Hamburg. 1,5-Grad-Ziel ist wohl nicht mehr zu halten. Den Kampf gegen den Klimawandel dürfe man aber nicht aufgeben, meint Luisa Neubauer.
Trübsal blasen, gar aufgeben? Nichts da: Die globale Erwärmung lasse sich zumindest langfristig abschwächen, Deutschland könne und müsse auch mit der Anpassung an den Klimawandel vorankommen – darin waren sich die prominenten Teilnehmenden einig bei der Eröffnung des zwölften Extremwetterkongresses (EWK) in Hamburg. „Die Lage ist dramatisch, keine Frage, und die politischen Aussichten sind miserabel. Das heißt aber in keiner Sekunde, dass sich das nicht ändern lassen kann“, sagte Klimaaktivistin Luisa Neubauer, Mitorganisatorin der Bewegung Fridays for Future.
„Kein Gletscher schmilzt langsamer, nur weil wir andere Sorgen haben“
Die gebürtige Hamburgerin erinnerte im Maritimen Museum in der HafenCity an den EWK ein Jahr zuvor, als die Welt schon mit vielen Problemen und Krisen zu kämpfen hatte, insbesondere mit der Corona-Pandemie. Zuletzt kam der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hinzu, der großes Leid über das Land gebracht hat – und der darüber hinaus gravierende Folgen für den Handel, die Energieversorgung und für die Teuerung hat. „Es ist natürlich eine Zumutung für Menschen, mit diesen ganzen Sorgen zu jonglieren“, sagte Neubauer. Zugleich sehnten sich viele doch „nach irgendeiner Form von Sicherheit und einer Zeit, in der mal wieder weniger Krise ist“.
Beim Klimaschutz gebe es deshalb keine Zeit zu verlieren. „Es muss jede einzelne Maßnahme, die jetzt getroffen wird, um Krisen zu bewältigen, auf ihre ökologische Wirkung hin überprüft werden“, sagte Neubauer. Das am Mittwoch vom Deutschen Wetterdienst auf dem Kongress in Hamburg veröffentlichte jüngste Extremwetter-Faktenpapier ist aus Neubauers Sicht „ein Aufschrei, der aufrütteln soll“ und stellt eine lange Aufgabenliste für Politik und Gesellschaft dar. „Kein Gletscher schmilzt gerade langsamer, keine Flut kommt weniger drastisch, kein Dürre weniger existenziell, kein Ernteausfall weniger bedrohlich, nur weil wir andere Sorgen haben“, sagte Neubauer.
Klimaschutz: "Kein Nachmittagsprojekt für Öko-Nerds"
„Wenn man von Achtklässlern erwarten kann, dass sie mehrere Fächer gleichzeitig in der Schule bearbeiten, dann muss man auch von uns als Gesellschaft und von der Regierung erwarten können, mehrere Krisen gleichzeitig anzugehen und nicht gegeneinander auszuspielen – so hart das auch ist“, so Neubauer. Klima- und Katastrophenschutz sei „kein Nachmittagsprojekt für Öko-Nerds“, „kein Eisbären streicheln“, kein „Kinder-Thema für Leute mit zu viel Zeit“, sondern die existenzielle Frage unser Zeit, sagte Neubauer.
Tobias Fuchs vom Deutschen Wetterdienst (DWD) erinnerte zunächst an die Hochwasserkatastrophe 2021 im Ahrtal und sagte dann, auch in diesem Jahr müsse man nicht lange nach möglichen Folgen des Klimawandels suchen. Der Sommer 2022 sei der sonnenscheinreichste, drittwärmste und zweittrockendste seit Beginn der Aufzeichnungen gewesen. „Die Böden waren fast flächendeckend ausgetrocknet“, sagte Fuchs. „Grünland verdorrte zunehmend und wurde zu Braunland.“ An vielen Stellen litten Bäume. „Waldbrände begleiteten uns den ganzen Sommer“, sagte Fuchs. „Die niedrigen Wasserstände der Flüsse beeinträchtigten nicht nur die Kühlwasserversorgung von Kraftwerken; auch der Gütertransport mit Schiffen zum Beispiel auf dem Rhein wurde massiv eingeschränkt.“ Unter Strich: „ein für Deutschland im Klimawandel bald typischer Sommer“.
