Hamburg. Staatssekretär Rolf Bösinger ist ein enger Vertrauter von Olaf Scholz. Er verrät, wie jährlich 400.000 neue Wohnungen entstehen sollen.

Die Erfolgsformel des früheren Hamburger Bürgermeisters Olaf Scholz war eine einfache Zahl. Im Bürgerschaftswahlkampf 2011 versprach er, 6000 neue Wohnungen jährlich zu bauen, eine Zahl, die er 2016 auf 10.000 hochschraubte. Scholz hielt, was er versprach. Da lag es nahe, den Hamburger Erfolg als Kanzler zu wiederholen: Im Bundestagswahlkampf sollten es 400.000 neue Wohnungen sein.

Um das Ziel umzusetzen, besetzte der Kanzler das Bundesbauministerium – früher der Trostpreis in den Koalitionsverhandlungen, heute Schlüsselressort – mit zwei engen Vertrauten: Ministerin wurde Klara Geywitz (SPD), mit der Scholz einst vergeblich die SPD-Doppelspitze anstrebte. Als Staatssekretär holte er seinen engen Vertrauten Rolf Bösinger – er war zuvor Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und davor Staatsrat in der Hamburger Wirtschaftsbehörde. Bösinger ist Scholz’ Mann für die 400.000.

Immobilien: Wohnungsbauwunder fiel in Boomphase

Doch anders als in Hamburg ist das Deutschland-Ziel inzwischen in weite Ferne gerückt. Das Hamburger Wohnungsbauwunder fiel in eine Boomphase, nun aber haben Stagnation und Inflation das Land im Griff. Und auch wenn die Bundesministerin weiterhin Zuversicht demonstriert wie kürzlich auf der Immobilienmesse Expo Real in München und betont: „Das ist kein Hexenwerk, das haben Generationen vor uns auch schon mal geschafft mit 700.000 neuen Wohnungen“, hegen immer mehr Beobachter Zweifel.

Die Zahlen geben den Zweiflern recht. Im vergangenen Jahr waren es nur 293.393 – und Branchenexperten befürchten, dass es nun Richtung 200.000 abrauschen wird. Im September meldeten 17 Prozent der befragten Bauunternehmen stornierte Aufträge. Zinsvermittler berichten von einem dramatischen Rückgang der Finanzierungen, das Bauhauptgewerbe klagt über rückläufige Auftragseingänge. Der Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen (VBN) schätzt, dass ein Drittel der geplanten Projekte inzwischen auf Eis liegt.

„Wir müssen eine Schippe drauflegen“

„Es ist nicht einfach“, sagt Rolf Bösinger im Podcast „Was wird aus Hamburg?“ „Die momentanen Rahmenbedingungen machen es eben nicht leichter.“ Was ihm aber Mut gibt: Die Zahl der Baugenehmigungen habe im vergangenen Jahr bei 380.000 gelegen. „Da sieht man das Potenzial. Es liegt jetzt an uns und der Bau- und Wohnungswirtschaft, die Rahmenbedingungen so zu setzen, damit wir dieses Ziel erreichen.“

Aber Bösinger leugnet die Probleme nicht. „Wir haben einen Zinsanstieg, den wir in der jüngeren Vergangenheit nicht gesehen haben. Wir sind mit extrem hohen Energiepreisen konfrontiert. Wir leiden weiter wegen der Pandemie an gestörten Lieferketten. Und wir haben den Fachkräftemangel.“ Diese Herausforderungen ließen sich nur lösen, wenn sich alle Seiten anstrengten – die Bundesregierung, die Länder und Kommunen, aber auch die Bau- und Wohnungswirtschaft. „Wir müssen eine Schippe drauflegen.“

„Politik muss sich Ziele setzen"

Bösinger kennt die Befürchtungen, wonach 2024 vielleicht nur 200.000 Wohnungen fertiggestellt werden können. „Die Zahlen machen momentan die Runde. Aber noch haben wir keine belastbaren Daten.“ Für das laufende Jahr erwartet der Wahlhamburger keinen Bruch, weil viel Fördergelder abgerufen wurden. Für die Zeit danach wagt er hingegen keine Prognose: „Es gibt eine hohe Verunsicherung. Bei Prognosen bin ich sehr vorsichtig.“ Eine interne Studie gehe davon aus, dass sich die Zahl eher in Richtung 300.000 neue Wohnungen bewegt.

