Hamburg. Der Bau startete mit großen Worten. Dabei sind viele Punkte beim „Jahrhundertprojekt“ ungeklärt. Einer könnte die U5 scheitern lassen.
Bescheidenes Hanseatentum hin oder her: Wenn es darum geht, sich selbst zu feiern, tragen die Hamburger auch gerne mal dicker auf. Natürlich ist ihre Stadt die schönste der Welt, ihr Parkfriedhof ist der größte und ihre Davidwache gibt es am längsten von allen Polizeiwachen diesseits von Alpha Centauri.
Wenn Hamburger etwas bauen, ordnen sie es oft schon als „historisches Bauwerk“ ein, bevor die erste Schaufel bewegt ist. Und wenn nötig, feiern sie den Start ihrer visionären Vorhaben auch gleich mehrfach. So war es etwa bei der Flughafen-S-Bahn, wie sich die Verwitterten unter uns erinnern.
Im Wahlkampf 1991 eröffnete SPD-Bausenator Eugen Wagner deren Bau mit einem symbolischen ersten Spatenstich. Ein paar Jahre später beerdigten seine Genossen das Projekt wieder – weil: zu teuer. 2001, zufällig auch im Wahlkampf, buddelten sie es wieder aus – und der Bausenator, der noch immer Eugen hieß, bat die Weltpresse zum zweiten ersten Spatenstich für dasselbe Projekt.
Neue U5: Senat verspricht „das beste Hamburg, das es je gab“
Am Freitag war es nun wieder so weit: Der Senat lud zum Spatenstechen für eine neue Bahn. Wer hinging, durfte nicht nur zusehen, wie SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher, Grünen-Verkehrssenator Anjes Tjarks und Hochbahn-Chefs in Alsterdorf mit Spaten Sand auf Fotografen warfen. Er wohnte auch einem „historischen Moment“ bei, wie es in der Einladung hieß, nämlich dem offiziellen Baubeginn für die U5.
Das ist natürlich ein bisschen geflunkert, denn in Wahrheit laufen die ersten Arbeiten schon seit einer Weile. Egal. Bei der U-Bahn-Linie handelt es sich jedenfalls um „mehr als eine U-Bahn-Linie“, wie der Senat vorab wissen ließ – nämlich um einen „Meilenstein für Hamburg auf dem Weg zu einer der modernsten und nachhaltigsten Städte Europas“.
In einem dramatischen Werbefilmchen, das den Gästen auf dem Betriebshof der Hochbahn in Alsterdorf am Freitag vor dem Gruppen-Spatenstechen gezeigt wurde, hieß es gar: „Nur mit der U5“ bekäme die Welt bald „das beste Hamburg, das es je gab“.
23 Stationen, 24 Kilometer, fahrerlos und mit grünem Strom
Aber selbst wenn man das Werbergedröhne abzieht, muss man konstatieren: Dieses Projekt ist nicht von Pappe – zumindest auf dem Papier. Ende der 2030er-Jahre soll die U5 auf einer Strecke von mehr als 24 Kilometern von Bramfeld über City-Nord, Innenstadt, Uni und UKE bis zu den Arenen führen – und 23 Haltestellen verbinden. Die Bahnen sollen fahrerlos fahren und bei einer Höchstgeschwindigkeit von 80 Kilometern pro Stunde 40 Minuten für die gesamte Strecken brauchen. Die Hochbahn kalkuliert mit werktäglich 270.000 Fahrgästen.
So wundervoll das klingt – es haben sich bei Erhalt der Einladung zum Spatenstich wohl trotzdem nicht alle Geladenen innerlich verneigt vor den aktuellen Stadtvätern und ihrem mutigen Projekt. Dafür sind die Fragen zu groß, die das Vorhaben aufwirft – und die meisten von ihnen sind selbst im historischen Moment des Baubeginns noch nicht beantwortet.
310 Millionen Euro pro Kilometer – aber Gesamtkosten noch geheim
Vor allem fünf Punkte treiben die Skeptiker um. Erstens: die Kosten. Es ist unklar, was das Ganze am Ende an Steuergeld verschlingt. Aus den prognostizierten U5-Gesamtkosten machen Hochbahn und Senat bisher ein großes Geheimnis. Eigentlich sollte die Zahl im Sommer präsentiert werden. Nun will man sie bis Jahresende verkünden, vielleicht erst 2023.
Nur für den ersten Bauabschnitt zwischen Bramfeld und City Nord, mit dem nun offiziell begonnen wird, gibt es bereits eine amtliche Schätzung. Allein diese 5,8 Kilometer Strecke sollen 1,8 Milliarden Euro kosten – macht rund 310 Millionen Euro pro Kilometer. Hochgerechnet auf gut 24 Kilometer Gesamtstrecke ergäbe das etwa 7,5 Milliarden Euro – allerdings gilt eine solche Rechnung als wenig seriös. Denn die Bauvoraussetzungen unterscheiden sich auf den Streckenabschnitten. Immerhin machen die Zahlen klar, in welchen Dimensionen sich das Projekt bewegt.
