Hamburg. Kapitän Götz Bolte dirigiert die Schlepper auf der Elbe beim Hamburger Hafengeburtstag. So entsteht die große Show.

Mit ihren 3000 bis 6000 Pferdestärken hieven Schlepper 300 Meter lange Containerriesen an den Kai. Sie schleppen und ziehen mit stoischer Stärke, als würden Rückepferde im Wald einen schweren Holzstamm transportieren. Ohne diese Arbeitstiere, die rund um die Uhr auf der Elbe im Einsatz sind, wäre die Hafenwirtschaft in Hamburg unvorstellbar.

Doch einmal im Jahr fangen die Schlepper zu tanzen an. Ihre Kapitäne drehen ab. Sie lenken das Ruder blitzschnell nach Steuerbord, dann nach Backbord und wieder zurück. Bei Walzermusik, die vom Hafenrand aus der Konserve tönt, drehen die schwimmenden Kraftprotze plötzlich Pirouetten und schunkeln sich in Schieflage, bis das Wasser an die Landungsbrücken spritzt. Huch! Da werden neugierige Zuschauer nass. Wenn die Show gut ist, haben die Schlepperkapitäne vom schnellen Ruderdrehen danach Muskelkater in den Armen.

Hafengeburtstag Hamburg: Schlepperballett am Sonnabend um 15 Uhr

Das gibt’s nur einmal, und zwar beim Hafengeburtstag in Hamburg – in diesem Jahr vom 16. bis 18. September. Das weltweit einzigartige Schlepperballett vor den Landungsbrücken steht für Sonnabend, 17. September, 15 Uhr, auf dem Programm. Insgesamt vier Schlepper des Hamburger Unternehmens Fairplay Towage, ausgestattet mit jeweils rund 3000 PS, werden zur Höchstform auflaufen. Das Schlepperballett wird seit 1980 aufgeführt und ist ein Beispiel dafür, wie professionell Schlepperkapitäne mit den Hafenlotsen kooperieren. Man kennt sich schließlich von der täglichen Arbeit, bei Wind und Wetter.

Beim diesjährigen Schlepperballett tanzen die Schlepperkapitäne, das darf man ohne Übertreibung sagen, nach der Pfeife von Götz Bolte, seit Januar 2022 Ältermann der Hafenlotsenbrüderschaft Hamburg. Der 53-jährige Kapitän zur See ist gleichsam der John Neumeier des Schlepperballetts. Für ihn ist der Tanz der Arbeitstiere allerdings die Premiere. „Ich bin inzwischen der fünfte Hafenlotse, der das Schlepperballett mit von mir ausgewählter Musik choreografiert.“

Hafengeburtstag: Schlepperballett begeisterte erstmals 1980

Götz Bolte steht als Geschäftsführer an der Spitze der Hafenlotsenbrüderschaft mit insgesamt 67 Kapitänen. Eine Kapitänin gibt es bislang nicht. Sein Büro befindet sich neben dem Nautischen Zentrale in der Lotsenstation am Bubendeyweg 33. Am Elbufer mit Blick auf die Blankeneser Villen erzählt der gelernte Schiffsmechaniker, wie alles begann mit den tanzenden Schleppern auf dem Strom.

Initiator war Lotsenältermann Klaus Petersen, der erstmals 1980 mit der maritimen Formation einer breiten Öffentlichkeit zeigen wollte, wie manövrierfähig und wendig Schlepper mit ihren Ruderpropellern sind. „Sie verfügen über Schottelantrieb und Voith-Schneider Rotoren“, sagt Götz Bolte. „Damit sind kraftvolle Manöver in alle Richtungen möglich.“

Klaus Petersen ist Erfinder des Schlepperballetts

Bei der Uraufführung zum Hafengeburtstag 1980 schwappte eine Welle der Begeisterung durch das Publikum und verlangte Fortsetzung im Folgejahr. Viele Jahre lang gab Petersen den Takt vor. Sein Nachfolger: Hafenlotse Dietrich Petersen, mit dem Erfinder des Schlepperballetts weder verwandt und verschwägert.