War das Ausrufen des 400.000-Ziels also ein Fehler? Bösinger verneint: „Politik muss sich Ziele setzen. Und der Bedarf nach Wohnraum ist vorhanden.“ Hamburg habe bewiesen, dass es richtig war, konkret zu werden. „Das war damals nicht unumstritten: Es gab sehr kritische Stimmen, die gewarnt haben, das schaffen wir nie, das ist völlig ausgeschlossen.“

„Wir sind in ein schwieriges Fahrwasser geraten"

Natürlich sei die Situation 2022 ungleich schwieriger als die Lage 2011. „Wir sind in ein schwieriges Fahrwasser geraten. Es muss zuallererst darum gehen, die Wirtschaft zu stabilisieren, dass es nicht weiter nach unten geht. Wenn uns das gelingt, können wir auch unsere Zielzahl erreichen.“ Bösinger wirbt darum, die derzeitige Lage nicht zu schwarz zu malen: Zwar sei die Zinserhöhung der EZB um 75 Basispunkte außergewöhnlich gewesen, dennoch lägen die Zinsen noch niedriger als in früheren Jahrzehnten. Den steigenden Baukosten und Energiepreisen gelte es politisch zu begegnen.

„Wir können als Bundesregierung durch Fördermaßnahmen und Zinsverbilligungsprogramme versuchen, die Entwicklung ein Stück weit aufzufangen.“ Zudem verändere sich der Markt in der Krise: Plötzlich stünden wieder mehr Fachkräfte zur Verfügung, die Baupreise begännen zu sinken. Und noch etwas stimmt den Wirtschaftswissenschaftler optimistisch: „Nun kommt das serielle, modulare Bauen hinzu.“ Damit spricht Bösinger einen Trend in der Branche an: Immer mehr Unternehmen bauen nach dem Baukastenprinzip mit vorgefertigten Modulen wie etwa Außenwänden oder kompletten Badezimmern; diese werden vor Ort dann nur noch montiert. So lässt sich schneller, vor allem aber günstiger bauen – und mit weniger Fachkräften. „Das kann entlasten.“

Staat investiert mehr in sozialen Wohnungsbau

Zudem verweisen Optimisten auf die 847.000 genehmigten Wohnungen im Land. Bösinger ist realistisch: „Ich rechne mit einem Schwund von 20 bis 30 Prozent. Wir müssen die Baugenehmigungen beschleunigen. Derzeit hängen zu viele Verfahren, weil verschiedene Faktoren nicht optimal aufeinander abgestimmt sind. Das haben wir im Rahmen des Bündnisses für bezahlbaren Wohnraum besprochen.“ Deshalb rechnet er in Zukunft mit einer „gewissen Beschleunigung“.

Zudem investiert der Staat deutlich mehr in den sozialen Wohnungsbau – bis 2026 sollen die Förderungen auf 14,5 Milliarden aufwachsen. „Wir haben es jetzt als Bund erstmals seit 2018 wieder in der Hand, den sozialen Wohnungsbau in den Kommunen und Ländern deutlich anzuschieben. Mit dieser Rekordsumme können wir einen Impuls setzen.“ Zudem wird die Bundesregierung zum 1. Juli 2023 die lineare Abschreibung von zwei auf drei Prozent anheben. „Und wir werden Anfang 2023 Förderprogramme in Höhe von einer Milliarde Euro für Ein- und Zweifamilienhäuser sowie den Geschosswohnungsbau auf den Weg bringen.“

„Wir benötigen weiterhin Neubau"

Zudem nimmt Bösinger die Länder beim sozialen Wohnungsbau in die Pflicht: „Das passiert in Hamburg sehr vorbildlich. Viele Länder nehmen die Hansestadt als Beispiel.“ Auch das Bündnis für bezahlbaren Wohnraum orientiere sich an den guten Erfahrungen der Hansestadt. Dieses Bündnis laufe im Bund weiter. „Das Ziel, mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, wird uns dieses Jahrzehnt auf jeden Fall beschäftigen – und sicherlich darüber hinaus.“ Kritisch sieht er die gekappte KfW-55-Förderung, deren abruptes Ende Anfang des Jahres viele Investoren verschreckt hat. „Das hat gebremst und war sicherlich nicht optimal.“

In der Diskussion um das Einfamilienhaus positioniert sich Bösinger klar: „Wir benötigen weiterhin Neubau – und Ein- wie Zweifamilienhäuser gehören eindeutig dazu. Wenn wir CO2 nachhaltig abbauen wollen, müssen wir aber auch etwas im Bestand unternehmen.“ Angesichts von mehr als 16 Millionen Einfamilienhäusern müsse hier ein Schwerpunkt liegen. Zugleich benötige Deutschland mehr Mehrfamilienhäuser und Geschosswohnungsbau. „Ich bin von Haus aus Ökonom und Mathematiker. Daher weiß ich: Man muss das Angebot erweitern, um den Preis zu reduzieren.“

Großstädte die ersten Anlaufpunkte für Großstädte

Und die Nachfrage werde weiter steigen – auch wegen der anhaltend hohen Zuwanderung. „Wir werden sehr schnell Wohnraum zur Verfügung stellen müssen. Mit Paragraf 246 BauGB haben wir Kommunen ermöglicht, schnell und unkompliziert Flüchtlingsunterkünfte aufzubauen.“ Auf eine konkrete Einwohnerzahl mag sich der Staatssekretär nicht festlegen. Derzeit hat die Bundesrepublik 84 Millionen, die Deutsche Bank rechnet bis 2030 sogar mit knapp 86 Millionen Einwohnern.

