lernen, allerdings müssen sie mindestens eine abgeschlossene Berufsausbildung und mehrere Jahre Berufstätigkeit vorweisen – und in der Regel einen Eignungstest bestehen.
Im Bundesvergleich galt Hamburg lange als Vorreiter beim Studium ohne Abitur. Zumindest schrieben sich zeitweise die meisten beruflich qualifizierten Erstsemester anteilig in der Hansestadt ein.
Zahl von Studierenden ohne Abitur hat sich halbiert
Die jüngste Entwicklung weist jedoch in eine andere Richtung, wie die Antwort des Senats auf eine Schriftliche Kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Stephanie Rose zeigt. Demnach hat sich an der Universität Hamburg der Anteil der Studierenden mit einer beruflichen Hochschulzugangsberechtigung von 2379 im Wintersemester 2017/18 auf 1292 im Wintersemester 2021/22 fast halbiert. Jüngere Zahlen legte die Uni nicht vor.
Aktuelle Angaben gibt es in der Senatsantwort von der Technischen Universität Hamburg in Harburg (TUHH) und der HafenCity-Uni: Demnach kam dort im laufenden Semester keine einzige Person ohne Abitur ins Studium; in den vier Wintersemestern davor schafften es dort jeweils höchstens drei Bewerber.
Die Hochschule für Angewandte Wissenschaften macht nur Angaben zu Studienjahren. Demnach vergab die HAW dieses Jahr 54 Studienplätze an Bewerber ohne Abi – 92 wären theoretisch möglich gewesen. Mit den 54 Plätzen waren es immerhin erheblich mehr als etwa 2018 mit zehn Zulassungen.
Gebühren bis 370 Euro für Eingangsprüfung
„Wenn ich sehe, dass gut ausgebildete Menschen 370 Euro für eine Vorabprüfung zahlen müssen – nur für die Bewerbung und die Hoffnung auf einen Studienplatz – dann wundert es mich nicht, dass kaum eine Hochschule die Zielquoten für Studierende ohne Abitur erreicht“, sagt Stephanie Rose.
Sie bezieht sich darauf, dass die Hamburger Universitäten und die HAW laut Senatsantwort drei Prozent ihrer Studienplätze für beruflich Qualifizierte ohne Abitur vorhalten, wobei das zum Teil für zulassungsbeschränkte Bachelor-Studiengänge gilt. „Nicht mal diese ohnehin viel zu niedrigen Quoten können die Hochschulen erfüllen“, sagt Rose. Sie spricht von einer „besorgniserregenden Entwicklung“.
Ist das Studium an den genannten Hochschulen für Interessierte ohne Abitur nicht mehr attraktiv genug? Schrecken die Gebühren für die Eingangsprüfungen viele Bewerber ab? Die HAW verlangt mit 370 Euro am meisten, gefolgt von der TUHH (290 Euro) und der Uni Hamburg und der HafenCity Universität (jeweils 205 Euro). Nur 50 Euro zahlen Bewerber ohne Abitur an der Hochschule für Musik und Theater; gar keine Gebühren für die Zulassungsverfahren erhebt die Hochschule für bildende Künste.
Arbeitsmarkt und Corona Grund für Rückgang?
Die Hochschulen versuchen sich an unterschiedlichen Erklärungen. Erfahrungen aus der Beratung beruflich qualifizierter Bewerber zeigten, dass für viele Berufstätige ein Studium je interessanter erscheine, desto weniger zufriedenstellend die berufliche Situation erlebt werde, erklärt die Universität Hamburg.
Vor diesem Hintergrund könnten die „positive Entwicklung des Arbeitsmarkts und die damit einhergehenden zunehmenden Möglichkeiten der persönlichen Weiterentwicklung im Beruf“ Gründe für die sinkende Zahl der Studierenden ohne Abitur sein. Ein weiterer Grund für den Rückgang könnten die vor allem im Wintersemester 2021/22 „coronabedingt als zum Teil unattraktiver empfundenen Studienbedingungen“ sein.
Studium an TUHH "generell durchaus herausfordernd"
Die HAW, erklärt deren Vizepräsidentin Monika Bessenrodt-Weberpals, sei für berufliche Qualifizierte „sehr attraktiv“. Allerdings sei „zu bedenken, dass diese Zielgruppe in der Regel bereits im Berufsleben steht und Geld verdient“. Dementsprechend falle es „ihr nicht leicht, den Schritt aus dem Berufsleben zurück in ein unbezahltes Studium zu machen“.
Das Studium an der TUHH sei „generell durchaus herausfordernd“, weil insbesondere in den ersten vier Semestern „sehr viele Grundlagen gelegt werden, die vor allem auf dem mathematisch-naturwissenschaftlichen Wissen der allgemeinen Hochschulreife aufsetzen“, sagt TUHH-Sprecher Rüdiger Bendlin.