Bund zahlt bis zu 75 Prozent – aber Hamburg hat noch keinen Antrag gestellt
Ob man angesichts der aktuellen Welt- und Wirtschaftslage überhaupt seriöse Kostenschätzungen anstellen kann – unklar. Das hat sich gerade bei der Kostenexplosion der Uni-Bauten gezeigt. Die Baupreise steigen rasant, Materialien werden teurer, Baubetriebe sind schwer zu bekommen, was die Preise weiter treibt.
Zwar zahlt der Bund seit 2020 bis zu 75 Prozent der Kosten von großen Infrastrukturprojekten. Dafür aber muss Hamburg zunächst nachweisen, dass der Nutzen der U 5 ihre Kosten in der sogenannten „standardisierten Bewertung“ übersteigt – der „Nutzen-Kosten-Faktor“ muss größer als eins sein. Für den ersten Bauabschnitt im Osten der Stadt liegt er darunter, wie der Senat schon einräumte. Auf der Gesamtstrecke werde sich das ändern, versichert die Hochbahn, denn eine Kurzstrecke werde ja weniger genutzt.
„Welcher Bauherr beginnt so ein Projekt ohne Planungssicherheit?“
Den Beweis allerdings hat Hamburg noch nicht erbracht: Bisher wurde beim Bund noch kein Antrag auf Förderung gestellt. Die Stadt begründet das damit, dass sich die Bewertungskriterien gerade geändert hätten. Nun soll der Antrag 2023 eingereicht werden – man startet den Bau jetzt also ohne sichere Finanzierung.
„Welcher Bauherr beginnt mit so einem Projekt ohne Planungssicherheit?“, fragt CDU-Verkehrspolitiker Richard Seelmaecker. Es fehlten „schon jetzt Millionen, um den Bau sicherzustellen“, so Seelmaecker. Verkehrssenator Tjarks müsse „endlich seine Hausaufgaben machen, damit wir nicht mit einer Milliarden-Bauruine enden“. Auch Linken-Verkehrspolitikerin Heike Sudmann konstatiert: „Der Bau des Stummels von Bramfeld zur City Nord ist ebenso wenig in trockenen Tüchern wie die gesamte U5 bis hin zu den Arenen.“
Wie klimaschädlich ist ein solches gigantisches Bauprojekt?
Zweite offene Frage: Wie sehr schadet die U5 dem Klima? Klar ist: So große Projekte setzen in der Bauphase durch Produktion von Zement und Stahl, Logistik und Energieverbrauch so viel klimaschädliches CO2 frei, dass es Jahrzehnte dauern kann, bis sich der Klimaschaden durch die Nutzung der Bahn halbwegs wieder ausgleicht. Für die U5 Ost allein rechnet der Senat eh nur mit einer geringen CO2-Einsparung von 354 Tonnen pro Jahr, wenn viele Menschen vom Auto auf die Bahn umsteigen. Zum Vergleich: Der Verkehrsbereich in Hamburg hat 2020 insgesamt 3,7 Millionen Tonnen CO2 verursacht.
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Senat und Hochbahn haben kürzlich auf die Kritik reagiert und ein Konzept präsentiert, nach dem die U5 die „klimafreundlichste U-Bahn“ des Landes werden soll. Erreichen will man das, indem weniger Material eingesetzt wird – und (heute noch gar nicht erhältliche) klimafreundlich produzierte Baustoffe. Teurer werden solle die Bahn dadurch nicht, versprach Hochbahn-Chef Henrik Falk – obwohl neue Technologien zunächst fast immer teurer sind, siehe E-Fahrzeuge.
BUND-Chef kritisiert Klimaversprechen des Senats als wenig glaubwürdig
Für den Hamburger Geschäftsführer des Naturschutzverbandes BUND, Lucas Schäfer, sind die Ankündigungen wenig glaubwürdig. Es sei unsicher, ob die „gewünschte Lösung der CO2-Abscheidung in der Zementindustrie und der Verpressung unter die Erde rechtlich und technisch überhaupt möglich sein wird“, sagt Schäfer. Auch die Verwendung von mit grünem Wasserstoff produzierten Stahl verbessere die CO2-Bilanz nur in der Theorie, so Schäfer.
„Grüner Wasserstoff wird aus regenerativem Strom hergestellt. Solange dieser nicht in ausreichender Menge vorhanden ist, sind darin CO2-Emissionen der Kohle- und Gaskraftwerke sowie Atomstrom enthalten.“ Der BUND fordere, „dass die gesamten durch den Bau der U5 verursachten CO2-Belastungen im Sektor Verkehr ausgeglichen werden“, so Schäfer. Dafür müsse die Stadt „auf andere Großprojekte wie den Bau der Autobahn A-26-Ost verzichten“.
Wie stark wird der Bau der U5 Verkehr und Anwohner belasten?