Klar ist aber, die Flüchtlingszahlen nehmen wieder zu und bringen die Städte an ihre Grenzen: „Wir bekommen Rückmeldungen aus den Kommunen, dass mehr Menschen kommen. Gerade die Großstädte sind die ersten Anlaufpunkte für Flüchtlinge: „Wahrscheinlich werden wir gewisse Kontingente zur Verteilung brauchen, um den Druck von den Großstädten zu nehmen. Aber wir sind besser vorbereitet als in der Flüchtlingskrise 2015/2016.“

„Städte ziehen die Menschen an"

Bösinger erwartet nicht, dass die Wohnungsnot der Gegenwart die Bausünden von morgen schafft – das schnelle Hochziehen von Schlafregalen macht die Städte nicht schöner. Der Hamburger spricht von einem „Spagat“. „Auf der einen Seite müssen wir sehen, dass Städte sich weiterentwickeln, dass die Menschen sich in den Städten wohlfühlen. Auf der anderen Seite müssen wir die Notwendigkeit des Bauens akzeptieren. Der Vorteil des seriellen Bauens ist, dass es preiswerter und schneller gehen kann. Ich habe mir verschiedene serielle Bauweisen angeschaut: Das hat nichts mehr mit der Platte von früher zu tun.“ Bösinger weiter: „Wir werden keinen Osdorfer Born 2.0 oder Mümmelmannsberg 2.0 bauen. Das wird nicht mehr passieren.“

Um die Zukunft der Städte ist ihm nicht bange: „Es gibt viele, die aufgrund der hohen Mieten aus der Stadt aufs Land herausziehen. Die Digitalisierung macht einiges möglich.“ Aber angesichts steigender Spritpreise werde ein Umzug für die ersten schon wieder unattraktiv. „Städte ziehen die Menschen an, durch ihre Gesundheitsversorgung, die Kultur, die Lebensqualität. Berlin wächst weiter und Hamburg wird weiter wachsen. Städte sind immer Ankunftsstädte für Menschen, die Arbeit suchen.“

Immobilien: „Krise ist immer auch eine Chance"

Bösinger erzählt von seinem Heimatort St. Georgen im Schwarzwald, Heimat des Plattenspieler-Herstellers Dual, den der Strukturwandel brutal getroffen hat. Dort würden nun am Ortsschild Ärzte gesucht. „Man darf die Sogkraft der Metropolen nicht unterschätzen.“

Er warnt davor, angesichts der Krise die Zukunft zu düster zu sehen: „Deutschland war immer stark, weil es sehr innovativ und vielleicht ein bisschen spleenig war. Eine Krise ist immer auch eine Chance. Es geht darum, sie zu nutzen.“

Fünf Fragen

Meine Lieblingsstadt ist Hamburg. Ich finde die Stadt fantastisch. Städte am Wasser haben immer etwas Besonderes. Unter der Woche bin ich in Berlin, trotzdem­ haben meine Frau, meine Kinder und ich uns entschieden, dass wir auf jeden Fall in Hamburg bleiben, weil es hier einfach am schönsten ist. Freiburg, wo ich studiert habe, hat mir auch gut gefallen, war mir am Ende aber zu klein und zu glatt.

Mein Lieblingsstadtteil ist Osdorf, wo ich lebe. Hier fühle ich mich wohl. Ich habe anfangs in Hamm gewohnt, ein spannendes Viertel und ein anderes Hamburg mit einfachen Leuten.

Mein Lieblingsort in Hamburg … ist nicht einfach zu beantworten, denn es gibt mehrere. Am liebsten bin ich im Sommer in Övelgönne an der Elbe, mit dem großartigen Blick auf den Hafen. Ich liebe aber auch die Altenwerder Kirche. Diese Kirche ist eine Insel mitten im Hafen mit Obstbäumen. Hamburg ist eine Stadt mit sehr vielen interessanten und gegensätzlichen Gesichtern.

Mein Lieblingsgebäude ist die Elbphilharmonie. Damit hatte ich mich schon vor zehn Jahren, als ich nach Hamburg kam, befasst und war dann in die Gespräche involviert. Es ist ein fantastisches Gebäude geworden, das Hamburg prägt. Dort sind immer viele Menschen unterwegs – das Konzerthaus hat eine Sogwirkung entfaltet.

Einmal mit der Abrissbirne … bin ich kritisch. In der heutigen Zeit müssen wir andere Lösungen finden und den Gebäudebestand erhalten. Die graue Energie, die in den Häusern steckt, darf man nicht unterschätzen. Als ich zuletzt mit der Bahn nach Hause gefahren bin, habe ich in Bahrenfeld den Weißen Riesen fallen sehen. Wir müssen in Zukunft Gebäude sanieren, weil wir sonst unsere CO2 Ziele verfehlen werden.