Hamburg. Die Landesfunkhauschefin weist die Vorwürfe der Vetternwirtschaft zurück. NDR_Mitarbeiter melden sich zu Wort. Was sie berichten.

Der Beitrag flimmerte zur besten Sendezeit im NDR „Hamburg Journal“ über die Bildschirme – und er ist ein Paukenschlag: In der Affäre um angebliche Vetternwirtschaft durch die NDR-Landesfunkhauschefin Sabine Rossbach haben ihre eigenen Mitarbeiter nicht nur der offiziellen Senderdarstellung widersprochen, sondern auch belastendes Material gegen Rossbach öffentlich gemacht.

Sehr wohl habe sie die Redaktion dazu gedrängt, über Themen und Termine zu berichten, die Rossbachs Tochter als Inhaberin der PR-Agentur Hesse & Hallermann dem Sender angedient habe. Rossbachs Wortlaut in mehreren E-Mails, die im „Hamburg Journal“ zitiert wurden: „Sollten wir haben“ oder „Mit der Bitte um Berichterstattung“. In dem Beitrag kommt auch ein Mitglied der Redaktion anonym zu Wort: „Wir haben uns (...) immer gewundert, warum wir über bestimmte Dinge berichten mussten.“

NDR-Affäre: Vorwurf der Vetternwirtschaft erhoben

Nach Abendblatt-Informationen hatte die Redaktion zuvor kontrovers diskutiert, wie sie mit den Vorwürfen gegen Rossbach umgehen sollten. Die möglichen beruflichen Verkettungen zwischen Mutter und Tochter sorgten intern seit Längerem für „häufigeres Murren“, wie eine Beschäftigte sagt. Dass Rossbachs Ehemann beim NDR in Niedersachsen einen Beratervertrag erhalten hatte, war auch öffentlich schon kritisiert worden. Der Druck auf Rossbach stieg in den vergangenen Tagen durch einen Bericht des „Business Insider“, in dem ein weiterer Vorwurf der Vetternwirtschaft erhoben wurde: Rossbachs jüngere Tochter soll eine begehrte Festanstellung bei NDR Kultur erhalten haben, obwohl es eine qualifiziertere Bewerberin gegeben habe.

Es gehe nun um „extreme Transparenz“, heißt es intern beim NDR, die eigene Glaubwürdigkeit stehe auf dem Spiel. Nicht nur in Hamburg, sondern auch in Kiel gibt es schwere Vorwürfe gegen die Senderspitze – dort geht es um politische Einflussnahme.

Interessenskonflikte wurden nicht ausgeschlossen

Das „Hamburg Journal“ entschied, beim Umgang mit der Causa Rossbach nun der „Blaupause“ aus Kiel zu folgen und unbefangene Autoren aus anderen NDR-Redaktionen im eigenen Programm über die Vorwürfe berichten zu lassen. Die Antikorruptionsbeauftragte des NDR, Cora Sternsdorff, untersucht die Vorwürfe gegen Sabine Rossbach. „Diese Prüfung ist vertraulich. Es gilt die Unschuldsvermutung“, sagte eine NDR-Sprecherin auf Anfrage.

Tatsächlich ist die Frage, ob Sabine Rossbach ihre Familie begünstigt haben könnte, auch intern höchst umstritten. Nach Abendblatt-Recherchen waren mögliche Interessenskonflikte seit langer Zeit bekannt, wurden aber nicht ausgeschlossen. Auch Rossbach selbst scherte sich darum offenbar wenig. Gleichzeitig berichten mehrere Insider auch von möglicher gezielter Diskreditierung und schlichter Unzufriedenheit mit dem Führungsstil der Chefin. Belege für ein Fehlverhalten gebe es nicht.

Sabine Rossbach wehrt sich gegen Vorwürfe

Sabine Rossbach kehrte gestern aus dem Urlaub zurück. In einer schriftlichen Stellungnahme auf der NDR-Website wehrt sie sich gegen die Vorwürfe, sie habe der PR-Agentur ihrer älteren Tochter zu Berichterstattung verholfen: Im täglichen Austausch mit den Redaktionen des NDR leite sie häufig Themenangebote verschiedener Veranstalter und Agenturen an Mitarbeiter weiter, darunter „auch vereinzelt“ Pressemitteilungen der Agentur ihrer Tochter. „Zu keinem Zeitpunkt habe ich Redaktionen aufgefordert, gegen journalistische Standards zu entscheiden“, so Rossbach. Sollte in der Redaktion der Eindruck entstanden sein, dass die Kunden ihrer Tochter bevorzugt behandelt werden sollten, bedaure sie dies.

