Hamburg. Das Münchner Regisseur hat den Relotius-Fall als bissige Mediensatire verfilmt – und dabei selbst mit der Wahrheit gespielt.
Es war ein Skandal, der die Medienwelt nachhaltig erschütterte. Als 2018 herauskam, dass ausgerechnet der viel gepriesene Star-Journalist des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“, Claas Relotius, große Teile seine Reportagen und Interviews einfach erfunden hatte. Auf die Schliche kam ihm ein anderer „Spiegel“-Autor, Juan Moreno, der darüber auch ein Buch schrieb. Die Öffentlichkeit konnte es kaum fassen. Und der Stoff ist wie gemacht für eine Medien-Satire.
Die ließ denn auch nicht lange auf sich warten. Am 29. September startet der Film „Tausend Zeilen“ mit Jonas Nay als Blender und Elyas M’Barek als derjenige, der ihn überführt. Wir sprachen mit dem Münchner Regisseur Michael „Bully“ Herbig im Berliner Hotel Das Stue über seinen Film.
Hamburger Abendblatt: Herr Herbig, ist der Relotius-Skandal beim „Spiegel“ so was wie die Hitler-Tagebücher beim „Stern“? Und steht „Tausend Zeilen“ dann in der Tradition von „Schtonk“?
Michael Bully Herbig: Da irgendwelche Vergleiche zu ziehen, das möchte ich mir gar nicht anmaßen. Aber ich bin wie ein Trüffelschwein immer auf der Suche nach Stoffen. Und wenn ich irgendwo etwas sehe, lese oder höre, denke ich sofort in Bildern und in Film. Und bei diesem Skandal war der erste Impuls einfach: Das ist die Grundlage für einen wunderbaren Unterhaltungsfilm.
Dennoch, stehen Sie damit nicht schon ein bisschen in der Tradition von Helmut Dietl, in dessen letztem Film „Zettl“ Sie ja die Hauptrolle spielten?
Herbig: „Schtonk“ ist einer meiner All time Favourites. Und trägt ganz klar die Handschrift von Helmut Dietl. Ihn habe ich geschätzt und verehrt. Der Film ist aber 30 Jahre alt. Der Zeitgeist hat sich verändert, auch die Filmästhetik und die Art, wie man Filme schaut. Deshalb würde ich „Tausend Zeilen“ nie mit „Schtonk“ vergleichen, das wäre total fatal. Die Leute hätten dann auch eine falsche Erwartungshaltung. Aber „Tausend Zeilen“ schrie nach einer Verfilmung. Ohne dass ich damals schon Details gekannt hätte oder gar das Enthüllungsbuch von Juan Moreno: Das Potenzial konnte man sofort erkennen.
Skandal: Wie Claas Relotius seine Leser einlullte
Im Vorspann heißt es, alles basiert auf Fakten, nichts davon ist wahr. Sie benutzen auch andere Namen für die Figuren. Ist das nötig, um sich abzugrenzen und abzusichern?
Herbig: Es ist immer eine Frage des Genres. In meinem letzten Film, „Ballon“, ging es um einen Fluchtversuch aus der DDR, da haben wir uns zu 90 Prozent an die Fakten gehalten und nur den Showdown etwas dramatisiert. Das hier aber ist eine Satire, wo es darum geht, die Unwahrheit zum Thema zu machen. Wenn man vom Lügen erzählt, kann man auch selber schummeln und Dinge bewusst verdrehen. Diese Idee war sofort da. Das Buch von Juan Moreno war die Inspiration, wir haben uns aber die künstlerische Freiheit genommen und Dinge neu erfunden. Das hat mich sehr gereizt: um auch die Leute, die das Buch kennen, zu überraschen. Ein Problem war ja auch: Die zwei Hauptfiguren sind sich nie begegnet, filmisch gesehen ist das aber langweilig. Ich wollte aber einen Showdown, wo sie einmal aufeinandertreffen. Also behaupten wir das im Film einfach. Wenn du solche Veränderungen vornimmst, musst du natürlich andere Namen verwenden und dich von der Realität verabschieden. Sonst bist du selbst beim Fake. Das ist ja der Unterschied: Wir erfinden was – aber wir sagen es den Leuten.
Haben Sie je Kontakt zu Relotius gesucht – oder hat sich das verboten?
Herbig: Nein, das machte für diesen Film keinen Sinn. Man hätte die Geschichte natürlich auch aus der Perspektive des Hochstaplers erzählen können, wie Spielberg in „Catch Me If You Can“. Das hat auch eine Faszination. Aber die Inspiration war das Buch von Juan Moreno. Und aus dieser Perspektive wollte ich das auch erzählen. Es sollte am Ende die Geschichte des freien Journalisten sein, der wie David gegen Goliath gegen das größte Nachrichtenmagazin Europas antritt, um die Wahrheit ans Licht zu bringen.
