Hamburg. Der Hamburger ist der Produktchef der Tonie-Boxen. Er spricht über den Unterschied zwischen Vorlesen und Hören und neue Helden.

Ein Abspielgerät, eine Figur: Das ist kurz gesagt die Geschichte der Tonie-Boxen, die entstanden, weil Eltern es leid waren, ständig zerkratzte CDs oder defekte CD-Player ihrer Kinder in den Händen zu halten. Patric Faßbender und Marcus Stahl erfanden die Tonies – eine Idee, deren Marktwert inzwischen bei einer Milliarde Euro liegt.

Ein Hamburger ist der Mann hinter den Boxen: Tonie-Produktchef Markus Langer spricht in unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ über Probleme mit Pippi Langstrumpf, die Suche nach den nächsten Kinderhelden – und den Unterschied zwischen Vorlesen und Hören. Das komplette Gespräch hören (!) Sie unter www.abendblatt.de/entscheider

Das sagt Markus Langer über …

… die Gründe für den Erfolg der Tonies:

„Wir haben mit den Tonies die weltweit größte interaktive Audio-Plattform für Kinder geschaffen. Das System ist mit seinen technischen Zusammenhängen sehr komplex, aber davon merken die Nutzer nichts: Sie haben eine Figur, zum Beispiel die Biene Maja, die sie auf das Abspielgerät stellen, und können dann die entsprechende Geschichte hören. Die Tonies richten sich an kleinere Kinder, die man als Eltern ungern vor ein iPad oder den Computer setzt und denen man schon gar nicht ein Handy in die Hand drücken will.

Ich glaube, das Potenzial eines bildschirmlosen Players mit kuratierten Inhalten, den Kindern autark bedienen können, erkannt zu haben war die entscheidende Idee der Gründer. Hinzu kam, dass die CD damals auf einem deutlich absteigenden Ast war, auch bei Kindern. Allein von den Tonie-Boxen sind bisher rund 3,7 Millionen Stück verkauft worden und mehr als 44 Millionen Tonies – so heißen die Figuren, von denen alle zwei Sekunden eine gekauft wird.“

… die erfolgreichsten Hör-Spiele:

„Wir haben großen Erfolg mit unseren Eigenproduktionen, vor allem mit den klassischen Kinderliedern, die wir neu aufgenommen haben. Das Thema Diversität spielt eine wichtige Rolle. In den USA und in Großbritannien haben wir zum Beispiel den sogenannten Pride-Tonie auf den Markt gebracht. Auch Inhalte, die Kindern Wissen vermitteln, sind gefragt. Und wenn man so eine Plattform wie wir hat, muss der Anspruch natürlich sein, die nächsten großen Kinderhelden oder die nächsten großen Kinderserien zu entwickeln. Daran arbeiten wir.

Wenn wir eigene Marken kreieren, die erfolgreich sind, werden wir sicher auch überlegen, wie wir die Geschichten als Bücher herausgeben können. Von den bekannten Figuren laufen bei uns Conni, Paw Patrol, Feuerwehrmann Sam, Peppa Pig und vieles, was von Disney kommt, sehr gut.“

… die rechtlichen Probleme mit Pippi Langstrumpf

„Ich habe sieben Jahre gebraucht, um die Enkel von Astrid Lindgren davon zu überzeugen, uns für die Tonies die Rechte an den Geschichten ihrer Großmutter zur Verfügung zu stellen. Die Erben haben lange Bedenken gegenüber allem gehabt, was mit Vermarktung und Merchandising zu tun hatte. Sie hatten die Haltung, dass so etwas wie die Tonies zu weit weg sei vom Werk Astrid Lindgrens und all dem, was ihr wichtig gewesen ist.

