Hamburg. Das Kunstspiel zum Mitmachen – jeden Montag im Abendblatt. Heute: Alberto Giacomettis „Stehende“.
Das Wort „gertenschlank“ wird in der Kunst nur selten benutzt. Angesichts der von Alberto Giacometti (1901– 1966) geschaffenen Kunstwerke wirkt es wie eine Untertreibung. Der Schweizer Bildhauer, Grafiker und Maler hat dünne und überlange Figuren zu seinem Markenzeichen und sich damit zu einem ziemlich unverwechselbaren Künstler gemacht. Die Kunsthalle besitzt seine Plastik „Stehende“ von 1948/49, die 1952/53 gegossen wurde.
Viele von Giacomettis Figuren strömen eine große Grazie aus. Sie wirken aber auch archaisch und unerreichbar. Ein Gesichtsausdruck lässt sich nicht erkennen, aber sonst sind alle wesentlichen Körpermerkmale vorhanden. Die Figur lebt von ihrer Größe, ihrer Schlankheit, Ausgezehrtheit, aufrechten Körperhaltung, beunruhigenden Ausstrahlung und steht auf einem Sockel. Die Oberfläche der Messingstatue hat der Künstler rau belassen.
Kunsthalle Hamburg: Giacometti war Sohn eines Malers
Der Kunsthistoriker Wolfgang Braunfels hat über ihn geschrieben: „Seine Figuren sind in äußerster Erregung mit nervösen Händen dem gefügigen Material abgerungen worden. Ihr Auftritt im Leeren, von dem sie rings bedroht erscheinen, verleiht ihnen die Gegenwärtigkeit von Erscheinungen. Sie kommen aus einer anderen Welt, einem Traumreich in seiner Agonie, um scheu und verhalten vor die unsere zu treten – Boten, die uns die Kunde von einer äußersten Geistesnot verkünden wollen, in der wir uns befinden.“
Alberto Giacometti, den man zu den wichtigsten Bildhauern des 20. Jahrhunderts zählt, war der Sohn eines Malers aus Graubünden. Er selbst war zunächst vom Surrealismus und Kubismus beeinflusst, bevor seine Kunst existenzialistisch wurde. Erstaunlicherweise waren die Figuren, die er schuf, zunächst nicht größer als lediglich sieben Zentimeter.
Kunsthalle Hamburg: Giacometti freundete sich mit Sartre an
Das sollte sich in der Nachkriegszeit ändern. Ein Kinobesuch brachte ihn dazu, seine Figuren als „imaginäres Bild in ihrem gleichzeitig realen und imaginären, greifbaren und unbetretbaren Raum“ darzustellen. Er wollte die Menschen so zeigen, wie er sie sah. Das gelang ihm aber nur selten zu seiner Zufriedenheit. Es ist bekannt, dass er seine Werke deshalb regelmäßig wieder zerstört hat.
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Giacometti war gut vernetzt. 1939 fragte ihn in einem Pariser Café ein Mann vom Nebentisch, ob er ihm Geld leihen könne, er habe sein Portemonnaie vergessen. Es war Jean-Paul Sartre. Sie wurden Freunde. Der Künstler, dessen engster Mitarbeiter sein Bruder Diego war, kannte auch Simone de Beauvoir, Man Ray, Louis Aragon, Jean Cocteau, Francis Bacon, Henri Matisse, Max Ernst, Joan Miró, Jacques Prévert, Igor Strawinsky, Jean Genet und Pablo Picasso. Der sagte, Giacometti wolle „uns die Meisterwerke bedauern lassen, die er nie geschaffen hat.“