„Es mag sein, dass es Studieninteressierte ohne Abitur deshalb eher vorziehen, kein technisch-wissenschaftliches Studium anzugehen.“ Darauf deuteten auch Erfahrungen aus Gesprächen bei Messen für Studieninteressierte hin. Davon unbenommen habe die Technische Universität viele Angebote geschaffen für jene Studierenden, die fehlende Grundlagen nachholen müssten.
Senat: Förderung des Studiums ohne Abitur nicht nötig
Ihre Gebühren rechtfertigen Universität Hamburg, HAW und TUHH mit dem Aufwand für die mehrteiligen Eingangsprüfungen, an denen Professoren, weitere Lehrende und – im Fall der TUHH – zusätzlich Vertreter der Handwerkskammer mitwirkten. Die Uni geht davon aus, dass eine Gebühr von 205 Euro „wohl eher keine Auswirkung auf die Motivation“ der Bewerber habe „angesichts der vielen Veränderungen, für die sich beruflich Qualifizierte mit der Aufnahme eines Studiums entscheiden“.
Ob geplant sei, den Hochschulzugang ohne Abitur zu stärken?, fragte Stephanie Rose. Daran sei nicht gedacht, antwortet der Senat und verweist darauf, dass Hamburg bei den Untersuchungen des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) zum Studieren ohne Abitur „regelmäßig einen der Spitzenplätze im bundesweiten Vergleich einnehme".
Rose: Frage der Bildungsgerechtigkeit
Das stimmt zwar grundsätzlich (wobei Hamburg von einem Erstsemesteranteil von 5,3 Prozent der Studierenden ohne Abitur im Jahr 2019 von Platz eins auf 4,7 Prozent im Jahr 2020 auf Platz zwei abrutschte). Allerdings begründen laut CHE nicht staatliche Hochschulen Hamburgs Stellung, sondern vor allem zwei private Einrichtungen: die Europäische Fernhochschule und die Hamburger Fern-Hochschule. Zusammen machten sie 2020 einen Anteil von 56,7 Prozent in Hamburg aus. Erst danach folgte die Uni Hamburg mit 9,8 Prozent.
Aus Sicht von Stephanie Rose ist die Unterstützung für das Studium ohne Abitur eine Frage der Bildungsgerechtigkeit. „Die Bildungschancen hängen in der Bundesrepublik so stark wie in kaum einem anderen Land vom Elternhaus ab.“ Es sei erfreulich, dass die rechtlichen Zugangsvoraussetzungen für ein Studium ohne Abitur in den letzten Jahren ausgeweitet wurden. Aber: „Leider ist die Informationspolitik seitens der Stadt und der Hochschulen über diesen Bildungsweg viel zu zurückhaltend.“
Unternehmerverband: Bestehenden Möglichkeiten „gut und zielführend“
„Die Bildungschancen hängen in der Bundesrepublik so stark wie in kaum einem anderen Land vom Elternhaus ab. Als LINKE begrüßen wir es daher, dass die rechtlichen Zugangsvoraussetzungen für ein Studium ohne Abitur in den letzten Jahren ausgeweitet wurden. So besteht formal die Möglichkeit, dass diejenigen, die sich im Beruf und über Fortbildungen weiterqualifiziert haben, eine akademische Bildung anschließen können. Leider ist die Informationspolitik seitens der Stadt und der Hochschulen über diesen Bildungsweg viel zu zurückhaltend.“
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Ähnlich sieht es die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Hamburg. „Kein Zugangsweg zur Hochschule ist sozial so offen wie der für beruflich qualifizierte Studieninteressierte ohne Abitur“, sagt die stellvertretende GEW-Vorsitzende Yvonne Heimbüchel. Allerdings: „Eine Korrektur der sozialen Ungleichheit in der Beteiligung an Hochschulbildung auf diesem Weg zu erreichen, ist schwierig. Der Anteil derer ist zu wenig, um die massive Benachteiligung auf den anderen Zugangswegen aufzuheben. Der Ansatz hierfür ist eher im Schulsystem gegeben.“
"Jungen Menschen stehen nahezu alle Wege offen"
Der jüngste Rückgang der Studierenden ohne Abitur ist aus Sicht des Firmenverbands UVNord kein Problem. „Die Studierendenzahlen sind auch in Hamburg in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen“, sagt UVNord-Präsident Philipp Murmann.
„Daneben haben sich die Karrierechancen in der Wirtschaft in den letzten Jahren auch ohne klassische Hochschulzugangsvoraussetzung deutlich verbessert. Nach einer erfolgreich abgeschlossenen dualen Ausbildung und notwendiger Berufserfahrung stehen jungen Menschen nahezu alle Wege offen.“ Die bestehenden Möglichkeiten seien „aus Sicht der Wirtschaft gut und zielführend“.