Heute gehört Pippi Langstrumpf zu den erfolgreichsten Figuren, die wir im Programm haben. Wir zahlen übrigens an die Urheber sowohl für die Rechte an den Figuren, die wir herstellen lassen, als auch für die jeweiligen Audio-Versionen.“

… Deutschlands Kinderserien-Kultur:

„Was Kinderserien angeht, ist Deutschland einmalig, nirgendwo in der Welt gibt es eine solche Vielzahl von erfolgreichen Hörspielserien, angefangen von Benjamin Blümchen über Bibi Blocksberg bis hin zu den Drei ???.“

… den Unterschied zwischen Vorlesen und Tonie-Hören:

„Wir sehen unser Angebot nicht als Ersatz für das Vorlesen, sondern als Ergänzung. Wer Kinder hat, weiß, dass es immer wieder Situationen gibt, in denen man nicht vorlesen kann. Dann ist es sehr beruhigend, wenn man ein Gerät hat, welches das Kind autark nutzen kann und das keinen Bildschirm benötigt, bei dem der Sprung in die weite Welt des Internets ganz nah ist.

Ich selbst bin ein passionierter Vorleser, ich lese meinem Kind nach wie vor jeden Abend vor, meine acht Jahre alte Tochter besteht darauf. Der wesentliche Unterschied zwischen Vorlesen und Tonie-Hören sind die Nähe und die Möglichkeit zur Interaktion mit dem Vorleser oder der Vorleserin.“

… politische Korrektheit und Gendern bei Audioinhalten für Kinder:

„Es gibt bestimmte Hörspielinhalte aus den 70er- und 80er-Jahren, die für heutige Ohren problematisch sind. Da geht es aber weniger um Gendern, sondern um sexistische und rassistische Äußerungen, die wir inakzeptabel finden – das wollen wir Kindern heute nicht mehr zumuten. Bei Pippi Langstrumpf etwa haben wir in Abstimmung mit den Erben das N-Wort durch den berühmt gewordenen Südseekönig ersetzt, andere schwierige Begriffe ebenfalls.

Auch dabei waren die Erben erst sehr zurückhaltend: Sie argumentierten, dass Literatur aus der Zeit heraus betrachtet werden muss, in der sie entstanden ist. Uns war aber die heutige Perspektive der Betroffenen wichtig. Jedes Kind, das sich verletzt fühlt durch irgendeinen Begriff, wäre eines zu viel. Beim Gendern geht es uns weniger um die Präsenz aller Geschlechter in beschreibenden Zusammenhängen, sondern um Erzählklischees, die wir aufbrechen.

Der Anspruch sollte sein, dass man unterschiedliche Familienkonstellationen, die in einer diversen Gesellschaft vorkommen, thematisiert, aber nicht explizit, sondern eher beiläufig. Auf dem Weg dorthin gibt es andere Möglichkeiten, als in die vermeintliche Genderfalle zu tappen.“

… Tonies für Erwachsene:

„Die Idee kommt immer wieder auf den Tisch, aber wir haben uns dafür entschieden, uns auf Kinder zu fokussieren. Das wollen wir erst einmal noch eine Weile machen. Die entscheidende strategische Weichenstellung wird sowieso sein, unser Produkt weiterzudenken. Es ist wichtig zu begreifen, dass wir vor allem eine Inhalteplattform sind und nicht nur Produzent von Abspielgeräten und Figuren.“

Der Fragebogen

Was wollten Sie als Kind werden und warum?

Detektiv oder Geheimagent. An diesem ambitionierten Berufswunsch hatten die Zeitschrift „Yps“ (mit ihren großartigen Gimmicks), die Comics „Clever & Smart“ und die Serien „Fantomas“ und „James Bond“ einen nicht geringen Anteil. Tja, es ist dann trotzdem anders gekommen. Obwohl es auch in meinem heutigen Job mitunter Eigenschaften braucht, die denen eines Agenten ähnlich sind: eine gute Spürnase und die Fähigkeit, Entscheidungen von gewisser Tragweite in engem zeitlichen Rahmen zu treffen.

Wer war beziehungsweise ist Ihr Vorbild?

Ich habe immer schon eine starke Affinität zu Grenzgängern, Allroundern und Schnittstellenakteuren gehabt. Roger Willemsen war und ist ein Paradebeispiel dafür. Er hat es vermocht, die unterschiedlichsten Themen intellektuell zu durchdringen und sie mit scheinbar spielerischer Leichtigkeit einem breiten Publikum zu vermitteln. Dabei war ihm nichts Menschliches fremd. Er hat sich nicht gescheut, Position zu beziehen. Er war ein ebenso brillanter Redner wie Autor, musikbegeistert und hatte einen großartigen Humor. Er fehlt.

