Hamburg. Geplante Neupatientenregelung ginge zu Lasten der Hamburger Patienten. Ärzte appellieren an Bundesgesundheitsminister.

Dass viele Hamburger Ärztinnen und Ärzte aktuell in Wallung sind und die Stimmung in vielen Arztpraxen angespannt ist, hatte das Abendblatt bereits mehrfach berichtet. Doch nun ist sie regelrecht am kochen. Schuld daran sind nicht etwa die gestiegenen Energiekosten und Preissteigerungen bei den Mietpreisen, wobei diese mitunter auch einen kleinen Beitrag leisten. Vielmehr aber ist es ein Gesetzesvorhaben von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) , das nach Einschätzung der Hamburger Ärzteschaft womöglich harte Konsequenzen für Patientinnen und Patienten mit sich ziehen könnte.

Um die finanzschwachen Krankenkassen zu entlasten, sieht das Gesetzesvorhaben milliardenschwere Einsparungen im Gesundheitswesen vor. Erst am vergangenen Mittwoch teilte das Bundesgesundheitsministerium mit, dass die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) in Deutschland im ersten Halbjahr ihre Einnahmen deutlich überstiegen hätten.

Hamburgs Ärzte nennen Pläne "völlig verrückt“

„Um die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler vor zu hohen Belastungen zu schützen, hat die Bundesregierung den Entwurf eines GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes beschlossen“, erklärte Karl Lauterbach. Dieses sieht nun unter anderem die Kürzung des gerade erst eingeführten Bonus für Neupatienten ab dem kommenden Jahr vor.

„Was Herr Lauterbach da vorhat, ist eigentlich völlig verrückt“, sagt Dirk Heinrich, der als HNO-Arzt seit 1996 eine Praxis in Hamburg Horn betreibt und Vorsitzender der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburgs ist. Bei dem Mediziner herrsche aktuell ein „völliger Vertrauensverlust in die Verlässlichkeit von Politik“, wie er sagt. Den Menschen bei den gestiegenen Energiekosten nun auch die medizinische Versorgung zu kürzen, sei ein schwerer Schlag.

„Es fehlt einfach die Verlässlichkeit und Kontinuität"

Ähnlich sieht es auch Mike Müller-Glamann, der eine Hausarztpraxis in Bramfeld betreibt: „Es fehlt einfach die Verlässlichkeit und Kontinuität, die wir für unsere Planung brauchen.“ Durch die Einführung des Neupatienten-Bonus im Jahr 2019, der für Müller-Glamann zu einer Umsatzsteigerung von circa fünf Prozent geführt habe, habe der 56-Jährige seine Praxis ausweiten und auch mehr Personal anstellen können. In Bramfeld, einem Stadtteil, in dem laut Müller-Glamann immer mehr Arztpraxen schließen würden, von enormer Bedeutung.

Auch habe der Mediziner die mit dem Bonus vorgegebene Ausweitung der Sprechstundenzeiten damit bewältigen können. „Ich habe neue Mietverträge abgeschlossen mit einer Laufzeit von zehn Jahren und das Personal, was ich eingestellt habe, ist mir so ans Herz gewachsen, dem kündige ich doch jetzt nicht“, sagt der vierfache Vater besorgt.

Aufnahmestopps wären denkbar

Wenn es zu der geplanten Kürzung kommen sollte, werde es zulasten der Patienten gehen, da die Kosten irgendwie aufgefangen werden müssten. Dies werde sich dann unter anderem in stark verlängerten Wartezeiten, Aufnahmestopps sowie im schlimmsten Fall auch Schließungen von Praxen äußern, mahnt Müller-Glamann.

„Die einzige Chance, das Wegbrechen des Umsatzes zu kompensieren, ist die Kürzung von Sprechstundenzeiten für gesetzlich Versicherte, damit ich mehr Privatpatienten behandeln kann“, verrät der Mediziner. Doch dort, wo sich kaum Privatpatienten fänden, könne auch nicht kompensiert werden.

Auch die KV kritisiert Pläne

Auch die Kassenärztliche Vereinigung (KV) sieht in der Gesetzesinitiative „ein völlig falsches Signal an die Ärzteschaft“, wie es heißt. John Afful, Vorsitzender der KV Hamburg, sieht in der Reform zum einen mangelnde Wertschätzung seitens der Politik, aber auch eine bedrohliche finanzielle Lage für die Ärzteschaft: „Nach Jahren der Pandemiebekämpfung und mit Blick auf die von Herrn Prof. Lauterbach skizzierten Pandemieszenarien für den bevorstehenden Herbst und Winter ist es völlig unverständlich, wie der Bundesgesundheitsminister die Vertragsärzte und -psychotherapeuten auffordern kann, ihre Strukturen erneut anzupassen und das mit einer Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu begleiten.“ Dies erkenne „in keinster Form“ den jüngsten Einsatz der Niedergelassenen während der Pandemie an.

Um dem Gesundheitsminister nun die dringliche Lage zu verdeutlichen und klarzumachen, dass es nicht zu der Reform kommen dürfe, hat sich die Vertreterversammlung der KV Hamburg am Donnerstagabend unter dem Titel „Protest gegen die Aufhebung der Neupatientenregelung“ zu einer Sondersitzung zusammengefunden.

Hamburgs Hausärzte richten Appell an Karl Lauterbach

Einstimmig wurde eine Resolution verabschiedet, in der die Beibehaltung des Neupatientenbonus gefordert wird. Darin heißt es: „Herr Bundesgesundheitsminister, stoppen Sie diesen Irrsinn“ und „stärken Sie das Vertragsarztsystem statt es weiter zu schwächen!“ In der Pandemie hätten sich Arztpraxen als ein „verlässlicher Schutzwall“ erwiesen, was die Krankenhäuser vor einer Überlastung bewahrt hätte. Weiter heißt es: „Der Bundesgesundheitsminister muss erkennen, dass er mit seinen ungerechten (...) Entscheidungen der ambulanten Versorgung in Deutschland massiv schadet.“

Beschlossen wurde zudem, dass „Protestmaßnahmen“ durchgeführt werden, sollten auf die Resolution keine Konsequenzen folgen. Dies könnten etwa temporäre Praxisschließungen und auch Streiks sein, hieß es am Abend.