Sind denn der stellvertretende Chefredakteur und der Ressortleiter in Ihren Augen Opfer? Oder Mittäter, weil sie ihren Journalisten dazu gedrängt haben?
Herbig: Sie sind, glaube ich, Opfer ihrer eigenen Eitelkeit geworden. Man hat gerade einen Lauf, steht so kurz vor der Beförderung, dieses größte Nachrichtenmagazin zu leiten – da will man nicht wahrhaben, dass da was nicht mit rechten Dingen zugeht. Wenn da einer kommt und einem die Suppe versalzen will, verscheucht man ihn wie eine Fliege vom Teller. Vielleicht ist das eine emphatische Seite von mir. Meine erste Reaktion war fast schon Mitleid: Oje, in deren Haut willst du jetzt nicht stecken! Aber für eine Filmfigur ist das grandios. Je tiefer der Fall, desto mehr Spaß im Kino.
Wie nachhaltig, was denken Sie, hat diese Affäre der deutschen Medienlandschaft geschadet? Wie sehr spielt sie denen in die Hände, die von Lügenpresse und Fake News sprechen? Gerade in Zeiten, wo Autokraten die Wahrheiten verdrehen?
Herbig: Mir war immer wichtig, dass der Film nicht pauschal zum Journalisten-Bashing wird. Ich nutze ja auch all diese Kanäle, Fernsehnachrichten, Zeitungen, Boulevardblätter. Als User wünsche ich mir, richtig informiert zu werden. Ich schwinge auch keine Moralkeule und spiele nicht den Besserwisser. Kein Frage, das war ein riesiges Desaster, aber am Ende hat es ja ein Journalist aufgedeckt. Das kann nur der seriöse Journalismus. Die Mechanismen haben schon gegriffen, nur halt leider viel zu spät. Aber das macht einem Hoffnung. Du kannst niemals ausschließen, dass so was nicht noch mal passiert. Aber es führt vielleicht zu einer Sensibilisierung. Ganz fatal wäre es, wenn alle sich von der Presse abwenden und sich nur noch in dubiose Internetkanäle flüchten, wo sie ausschließlich „ihre Wahrheit“ bestätigt bekommen. Wenn jeder nur noch von seiner gefühlten Wahrheit spricht, kommen wir nicht mehr weiter. Dann wird es nur noch laut, und keiner hört dem anderen mehr zu.
Wurde der Film auch schon dem „Spiegel“ gezeigt? Und gab es da eine Reaktion?
Herbig: Ich war der Erste, der meinte, wir müssen ihnen das zeigen. Das gebietet der Anstand – auch wenn es eine überzeichnete Satire ist. Wäre doch schlimm, wenn ein Journalist aus Bayern in Hamburg anruft und meint: „Hey, ich hab’s schon gesehen.“ Aber ich habe keine Ahnung, wie die Reaktion auf den Film war. Ich war nicht dabei.
In „Ballon“ haben Sie nicht mitgespielt. Aber haben Sie sich das für „Tausend Zeilen“ überlegt?
Herbig: „Ballon“ war so ein krasser Genrebruch für mich, dass das für mich überhaupt nicht infrage kam. Ich war mehr damit beschäftigt, die Spannung zu halten. Bei „Tausend Zeilen“ hätten die Produzenten sicher nichts dagegen gehabt. Irgendwie empfand ich das aber als unangebracht. Wenn ich selber das Gefühl habe, es gibt Leute, die besser passen, sehe ich keinen Grund, mich selber vor die Kamera zu stellen.
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Sie galten lange als Regisseur von Schenkelklopfkomödien, dann überraschten Sie mit „Ballon“ mit einem ernsten Thriller und jetzt mit einer Mediensatire. Entwickeln Sie sich gerade zu einer anderen Art von Filmemacher?
Herbig: Ganz klar nein. Ich hatte bisher das große Glück, immer das machen zu dürfen, wofür ich brenne. Dafür bin ich auch sehr dankbar und demütig. Es gibt unheimlich viele Stoffe, die mich reizen. Und als Zuschauer bin ich ja auch nicht auf ein spezielles Genre fixiert. Letztlich freue ich mich aber auch immer selbst über gute Unterhaltung, gerade in Zeiten wie diesen. Vor drei Jahren hatte ich so ein paar Stoffe, die ich mir hätte vorstellen können. Aber dann sind Dinge passiert, die man sich nicht vorstellen konnte, wie die Pandemie oder der schreckliche Angriffskrieg auf die Ukraine. Da sind gewisse Stoffe gerade einfach nicht angebracht. „Last One Laughing“ kam da genau zur richtigen Zeit. Die Leute waren so dankbar dafür, den ganzen Wahnsinn da draußen eine Zeit lang vergessen zu können. Momentan habe ich deshalb eher wieder die Tendenz, etwas Heiteres zu machen.