Drittes beim Spatenstich noch ungelöstes Rätsel: Wie stark wird das Großprojekt über Jahrzehnte den Verkehr behindern und Anwohner belasten? Anders als Olaf Scholz einst bei seinem Nein zur Stadtbahn glauben machen wollte, sorgt der Bau einer U-Bahn nämlich keineswegs für weniger Belastungen als der einer Stadtbahn. Wer annimmt, eine U-Bahn könne mehr oder weniger lautlos und unbemerkt unter der Erde gebaut werden, der täuscht sich.
An jeder der 23 Haltstellen wird es Großbaustellen geben, hinzu kommen entlang der Gesamtstrecke zahlreiche Baugruben zur Erstellung von Rettungswegen – denn ein Notausgang muss von jedem Punkt aus binnen 600 Metern erreichbar sein. In Tausenden von Lkw-Fahrten wird während der zwei Jahrzehnte Bauzeit der enorme Erdaushub abgefahren und entsorgt – was Straßenverkehr und Klima weiter belastet.
Wurde die Alternative Stadtbahn wirklich ergebnisoffen geprüft?
Bisher hat es neun Klagen gegen das Projekt von Betroffenen gegeben, die massive persönliche Belastungen und Belästigungen erwarten. Zwei Kläger hätten ihre Klagen mittlerweile zurückgezogen, sagt Pia Seidel, Sprecherin der U5-Projektgesellschaft. Mit den anderen werde verhandelt.
„Die U5 würde ganze Stadtteile über Jahre hinweg lahmlegen“, fürchtet Linken-Verkehrspolitikerin Sudmann. „Wie soll bis 2030 die Klima- und Mobilitätswende in Hamburg klappen, wenn frühestens 2032 die kurze U5 Ost in Betrieb geht und die ganze U5 in der ersten Hälfte des Jahrhunderts nicht fahren wird?“ Egal, wie man es drehe und wende: „Eine Straßenbahn kann schneller und klimagünstiger gebaut werden, bringt mehr Haltestellen und mehr Fahrgäste in die Bahn“, so Sudmann. „Und sie schont die Kassen, da ihre Baukosten pro Kilometer nur ein Zehntel der U-Bahn betragen.“
Klimabeirat des Senats kritisiert U5-Bau als nicht mehr zeitgemäß
Womit wir bei der vierten offenen Frage wären: Haben Senat und Hochbahn die Alternativen Stadtbahn und U5 wirklich ergebnisoffen gegeneinander abgewogen – oder setzt der Senat die U5 gegen alle vernünftigen Einwände durch, weil Olaf Scholz einst apodiktisch das Ende der Stadtbahn verkündete? Das befürchtet man wohl auch im vom Senat eingesetzten Klimabeirat. Zwar sei es gut, dass die Stadt nun die klimapolitischen Bedenken gegen die U5 aufgegriffen habe, sagte Beiratsmitglied und Verkehrswissenschaftlerin Philine Gaffron dem Abendblatt.
„Dies darf jedoch keinesfalls darüber hinwegtäuschen, dass noch immer nicht ausreichend belastbar untersucht wurde, ob Konzeptalternativen wie eine Stadtbahn nicht einen größeren Nutzen bringen würden, gerade in Anbetracht der sehr hohen finanziellen und personellen Ressourcen, die für die U5 über 15 bis 20 Jahre benötigt werden.“ Angesichts der sich verschärfenden Klimakrise und unvorhersehbarer Kostensteigerungen müsse „konsequenterweise die Frage gestellt werden, ob die U5 noch einen zeitgemäßen Beitrag zur Verkehrswende in Hamburg leisten kann“, so Gaffrons Fazit.
Alles über den Hauptbahnhof? Auch der Streckenverlauf wirft Fragen auf
Der fünfte Kritikpunkt betrifft die Streckenführung: Warum eigentlich müsse auch diese Linie durch die City und den sowieso überlasteten Hauptbahnhof führen, fragen auch Abendblatt-Leser immer wieder. Hier allerdings hat die Hochbahn schon heute eine Antwort: Auf den Strecken in die City sei die Nachfrage nun mal am höchsten – das zeige sich auch an der starken Nutzung der beiden Metrobusse 5 und 6, die von Burgwedel/Niendorf bzw. vom Borgweg in die Innenstadt fahren.
Allen Fragen zum Trotz: Der Senat gab sich am historischen Tag optimistisch, dass die neue Bahn ein auch im Sinne der Auslastung voller Erfolg wird. „Die U5 ist ein Jahrhundertprojekt. Ganze Stadtteile erhalten erstmals einen Anschluss an das Schnellbahnsystem“, jubelte der Bürgermeister am Freitag in Alsterdorf. „Die U5 wird die modernste U-Bahn Deutschlands.“
U5: Senat sieht die neue Bahnlinie als weltweiten Vorreiter
Auch der grüne Verkehrssenator sah Hamburg mal wieder als weltweiten Vorreiter: „Die U5 wird neue Maßstäbe setzen“, stellte er fest – "bei Technik, Digitalisierung, Mobilität, Komfort sowie dem klimaschonenden Bau.“
Noch bescheidener können wir Hamburger einfach nicht.