Hamburg. Im „Terminal Tango“ am Airport stapelt sich weiterhin das Gepäck. Warum es so kompliziert ist, das Durcheinander aufzulösen.

Es ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen: Hunderte Koffer stehen in Reihen im „Terminal Tango“ des Flughafens. Ein halbes Dutzend ehemalige Passagiere bahnen sich ihren Weg durch die dazwischen entstandenen Pfade, drehen Adress-Anhänger um, halten Ausschau in der Masse der zwei Hallen. Das Gepäck-Chaos hat sich auch Wochen nach Ende der Sommerferien noch nicht aufgelöst.

Das kostet viele Passagiere Nerven, Zeit und Geld – denn ob ein bestimmter Koffer dort gelagert wird, scheint für die Airlines nur schwer ermittelbar zu sein. Bis ein Gepäckstück gefunden und zugestellt wird, können Tage oder sogar Wochen vergehen. Und nicht jeder kann sich vor Ort selbst auf die Suche machen.

Flughafen Hamburg: Koffer lagern im Terminal Tango

So wie ein Passagier aus Hürth, der bereits seit zwölf Tagen auf seinen Koffer wartet und sich beim Abendblatt gemeldet hatte. Er war von Heraklion nach Hamburg geflogen, doch der Flug verspätete sich um mehrere Stunden. Wegen des Nachtlandeverbots in Hamburg landete die Maschine um 2:30 Uhr in Hannover. Dort wurde versichert, dass die Koffer am nächsten Tag nach Hamburg geflogen würden.

Der 40-Jährige erkundigte sich am nächsten Tag beim Reiseveranstalter Tui, der Airline Eurowings und dem Flughafen Hamburg. „Am Ende hat keiner was gesagt“, erzählt der 40-Jährige. Einige Tage später habe ihn dann eine Mitreisende kontaktiert und darauf hingewiesen, dass im Terminal Tango einige Koffer des Fluges gelagert würden, auch seiner. Diesen könne allerdings nur er selbst abholen, hieße es dort.

Koffer lagert 900 Kilometer entfernt

„Unsere Koffer stehen seit neun Tagen nachweislich am Hamburger Flughafen im Terminal Tango und wurden dort bereits mehrfach zweifelsfrei durch Mitreisende des Fluges gesichtet und identifiziert. Wie kann es sein, dass Sie als Airline die Koffer angeblich nicht finden und zustellen können?“, fragte der Passagier die Airline in einer E-Mail.

„Ich weiß ja genau, wo er ist – nur ich kann nicht mal eben 900 Kilometer nach Hamburg fahren“, sagt der Hürther. Er würde sich wünschen, dass ihm der Koffer zugeschickt wird, auf der Eurowings-Website wird ihm aber nur angezeigt, dass der Koffer noch gesucht werde. Taxi und Hotelübernachtungen seien ihm auch noch nicht erstattet worden. Ein Sprecher der Fluggesellschaft sagte nun auf Nachfrage des Abendblatts, dass der Koffer gefunden sei und in den kommenden Tagen zugestellt werden solle.

Airlines normalerweise für Gepäck verantwortlich

So wie dem Passagier aus Hürth geht es derzeit vielen anderen Flugreisenden. Für Verwirrung sorgt zudem die häufig ungeklärte Zuständigkeit. Normalerweise sind die Airlines für das Gepäck verantwortlich. Einige beauftragen jedoch Dienstleister wie die Aviation Handling Services (AHS) mit der Gepäckermittlung.

