Hamburg. Der Hamburger Journalist fälschte viele seiner Reportagen für den „Spiegel“. Der Fall sorgte weltweit für Aufsehen. Ein Überblick.

Angst vor dem beruflichen Scheitern, unbändige Eitelkeit und kriminelle Energie: Claas Relotius, ehemaliger „Spiegel“-Redakteur, wurde 2018 nachgewiesen, zahlreiche Texte gefälscht zu haben, vor allem Reportagen. Man hält den Vorfall heute für einen der schwersten Fälle dieser Art in der Nachkriegszeit. Aufgedeckt hat sie „Spiegel“-Reporter Juan Moreno – trotz zunächst bestehender erheblicher Bedenken im eigenen Haus.

Relotius arbeitete im Ressort Gesellschaft und galt als ein exzellenter Schreiber. Seine Kollegen hätten ihm die Fälschungen nicht zugetraut, hieß es. Aber dann kamen Zweifel auf. Auch an einem Interview mit der fast 100-jährigen, in den USA lebenden Traute Lafrenz, in dem sie aktuelle politische Vorgänge wie den Aufstieg der AfD in Deutschland kommentierte.

Claas Relotius lullte seine Leser ein

„Seine Beliebtheit und seine Art der Kommunikation führten offenbar in Dokumentation und Redaktion zu mangelnder kritischer Distanz gegenüber seinen Texten“, schrieb der „Spiegel“ in einer Stellungnahme schuldbewusst..

Leser, die seine Geschichten, etwa über die Todesstrafe in den USA, kritisch beäugten und meinten, sie könnte erfunden sein, wusste Relotius geschickt einzulullen, um ihre Zweifel zu zerstreuen. Kritische Leserbriefe kehrte er unter den Teppich. Juan Moreno fielen zwar Unregelmäßigkeiten in den Texten auf, aber Relotius konnte sich zunächst weiter auf die Unterstützung seiner Chefs verlassen.

Claas Relotius schrieb viele Details ab

Misstrauisch wurde hingegen die Jury des Nannen-Preises. „Mehrere Jurymitglieder äußerten Zweifel daran, dass sich alles so abgespielt hat“, hieß es. Relotius soll viele Details seiner Geschichten aus britischen Zeitungen abgeschrieben haben.

Eine gemeinsame Reportage mit Moreno, „Jaegers Grenze“, brachte dann das Fass zum Überlaufen. Es ging darin um mittelamerikanische Flüchtlinge, die in die USA wollen. Moreno und Relotius hatten sie gemeinsam geschrieben, doch Moreno hatte starke Zweifel am Wahrheitsgehalt der Passagen seines Kollegen. Der damalige „Spiegel“-Chef Matthias Geyer schrieb ihm: „Juan, ich möchte einmal festhalten, worum es hier geht: Entweder, du richtest gerade einen Kollegen hin, oder du richtest dich selber hin.“

Claas Relotius kündigte beim „Spiegel“

Im Dezember 2018 kündigte Relotius beim „Spiegel“. Drei Jahre später gab er in einem Interview „psychotische Störungen“ als einen Grund für seinen Fälschungsdrang an.

Am Ende des „Spiegel“-Abschlussberichts, zu dem sich der Journalist nicht befragen lassen wollte, kommt man beim Nachrichtenmagazin zu diesem Schluss: „Wir haben uns von Relotius einwickeln lassen und in einem Ausmaß Fehler gemacht, das gemessen an den Maßstäben dieses Hauses unwürdig ist. Und: Wir sind, als erste Zweifel aufkamen, viel zu langsam in die Gänge gekommen und haben Relotius’ immer neuen Lügen zu lange geglaubt.“