Was haben Ihre Lehrer/Professoren über Sie gesagt?

Mein Tanzlehrer sagte – da war ich etwa 13, 14 Jahre alt – in Anwesenheit des gesamten Kurses laut ins Mikrofon: „Ihre künftige Ehefrau tut mir jetzt schon leid!“ (Immerhin hält sie es nun schon seit mehr als 20 Jahren mit mir aus.)

Mein Hochschullehrer für Religionswissenschaft hingegen ahnte schon damals, dass ich keinen akademischen Karrierepfad einschlagen würde: „Sie landen mal in der Kreativwirtschaft!“ Und tatsächlich habe ich dann aufgrund meines starken Interesses für Populärkultur meine Abschlussarbeit über „Religiöse Elemente in der Werbung“ geschrieben – und der Universitätslaufbahn Adieu gesagt.

Wann und warum haben Sie sich für den Beruf entschieden, den Sie heute machen?

Gegen Ende meines Studiums bekam ich einen Plattenvertrag bei einem kleinen Hamburger Independent-Label, veröffentlichte ein Album, wusste aber schon, dass ich nicht alles auf die Karte „Singer/Songwriter“ setzen wollte, dafür hat es nicht gereicht.

Als ich dann die Gelegenheit bekam, bei einem der ältesten deutschen Hörbuchverlage als Aushilfe im Versand anzufangen, sah ich die Chance, meine Leidenschaft für Sprechkultur, Musik, Komposition und (Kinder-)Literatur einbringen zu können. So wurde aus der Aushilfstätigkeit schnell mehr. Ich wurde Assistent der Verlagsleitung, Hauskomponist und habe später die Aufnahmeleitung übernommen und Regie geführt.

Wer waren Ihre wichtigsten Förderer?

Hans Eckardt, einer der Pioniere der deutschsprachigen Hörbuchszene. Er war nicht nur ein begnadeter Sprecher, Dramaturg und Regisseur, sondern auch ein mutiger Unternehmer und gewiefter Geschäftsmann. Auch als das Hörbuchbusiness Anfang der Nullerjahre zum ersten Mal boomte und der Verlag expandierte, war er sich nicht zu schade, im Versand selbst mit anzupacken.

Von ihm habe ich viel gelernt. Als ich 2007 zur Verlagsgruppe Oetinger (der Heimat von Pippi Langstrumpf, dem Sams & Co.) wechselte, brachte mir die Gesellschafterfamilie Weitendorf viel Vertrauen entgegen, sodass ich schnell mehr Verantwortung als Programm- und Verlagsleiter übernahm. Bei Oetinger hatte ich bis 2020 die Geschäftsführung für den Medienbereich inne.

Was sind Eigenschaften, die Sie an Ihren Chefs bewundert haben?

Mut, offene Kommunikation, kritische Selbstreflexion, Verantwortungsbereitschaft, unternehmerische Weitsicht, die Fähigkeit, über den Tellerrand zu blicken.

Wie wichtig war/ist Ihnen Geld?

Jean-Jacques Rousseau wird – die aus meiner Sicht sehr zutreffende – Aussage zugeschrieben: „Geld, das man besitzt, ist das Mittel zur Freiheit – dasjenige, dem man nachjagt, das Mittel zur Knechtschaft.“

Worauf achten Sie bei Bewerbungen?

Ich erwarte, dass sich eine Bewerberin, ein Bewerber im Vorfeld nicht nur mit unserem Unternehmen, sondern auch mit den Spezifika des Marktumfelds, in dem wir uns bewegen, auseinandergesetzt hat. Bewerbungen „von der Stange“ dringen nicht zu mir durch. Die aktive, fundierte, kreative und individuelle Auseinandersetzung mit unserem Produkt und unserer Plattform dagegen erhöht die Chancen auf ein Interview deutlich.

