Hamburg. Ingrid Herzberg erwidert in der Debatte über den Wiederaufbau der Synagoge auf den Beitrag des Architekturkritikers Gert Kähler.

Der Gastbeitrag von Gert Kähler „Bornplatz-Synagoge – über Varianten muss öffentlich diskutiert werden“ vom 26. September ist ein Pamphlet. Deswegen bedarf er einer Erwiderung. Für den Verfasser ist der Wiederaufbau der Synagoge ein Vorhaben, für das er eine „Ausstellung“ und die öffentliche Mitsprache einfordert. Die Synagoge soll so als gewöhnliche städtebauliche Maßnahme zur öffentlichen Diskussion stehen, nicht als späte Restitution begangenen Unrechts verstanden werden.

Jüdische Gemeinde Hamburg: Schon lange werde mehr Raum gefordert

Schon der sarkastisch und abwertend formulierte Artikelbeginn, der die Machbarkeitsstudie lächerlich machen soll, lässt vermuten, dass nichts Gutes folgt. Dass die Studie zahlreiche Nutzungsmöglichkeiten der wieder aufgebauten Synagoge beschreibt, gehört zu ihrer Begriffsbestimmung. Dass alle deshalb so und nicht anders realisiert werden, ist allerdings keineswegs damit vermacht.

Der Richtigkeit halber sei an dieser Stelle darauf verwiesen, dass seitens der Jüdischen Gemeinde seit mehr als zehn Jahren der Bedarf an mehr Raum formuliert worden war. Dass bei einem Wiederaufbau sinnvolle Synergieeffekte genutzt werden, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Dass die Bildungseinrichtungen der Jüdischen Gemeinde mehr Platz brauchen, als sie derzeit zur Verfügung haben, lässt der Autor irgendwie noch gelten, nur aber, um schlussendlich die „falsche Flagge“, unter der die Gemeinde damit segle, besonders zu betonen. Da war von „einer Synagoge“ die Rede, und nun wollen sie mehr: „Eine kleine Stadt“, wittert der Verfasser.

Jüdische Gemeinde Hamburg: Vor 1933 lebten 24.000 Juden in der Hansestadt

Es dominiert der Vorwurf der Unbescheidenheit, wenn nicht der Maßlosigkeit, in jedem Fall der Unredlichkeit. Hier werden sehr bekannte Klischees bedient. Wer, wie der Autor, 80 Jahre alt ist und in diesem Land lebt, sollte sie kennen. Vor 1933 besaß Hamburg eine große jüdische Gemeinde mit ca. 24.000 Mitgliedern. Sie unterhielt ca. 20 Synagogen, verschiedene Schulen, außerdem zahlreiche soziale Einrichtungen, Krankenhäuser, Wohnstifte, Waisenhäuser, Friedhöfe. All das wurde ab 1933 gezielt, öffentlich sichtbar, laut krakeelend, aber auch normenstaatlich akkurat und radikal der Zerstörung preisgegeben – von den vielen Opfern der Shoah ganz zu schweigen. All das ist, bis auf einige wenige Bruchstücke, verschwunden.

In den jüdischen Gemeinden gibt es inzwischen Mitglieder, die nicht mehr traumatisiert von der familiären Dezimierung durch die Shoah auf gepackten Koffern sitzen, sondern eine lebendige Form der jüdischen Präsenz in ihrer Heimatstadt wollen. Und ja: Dafür braucht man Platz. Es ist richtig, dass es in Hamburg nicht nur die Orthodoxie gibt. Dass den Hamburger Juden ihre religiöse Vielfalt in den Augen des Verfassers zum Nachteil gereicht, ist ein weiteres Beispiel für den Versuch einer Infragestellung, nämlich ob es diesen Wiederaufbau brauche.

"Es geht um die späte Übernahme von Verantwortung für begangenes Unrecht"

Der Autor nennt in diesem Kontext die Mitgliederzahl der Gemeinde – als Beleg wofür? Diese Zahl belegt doch nur den Vernichtungswillen der Nazis. Selbst nach der Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion ist die Hamburger jüdische Gemeinschaft noch klein. Sie ist vielfältig wie unsere Gesellschaft. Unabhängig von der unterschiedlich ausgeprägten Nähe oder Distanz zu religiösen Ritualen eint sie die Erfahrung einer verfolgten Minderheit und das Wissen um die Gefährdung ihrer Kultur.

Ob sich orthodoxe, liberale, queere Juden – oder wer auch immer zur Gemeinde zählt – in diesem neuen Gemeindezen­trum streiten, dort beten, dort heiraten, ihre Kinder erziehen wollen, dort Chanukah feiern oder Sukkot: DAS ist nicht Sache irgendwelcher Bedenkenträger! Es geht hier nicht um einen Fahrradparkplatz oder eine lärmende Kita, wo Anwohner und Anwohnerinnen ihre gegenwärtigen Bedürfnisse artikulieren können – es geht in unserer Stadt um die späte Übernahme von Verantwortung für begangenes Unrecht, um die Sichtbarmachung dieser Verantwortung durch einen Wiederaufbau mit hohem Symbolwert – und um die Wiederbelebung hamburgisch-jüdischer Tradition.

Bornplatz-Synagoge: "Wer so argumentiert, hat nichts verstanden"

So viel Respekt vor Juden und Jüdinnen, die sich entschieden haben, nach dem Trauma der NS-Herrschaft wieder in Deutschland zu leben, muss sein – und so viel Anstand, dass die Nachfahren der Täter es den Nachfahren der Opfer überlassen, wie sie ihr Gotteshaus und Gemeindezentrum gestalten wollen. Auf die Schändung und Zerstörung der Bornplatz-Synagoge im November 1938 folgte 1939 der von den NS-Behörden befohlene Abriss, den die Jüdische Gemeinde selbst bezahlen musste.

Dass ein Bau, um mehr geht es ja gar nicht, solche Einwände evoziert, zeigt aber viel mehr: Wer so argumentiert, hat nichts verstanden.