Gleichsam in fünfter Generation fällt nun Götz Bolte diese Aufgabe zu. Ein Ehrenamt, für das es keine Ausbildung, aber reichlich Erfahrung bei den Vorgängern gibt. Man muss nur in die Aufzeichnungen der Vorjahre schauen. Ältermann Bolte erweckt keineswegs den Eindruck, als würde ihn die Planung der Tanzschritte und die Auswahl der Musik Kopfzerbrechen bereiten. „Aber kurz vorher werde ich wohl angespannt sein.“

Hafengeburtstag: Schlepperballett mit Heidi Kabel und Lotto King Karl

„Die Musik steht längst fest“, sagt er gut drei Wochen vor der Premiere. Selbstverständlich erklingen aus der Musikkonserve Walzermelodien im Dreiviertel-Takt und musikalische Hamburgensien wie das „Hammonia“-Lied, die Hamburg-Hymne mit ihrem Refrain: „Heil über dir, Heil dir, Hammonia, Hammonia! O wie glücklich stehst du da!“

„Wir spielen auch ‚Hamburg, meine Perle‘ von Lotto King Karl und ‚In Hamburg sagt man Tschüs‘ von Heidi Kabel“, sagt Götz Bolte. Diese Titel gehörten einfach dazu. Zudem will der Schlepperballettmeister eigene Akzente setzen. So werden die Schiffe zu den Melodien des Chansons „La Mer“ von Charles Trenet durch das Wasser ziehen und Pirouetten zu einem kroatischen Lied drehen. Schließlich ist das EU-Mitglied Partnerland des diesjährigen Hafengeburtstages.

Hafengeburtstag: Schlepperballett ohne Generalprobe

Zu diesen Liedern hat Hafenlotse Bolte sich einzelne „Tanzschritte“ ausgedacht und digital gespeichert. „Vorbild ist das Turnierreiten. Entsprechend fahren die Schlepper voneinander weg, aufeinander zu oder nebeneinander. Oder sie drehen sich im Kreis. Dazu kommt immer wieder die große Fontäne aus einem Feuerlöschboot.“

Eine Generalprobe gibt es nicht. Nach einer persönlichen Besprechung erhalten die vier Schlepperkapitäne zwei Stunden vor der Aufführung die einzelnen Tanzschritte auf mehreren Papierblättern. Sonnabend, 15 Uhr und damit gut eineinhalb Stunden vor Niedrigwasser, herrschen tidebedingt gute Bedingungen, dass die Elbe zur Bühne der Schlepper und ihrer wendigen Kapitäne werden kann.

Götz Bolte wird im Hafen-Klub an den Landungsbrücken Position beziehen und per Funk seine Anweisungen geben:

  • Erst ruft er den Namen eines Schleppers.
  • Dann wird er sagen: „Bitte Aufstellung nehmen nach Blatt 1.“
  • Später wird er sagen: „Alle nach rechts schunkeln. 3,2,1.“
  • „Lego!“ Das ist Seemannsprache und bedeutet: Let´s go!
  • Und ganz zum Schluss dürften wohl solche Worte fallen wie: „Klasse, mit Dank entlassen!“

Schlepperballett: Moderneren, stärkeren Schlepper weniger geeignet

Wie der Ältermann sagt, sind die Schlepperkapitäne derart professionell, dass sogar Neueinsteiger bei Fairplay Towage die Schlepper zum Tanzen bringen könnten. Nach der Übernahme der Firma Bugsier ist die Schlepperflotte im Hafen fest in der Hand des Hamburger Familienunternehmens Schlepperdampfschiffs-Reederei Richard Borchard. Sie verfügt international und national über 105 Schlepper verschiedener Klassen.

Zum Ballett tanzen Stier, Florian, Fairplay 54 und Bugsier 18 allesamt Voight-Schneider Schlepper die aufgrund ihrer geringeren Breite so schön schaukeln können. „Die moderneren, stärkeren ASD Schlepper sind deutlich breiter und eigenen sich nicht so gut“, sagt Götz Bolte.

Schlepperballett Hafengeburtstag – Bolte: „Ballett noch nie gesehen“

Der Ältermann kennt sich mit Schiffstechnik bestens aus. Der Sohn eines Gärtner-Ehepaars hat eine Ausbildung zum Schiffsmechaniker absolviert und an der Seefahrtschule Nautik studiert. Anschließend heuerte er auf einem Tanker an und setzte danach seine Karriere beim Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) fort. Dort war er ab 2002 Kapitän der „Atair“, ein Vermessungs-, Wracksuch- und Forschungsschiff.

Ein berufsbegleitendes Vermessungsstudium gehörte ebenfalls dazu. Seit 2005 ist er Hafenlotse. Zudem trainiert Bolte Lotsen am Simulator. In seiner Freizeit segelt er mit seiner Jolle. „Am liebsten auf der Alster und im Mühlenberger Loch.“ Außerdem singt er als Bass im Lotsenchor mit. Die Liebe zur Musik liegt ihm also im Blut.

Aber zum Ballett? Dass er je eine dieser Aufführungen in der Staatsoper oder in einem Theater gesehen hat, daran kann er sich nicht erinnern. „Ballett habe ich mir noch nie gesehen.“