Duzen oder siezen Sie?

Bei den Tonies duzen wir uns alle. Geschäftspartner und Geschäftspartnerinnen in der Regel auch. In den seltenen Fällen, wo ich mit einem „Sie“ einsteige, biete ich schnell ein „Du“ an.

Was sind Ihre größten Stärken?

Glücklicherweise ist das hier kein Bewerbungsgespräch, sonst müsste ich strategisch antworten, siehe die nächste Frage.

Was sind Ihre größten Schwächen?

Fragt eine Jobinterviewerin den Bewerber: „Was ist Ihre größte Schwäche?“ Der Bewerber antwortet: „Ehrlichkeit.“ Jobinterviewerin: „Das ist doch keine Schwäche!“ Darauf der Bewerber: „Ist mir doch scheißegal, was Sie denken.“

Welchen anderen Entscheider würden Sie gern näher kennenlernen?

Jan Bredack, der nach einer erfolgreichen Karriere als Manager in der Automobilindustrie und einer persönlichen Krisenerfahrung 2008 die Entscheidung traf, vegan zu leben und 2011 das Unternehmen Veganz zu gründen, welches er als Founder und CEO führt und letztes Jahr an die Börse gebracht hat. Wie wir uns ernähren, hat so weitreichende Folgen für unsere Zukunft und die des Planeten!

Angesichts der aktuellen Situation durch einander beeinflussende und sich überlagernde Krisen hat die Arbeit von Jan Bredack und vielen weiteren Unternehmerinnen und Unternehmern, die in demselben oder ähnlichen Bereichen aktiv sind, verstärkt an grundlegender Bedeutung gewonnen.

Was würden Sie ihn fragen?

Ich würde ihn unter anderem fragen, wie stark und inwiefern seine persönlichen Erfahrungen, sowohl die Krise als auch die bewusste Entscheidung, seine Ernährung radikal umzustellen, seine Haltung und sein Handeln als CEO geprägt haben und noch heute prägen.

In welchen Bereichen sieht er die größten Herausforderungen: in der gesellschaftlichen Akzeptanz einer konsequent veganen Lebensweise, in der von Industrielobbyismus beeinflussten Politik oder in der Produktinnovation bzw. fehlenden staatlichen Mitteln, diese zu fördern und schneller voranzutreiben?

Wann haben Sie zuletzt einen Fehler gemacht?

Wahrscheinlich heute. Entscheidend ist, dass man Fehler erkennt, zu ihnen steht und aus ihnen lernt.

Welche Entscheidung hat Ihnen auf Ihrem Karriereweg geholfen?

Die grundlegende Entscheidung, nicht nur auf den Kopf, sondern auch auf Herz und Bauch zu hören. Die drei sind nicht immer einer Meinung, aber zu gleichen Teilen stimmberechtigt, Prinzip Zweidrittelmehrheit.

Wie viele Stunden arbeiten Sie in der Woche?

Ich habe keine Mühe, auf die vertraglich vereinbarte Stundenzahl zu kommen :-)

Wie viele Stunden schlafen Sie (pro Nacht)?

Glücklicherweise komme ich mit relativ wenig Schlaf gut zurecht, in der Regel sind das sechs Stunden. Ich komme auch mal mit 4,5 Stunden klar, das sollte aber nicht über längere Zeiträume andauern.

Wie gehen Sie mit Stress um?

Da ich an den hehren Ambitionen, regelmäßig Sport zu treiben, ebenso regelmäßig scheitere (dabei liegt der Wald vor der Haustür!), habe ich die wohltuende Wirkung der Meditation entdeckt. So bemühe ich mich, mindestens 30 Minuten täglich zu meditieren. In der Regel ist das ganz früh am Morgen, bevor sich der Rest der Familie zum Frühstück begibt.

Wenn Sie anderen Menschen nur einen Rat für ihren beruflichen Werdegang geben dürften, welcher wäre das?

Keine Angst vor krummen Lebenswegen!

Und zum Schluss: Was wollten Sie immer schon mal sagen?

Macht’s gut und danke für den Fisch.