„Wenn ein Gepäckstück nicht abgeholt wird und herrenlos im Ankunftsbereich verbleibt, wird es am Lost-and-Found-Schalter in die Obhut der AHS gegeben, die für einen begrenzten Zeitraum – meistens fünf Tage – zuständig für die Identifikation des Besitzers und die Anbahnung der Zustellung ist“, sagt ein Sprecher der AHS auf Abendblatt-Anfrage. „Kann das Gepäckstück länger als fünf Tage nicht vermittelt werden, geht die Zuständigkeit meistens zurück an die Fluggesellschaft.“

Anderer Passagier kontaktierte Koffer-Besitzerin

Auch Eurowings beauftragt einen Dienstleister, die Airline Assistance Switzerland, mit der Gepäckermittlung. „In der aktuellen Situation ist diese Fünf-Tage Regel bei uns außer Kraft gesetzt. Der lokale Handling-Agent arbeitet alle vor Ort befindlichen Gepäckstücke ab“, sagt ein Sprecher der Eurowings.

Oft sind es aber Mitreisende, die die Besitzer informieren. So auch im Fall einer Studentin aus Hamburg, die an diesem Vormittag im Terminal Tango durch die Gepäckreihen läuft. Sie war vor neun Tagen mit Austrian Airlines von Catania (Sizilien) nach Hamburg geflogen und in Wien umgestiegen – wo der Koffer zurückblieb. Die Studentin füllte online ein Formular aus und wartete vorerst vergeblich auf die Zustellung ihres Gepäckstücks. Dann kam der Anruf eines anderen Passagiers, der bei der Suche nach seinem eigenen Gepäck ihren Koffer im Terminal Tango gesehen und ihre Telefonnummer auf einem Anhänger gefunden hatte.

„Es wird teilweise einfach aufgelegt.“

Weniger Glück hat eine Familie aus Ahrensburg. Ihre Koffer sind nach einem gestrichenen und umgebuchten Flug von Amsterdam vor einer Woche verschollen. Jetzt ist die Familie schon zum dritten Mal in den Hallen, um nach den vier Gepäckstücken zu suchen. Auch viele Telefonate habe sie schon erfolglos geführt, erzählt die Mutter. „Es wird teilweise einfach aufgelegt.“ Die Lufthansa habe sich nun der Ermittlung angenommen, heißt es.

Die Gründe, die zu dieser chaotischen Situation geführt haben, sind laut AHS vielfältig. „Um möglichst pünktlich abfliegen zu können, startet manchmal auch ein Flug, sobald der Passagiereinstieg abgeschlossen ist – das zurückgebliebene Gepäck soll dann mit dem nächsten Flug nachgeschickt werden.“ Auch die Abwanderung vieler Mitarbeiter von der Flugbranche wegen der Pandemie sei ein weiterer Grund.

Teilweise fehlen ganze Container mit Gepäckstücken

„Mit dem abrupten Wiederanstieg der Flugzahlen zum Sommerreiseverkehr fehlte nun in allen Bereichen qualifiziertes Personal. Neu gewonnene ­Mitarbeitende müssen zudem einen langfristigen Prozess der Sicherheitsüberprüfung durchlaufen und stehen nicht sofort zur Verfügung.“ Darüber hinaus würden immer wieder Gepäckkennzeichnungen verloren gehen.

„Wo früher nach einer Ankunft zwei bis drei Gepäckstücke fehlten, war es dann manchmal ein ganzer Container“, so der Sprecher der AHS.

Flughafen Hamburg: Sicherheit wird kritisiert

Nicht nur die Gepäckermittlung, auch die Sicherheit im Terminal Tango wird von Flugreisenden kritisiert: Die Türen stehen offen, jeder kann die mit Koffern überfüllte Halle betreten. Sicherheitspersonal ist vor Ort, ob eine Person aber wirklich ein Gepäckstück vermisst, wird beim Betreten nicht kontrolliert.

Ein Ende des Gepäck-Chaos sei laut AHS noch nicht zu erwarten. „Wir arbeiten mit Hochdruck daran, die Personalsituation kurzfristig zu verbessern. Solange jedoch an so vielen Stellen in der internationalen Luftfahrt einzelne Störungen zusammenkommen und sich multiplizieren, ist keine schnelle Lösung in Sicht.“