Hamburg. Zentralisierung der Kundenzentren könnte erst der Anfang sein, befürchten selbst Sozialdemokraten. Geht es um Grundsatzfrage?

Diese Formulierung liest sich wie ein Bekenntnis: „Die sieben Hamburger Bezirksämter nehmen eine besondere Stellung in der Hamburger Verwaltung ein. Unsere Bezirke sind für die Stadt und für unsere Demokratie unverzichtbar“, heißt es. Und weiter: „Wir wollen diese als häufig erste Anlaufstelle für die Menschen in den Bezirken weiter personell und finanziell so ausstatten, dass sie ihre wichtigen Aufgaben vor Ort weiter gut wahrnehmen können.“

Koalitionsvertrag: Loblied auf die Bezirke

So steht es im Koalitionsvertrag, den SPD und Grüne 2020 präsentiert haben. Das Regierungsbündnis wusste sich dabei im Einklang mit der Hamburgischen Verfassung, in der steht: „Durch Gesetz sind für Teilgebiete (Bezirke) Bezirksämter zu bilden, denen die selbstständige Erledigung übertragener Aufgaben obliegt.“ Das Knifflige an diesem Satz sind die Worte „übertragener Aufgaben“ – sie besagen nichts anderes, als dass der Senat frei entscheiden kann, welche Aufgaben er den Bezirken überträgt.

Oder eben nicht. Und von diesem Recht hat Rot-Grün in dieser Woche in einer Weise Gebrauch gemacht, dass sich die Frage aufdrängt, wie ernst das Loblied auf die Bezirke im Koalitionsvertrag eigentlich gemeint war.

Hunderte Mitarbeitende sollen zur Zentrale wechseln

Denn wie der Senat am Dienstag erklärte, will er den sieben Bezirksämtern im kommenden Jahr ausgerechnet jene „erste Anlaufstelle für die Menschen“ entziehen, nämlich die 23 Kundenzentren – und acht Ausländer-Ämter gleich dazu.

Wer einen neuen Personalausweis braucht, sich ummelden oder seinen Hund anmelden will, einen Angelschein oder eine amtliche Beglaubigung benötigt, der wendet sich dann nicht mehr an das Kundenzen­trum seines Bezirksamtes, sondern an den „Hamburg Service vor Ort“, der künftig direkt der Zweiten Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) und ihrer
Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke unterstellt ist. Mehr als 600 Mitarbeiter wechseln dann aus den Bezirksämtern in die zentrale Behörde – mutmaßlich der größte personelle Aderlass in der Geschichte der Hamburger Bezirke.

CDU-Fraktionschefs lehnen Plan ab

Nun darf man annehmen, dass es den allermeisten Bürgern wohl egal ist, ob ihre Anlaufstelle bei der Stadt „Kundenzen­trum“ oder „Hamburg Service“ heißt und ob sie zu einem Bezirksamt oder zu einer Landesbehörde gehört – sie wollen vermutlich einfach nur, dass ihr Anliegen so schnell, freundlich und unkompliziert wie möglich bearbeitet wird. Im Prinzip wird das außer im Senat auch in den Bezirken so gesehen. Dennoch gärt es dort nun.

„Wir lehnen das ab – alle sieben“, sagte etwa Ralf-Dieter Fischer, langjähriger CDU-Fraktionschef in Harburg, im Namen der anderen sechs CDU-Fraktionschefs. „Es geht doch nur darum, die Macht der Fachbehörde zulasten der Bezirke zu stärken.“ Er befürchte zudem, dass weitere Zentralisierungen folgen werden.

Selbst im rot-grünen Regierungslager gibt es Unmut, auch wenn sich dort (noch) niemand klar dazu äußern mag. Aber die Tatsache, dass die SPD-geführten Bezirksämter Bergedorf und Mitte der Drucksache „ihres“ Senats nicht zugestimmt haben, spricht Bände. „War das erst der Anfang?“, fragt man sich auch dort.

Online-Terminvergabe erbrachte nicht gewünschtes Ziel

Rückblick: Als 2014 die Online-Terminvergabe für die Kundenzentren eingeführt wurde, wurde relativ schnell deutlich, dass das Motto „Tschüss, Wartezeit“ voll nach hinten losging. Stattdessen konnten die Bürger am Rechner verfolgen, wie die Wartezeit auf einen Termin im Amt immer länger wurde – bis es 2015/2016 schließlich Monate waren.

Der Unmut in der Stadt war enorm. Unter dem damals noch für die Bezirke zuständigen Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) wurde dann für mehr Personal gesorgt, die Lage besserte sich, das Thema verschwand aus den Schlagzeilen.

Effektivere Arbeit durch zentrale Behörde?

Doch die im Frühjahr 2017 eingesetzte Arbeitsgruppe „Neuorganisation Kundenzentren in Hamburg“ (interner Name: „Projekt KuZ“) arbeitete weiter. Im Prinzip deutete sich schnell an, dass der Senat irgendeine Art von Zentralisierung anstrebte, doch erst als die Zuständigkeit für die Bezirke 2020 nach der Wahl von der Finanz- in die Wissenschaftsbehörde wechselte, kam plötzlich Fahrt in die Sache – was auch daran lag, dass es mit Alexander von Vogel (Grüne) wieder einen hauptamtlichen Bezirks-Staatsrat gab.

