Hamburg. Der Senat warnt vor einer Überlastung des Hilfesystems und sieht Gesprächsbedarf mit dem Bund. Lage bereits „sehr angespannt“.

Auch wenn das Thema über den Sommer und die letzten Wochen zumindest medial etwas in den Hintergrund gerückt ist und der aktuelle Vormarsch der ukrainischen Streitkräfte Hoffnung auf ein Ende des Krieges erweckt: Die aktuelle Situation in Hamburg rund um den Zustrom von Geflüchteten ist „sehr, sehr viel angespannter, als sie sich über den Sommer anfühlte“, wie Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) bei einem gemeinsamen Pressegespräch mit Innensenator Andy Grote (SPD) gestern erklärte.

Wie ernst die Lage ist, war den Senatoren schlichtweg ins Gesicht geschrieben: Mit hochgezogener Stirn und großen Sorgenfalten betonte Grote, dass sie sogar so angespannt sei, dass er den Bund in der Verantwortung sehe, sich bereits zeitnah Gedanken über einen möglichen „nationalen Notstand“ zu machen. Zwar habe Hamburg bei der Unterbringung von Geflüchteten viele Lehren aus 2015/16 ziehen und Besserungen bereits zur Anwendung bringen können.

Krieg in der Ukraine: Flüchtlingszahlen könnten steigen

Doch stelle der weiterhin andauernde hohe Zustrom von ukrainischen Geflüchteten gepaart mit der Wohnungsknappheit, Lieferengpässen von Bau- und Wohnmaterialien sowie dem Zustrom von Geflüchteten aus anderen Ländern Hamburg aktuell vor „enorme Herausforderungen“. So sei durch die Unterbringung von bislang 43.500 Personen in öffentlich-rechtlichen Unterkünften nun eine Dimension erreicht, die dem Umfang von 2,3 Prozent der gesamten Hamburger Bevölkerung entspricht. Hinzu komme, dass die Notunterbringungen noch nicht einmal miteingerechnet seien, mahnte der Innensenator.

Sollte sich zudem die Furcht vor einem harten Winter und einem damit womöglich einhergehenden erhöhten Zustrom von ukrainischen Geflüchteten bewahrheiten, könne Hamburg in eine „sehr schwierige Lage geraten“. Waren es im Juni, Juli und August jeweils rund 2000 Menschen, die nach Hamburg kamen, könne sich die Anzahl durch die drohende verschlechterte Versorgungslage in der Ukraine selbst, aber auch in den angrenzenden Ländern, schnell erhöhen.

Errichtung neuer Unterkünfte sehr schwierig

Auch Sozialsenatorin Melanie Leonhard zeigte sich besorgt, was die Unterbringung der Geflüchteten betrifft: „Mondpreise“ und lange Wartezeiten bei Baumaterialien führten aktuell dazu, dass die Errichtung einer neuen Unterkunft rund 15 Wochen dauere – „doppelt so lang wie noch im Jahr 2015!“. Zudem fehlten der Stadt schlichtweg Immobilien für die Einrichtung neuer öffentlich-rechtlicher Unterkünfte, weshalb der Senat für „jeden Immobilienvorschlag dankbar“ sei.

In den Messehallen wurden im Frühjahr Notunterkünfte eingerichtet.
In den Messehallen wurden im Frühjahr Notunterkünfte eingerichtet. © picture alliance/dpa | Christian Charisius

Seit Februar habe die Stadt zusätzlich zu den bereits 30.000 bestehenden Plätzen 13.000 neue geschaffen. „Aber Tatsache ist: Die sind zu 98 Prozent belegt.“ Ziemlich sicher sei, dass auch wieder die Messehallen im Laufe des Oktobers zu einer Unterkunft für 350 bis 400 Personen umfunktioniert werden würden. Ebenso wie weitere sogenannte Reserveflächen in Duvenstedt oder an der Schnackenburgallee, wo bereits im März dieses Jahres Zelte aufgestellt worden waren.

„Die kritischen Stimmen werden bereits mehr“

Ließe es sich nicht vermeiden, so ziehe der Senat es erneut in Erwägung, Zelte aufzustellen und Turnhallen sowie alte Supermärkte zu nutzen. Dies habe jedoch zur Folge, dass die jeweiligen Sporthallen nicht mehr für die reguläre Nutzung zur Verfügung stünden. Hier komme es der Sozialsenatorin zufolge dann aber auch auf die Akzeptanz der Bevölkerung an. „Die kritischen Stimmen werden bereits mehr.“ Hamburg setze derzeit alles daran, die Ankommenden in „würdigen“ Unterkünften unterzubringen. Die gestiegenen Energiepreise „fordern jedoch auch den Senatshaushalt so stark, dass Hamburg das nicht alleine tragen kann“. Sowohl Melanie Leonhard als auch Andy Grote sehen deshalb erhöhten Gesprächsbedarf mit dem Bund.

Darüber hinaus sei es jedoch nicht nur die Unterbringung an sich, die den Senatoren die Sorgenfalten ins Gesicht trieben. Es gehe auch um Schul- und Kitaplätze sowie die medizinische Versorgung der Geflüchteten. Außerdem steige die Zahl der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, die eine besondere Betreuung benötigten. Hierfür errichte Hamburg derzeit einen eigenen Standort des Landesbetriebs Erziehung und Beratung (LEB), erklärte die Sozialsenatorin.

Krieg in der Ukraine: Verteilung der Flüchtlinge muss fair sein

Die politische Botschaft gehe daher in zwei Richtungen, wie Innensenator Grote betonte: „Zum einen muss jedem klar sein, in was für einer Lage wir uns gerade befinden.“ Grote habe den Eindruck, dass dies bei vielen Akteuren noch nicht der Fall sei. Darüber hinaus stellte der Innensenator die reine Länderzuständigkeit und auch den bisherigen Schlüssel zur Verteilung der Flüchtlinge infrage. Hamburg habe im Vergleich zu anderen Bundesländern bereits sehr viel möglich gemacht wie etwa die Ausstellung von Fiktionsbescheinigungen für studierende ukrainische Drittstaatsangehörige. Außerdem steige auch weiterhin der Anteil an Geflüchteten aus anderen Ländern wie Afghanistan oder Syrien, die ebenfalls untergebracht werden müssten.

CDU-Fraktionschef Dennis Thering warf dem rot-grünen Senat vor, den Entwicklungen offensichtlich hinterherzuhinken. „Spätestens seit dem russischen Angriffskrieg vor mehr als einem halben Jahr war klar, dass in Hamburg auch sehr viele Menschen aus der Ukraine untergebracht werden müssen.“ Der Senat habe sich in seinen Planungen wieder einmal verschätzt. Aus Therings Sicht kann die Messehalle für einen begrenzten Zeitraum als Unterkunft genutzt werden. „Schulsporthallen sollten allerdings für den Schul- und Sportbetrieb weiter zur Verfügung stehen.“