Bundesweit höchste Temperatur 2022 in Hamburg gemessen
Der DWD versucht, mit sogenannten Attributionsstudien einzuschätzen, wie viel Klimawandel in Wetterereignissen steckt. Die Ergebnisse deuteten darauf hin, dass der Klimawandel auch hierzulande die Intensität und die Häufigkeit von Wetterextremen wie Starkregen, Trockenphasen und Hitzewellen verändere, sagte Fuchs. Dem DWD zufolge war seit 1960 jede Dekade hierzulande wärmer als die vorherige. Die Zahl heißer Tage mit einer Maximaltemperatur von mindestens 30 Grad sei seit den 1950er-Jahren von etwa drei Tagen im Jahr auf heute im Mittel etwa neun Tage im Jahr gestiegen. 40 Grad Celsius, „früher bei uns unvorstellbar“, seien bisher in fünf Jahren erreicht worden: 1983, 2003, 2015, 2019, 2022.
„Sie sehen, die Abstände werden kürzer, sagte Fuchs bei seiner Präsentation im Maritimen Museum – und erinnerte daran, dass die in diesem Jahr bundesweit höchste, am 20. Juli verzeichnete Temperatur von 40,1 Grad in Hamburg gemessen worden war, an der DWD-Station in Neuwiedenthal. In dem jüngsten Extremwetter-Faktenpapier heißt es, im Rahmen der natürlichen Variabilität werde es zwar auch weiterhin kalte Winter, kühle Sommer und die Gefahr von Spätfrösten geben. „Die Wahrscheinlichkeit für diese drei genannten Ereignisse nimmt jedoch in Folge der globalen Erwärmung ab.“
Hamburger Klimaforscher: 1,5-Grad-Ziel ist wohl nicht mehr zu erreichen
Im Jahr 2015 hatten fast alle Staaten in Paris ein Klimaabkommen unterzeichnet, wonach sie den weltweiten Temperaturanstieg auf 1,5 Grad begrenzen wollen. Aktuell liegt die globale Durchschnittstemperatur schon um 1,1 Grad über der Zeit von 1881 bis 1910. Mittlerweile zeichne sich ab, dass es wohl nicht gelingen werde, die vereinbarte Begrenzung zu schaffen, sagte der Hamburger Klimaforscher Prof. Jochem Marotzke, Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie auf dem Kongress. Er verwies auf die Arbeit des Weltklimarats IPCC. „In allen Szenarien, die wir durchgerechnet haben, überschreiten wir 1,5 Grad in den 2030er-Jahren.“
Das bedeute noch längst nicht, „dass in der Zukunft alles verloren sei“, sagte Marotzke. „Sollte es gelingen, sehr schnell die weltweiten Emissionen herunterzufahren, dann würde sich das Klima einpendeln bei ungefähr 1,6 Grad.“ Dazu müsste die Menschheit aber bis 2050 zu sogenannten Netto-Null-Emissionen kommen, also den Ausstoß von Treibhausgasen komplett vermeiden oder einen emittierten Rest der Atmosphäre entziehen.
Energiewende: " Diese Bewegung ist nicht stark genug"
Marotzke sagte, es gebe zwar „in erheblichen Teilen der Gesellschaft eine Tendenz hin zur Dekarbonisierung“. Damit gemeint ist der Umstieg von der Nutzung fossiler Brennstoffe wie Kohle, Gas und Öl auf erneuerbare Energiequellen. Aber: „Diese Bewegung ist nicht stark genug, nicht schnell genug, nicht entschlossen genug“, sagte der Klimaforscher. Eine Abkehr von Investitionen in fossile Energien finde bisher nicht statt.
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Ein Schwerpunkt des Kongress liegt nach Angaben des Deutschen Klima-Konsortiums (DKK) in diesem Jahr auf dem Abschmelzen der Eisbedeckung, seien es Gletscher, Meereis oder Landeis. Die Wissenschaft erwarte in den kommenden Jahrzehnten weitere Verluste, wodurch die Gefahr von Wasserknappheit und bilateralen Konflikten steige, erklärte die DKK-Vorstandsvorsitzende Astrid Kiendler-Scharr. „Wie gehen wir damit um, wenn im Sommer Flüsse in den Alpen trockenfallen, bei Dürrewellen Trinkwasserquellen versiegen und die Schifffahrtsstraßen nicht mehr nutzbar werden? Wir werden uns mit klugen Lösungen darauf einstellen müssen und brauchen gleichzeitig viel mehr Klimaschutz.“