Er und Fegebank entschieden letztlich mit Unterstützung des gesamten rot-grünen Senats, dass die Kundenzentren effektiver arbeiten könnten, wenn sie alle zentral an eine Behörde angebunden sind.

Digitalisierung und Personalsteuerug: Fegebanks Argumente

Fegebanks Argumente dafür: Die Verwaltung soll und muss digitaler werden, bald werden fast alle Dienstleistungen online angeboten – das lasse sich aus einer Hand besser steuern. Die bisherigen Kundenzentren sollen künftig mehr Dienstleistungen anbieten. Nach dem Vorbild des jetzigen Sonderkundenzentrums in der Spitalerstraße sollen sie etwa auch Führerscheine ausstellen können – das setze Koordinierung zwischen Behörden voraus.

Und nicht zuletzt geht es um Personalsteuerung: Damit die Kundenzen­tren alle immer gleichmäßig gut besetzt sind, müssen Mitarbeiter bei Bedarf flexibel eingesetzt werden können. Das Bezirksamt Harburg, das bislang die Arbeit aller Kundenzentren koordiniert, habe das zwar gutgemacht, heißt es aus Senatskreisen, sei aber an Grenzen gestoßen, weil schlicht die Durchgriffsrechte gefehlt hätten. Das werde anders, wenn die Mitarbeiter alle einer Landesbehörde unterstellt sein werden, so die Hoffnung.

Verdi: "Wo ist der Anfang und wo das Ende?"

Doch mit dieser Begründung, so sagt es selbst ein hochrangiger Sozialdemokrat, könne man die Bezirke ganz abschaffen. Er glaube zwar nicht, dass als Nächstes Jugendämter oder Gesundheitsämter zen­tralisiert werden, allein schon, weil es auf SPD-Parteitagen mehr Bezirks- als Landespolitiker gebe und die das nicht mitmachen würden.

Doch bei der Gewerkschaft Ver.di ist man sich da nicht so sicher: „Wo ist der Anfang und wo ist das Ende?“, fragt Thomas Auth-Wittke vom Personalrat des Bezirksamtes Bergedorf. „Eine Zentralisierung mit den Argumenten ,Es wird alles besser‘ kann jederzeit wiederholt werden.“ Der Senat solle lieber die Bezirke besser ausstatten.

Hohe Kosten für geplante Zentralisierung

Das ist ein heikler Punkt: Denn mit der Zentralisierung einher geht eine enorme Verbesserung der Personalausstattung des neuen „Hamburg Service“, und die kostet auch nicht nur 1,9 Millionen Euro im Jahr, wie Fegebank am Dienstag auf Nachfrage sagte, sondern 13 Millionen, wie ihre Behörde später einräumte.

Warum, so fragt man sich in in den Bezirken, haben wir dieses Geld nicht bekommen? „Hier wird eine Personal- und Finanzentscheidung getroffen, die auch in den Bezirken möglich gewesen wäre und vor Ort zu besseren Bedingungen geführt hätte“, sagte Björn Michelsen vom Personalrat des Bezirksamtes Harburg.

In der Fachbehörde werden Mitarbeiter besser besoldet als in den Bezirken

Sauer stößt manchen Bezirksamtsleitungen auch auf, dass für etliche ihrer bisherigen Mitarbeiter der Wechsel in die Behörde mit einem Gehaltssprung versehen sein wird. So soll die Leitung des neuen Bereichs nach B3 (Grundgehalt: 8450 Euro) besoldet werden – höher als Dezernenten im Bezirksamt (B2: 7980 Euro) und nur knapp unter einem Bezirksamtsleiter (B4: 8950 Euro). Lesart vieler Bezirkspolitiker: Mit mehr Personal, das auch noch besser bezahlt werde, sei es ja keine Kunst, etwas besser hinzubekommen. Das gebe es aber immer nur für die Fachbehörden.

Im Senat wird das erbost zurückgewiesen: Mit dem Etat 2023/2024 erhielten die Bezirke zusammen 100 Millionen Euro mehr pro Jahr, um ihre vorhandenen Stellen endlich mal ausfinanzieren zu können. Vor allem die Grünen rühmen sich, dafür gekämpft zu haben.

Geht es dem Senat um eine Grundsatzfrage?

Es gehe um eine Grundsatzfrage, glaubt ein Sozialdemokrat, der beobachtet hat, dass auch einige Genossen im Senat wenig Wertschätzung für die Bezirke hegen. Tatsächlich lässt eine Formulierung in der aktuellen Drucksache des Senats zu den Kundenzentren – die dem Abendblatt vorliegt – aufhorchen: Dort heißt es, die Überführung der Kundenzentren in eine zen­trale Einheit bestätige „den bisherigen Ansatz, durch zentrale Steuerungsmaßnahmen“ flächendeckend qualitativ hochwertige Verwaltungsdienstleistungen anzubieten.

Und dieser Ansatz werde „konsequent fortgeschrieben“. Mit anderen Worten: Der Senat ist generell der Meinung, dass eine zentral gesteuerte Stadt besser funktioniert.