Auf Nachfrage bestätigten mehrere aktuelle und ehemalige Redaktionsmitglieder des „Hamburg Journals“, dass Mails von Sabine Rossbach mit der Bitte um das Aufgreifen bestimmter Themen generell keine Seltenheit sei – so wie sie auch in anderen Redaktionen regelmäßig von Vorgesetzten kommen. Auch sei Rossbach nicht energischer aufgetreten, wenn es um Termine gegangen sei, die von der PR-Agentur Hesse & Hallermann ihrer Tochter angeboten worden seien. Insgesamt wird ihr Führungsstil aber als robust und manchmal herrisch beschrieben. Zumindest einige Mitarbeiter interpretierten ihre Bitten als „klaren Auftrag“, auch im Fall von Themen der PR-Agentur.

Mitarbeiter wurden "persönlich ermutigt"

Der NDR räumt auf Nachfrage ein, dass die „persönliche Verbindung“ der Landesfunkhauschefin zu der Agentur bereits 2017 in Gesprächen mit der damaligen Redaktionsleitung des „Hamburg Journals“ Thema gewesen sei. „Wie danach weiter verfahren wurde, ist Bestandteil einer laufenden Klärung.“ Rossbach wurde aber offenbar weder gezwungen, sich bei den Angeboten der PR-Agentur herauszuhalten, noch sah sie selbst dafür einen Anlass. Mitarbeiter berichten, man sei sich des „Geschmäckles“ bewusst gewesen. Auch habe man sich seinen Teil gedacht, sobald der Name „Hesse & Hallermann“ fiel. Darüber gesprochen wurde jedoch weder mit Rossbach noch mit anderen Vorgesetzten.

Entscheidend aber sei, so ein Mitarbeiter: „Es gab meines Wissens keinen Fall, in dem sie ein Thema der Agentur durchgedrückt hat. Da wäre auch Widerstand gekommen.“ Die Beispiele, die im Bericht des „Business Insiders“ für die mögliche Einflussnahme angeführt wurden, seien wenig aussagekräftig: Über den Blankeneser Neujahresempfang, Starköchin Cornelia Poletto oder den Erdbeerhof Glantz berichte man im „Hamburg Journal“ ohnehin, auch ohne „Bitte“ der Chefin. Dass Rossbach explizit für eine wohlwollende Berichterstattung gesorgt haben könnte, ist nicht belegt. Gegenüber dem „Business Insider“ sagten anonyme Mitarbeiter aber, sie seien „persönlich ermutigt“ worden, zu bestimmten Terminen zu gehen.

Beitrag über „Hundeseherin“ soll Rossbach selbst abgenommen haben

Der NDR hatte selbst bereits mitgeteilt, dass geprüft werden solle, ob die Themen der PR-Agentur „bevorzugt“ von Rossbach an die Redaktion weitergeleitet worden seien. Einen Großteil der Vorwürfe wies der Sender bereits zurück. Am Beraterjob für ihren Ehemann sei Rossbach in keiner Weise beteiligt gewesen. Die Stelle für die jüngere Tochter der Landesfunkhauschefin bei NDR Kultur sei in einem ordentlichen Verfahren unter Beteiligung anderer Gremien vergeben worden. Wie es im Sender heißt, leistete die Tochter bei NDR Kultur gute Arbeit.

Zu den Merkwürdigkeiten in der Causa Rossbach gehört auch ein Beitrag, der im Oktober 2019 im „Hamburg Journal“ gelaufen ist. Ein Kamerateam filmte eine Frau, die gegen Bezahlung angeblich mit lebenden und toten Hunden sprechen kann. „Das Thema war einfach völliger Quatsch und ergab zu Recht auch viele Beschwerden von Zuschauern“, so ein Insider. Der Beitrag gehörte zu einer Serie über „Hunde in Hamburg“, die von einer Produktionsfirma gedreht wurde. Deren Chefin ist wiederum Tochter der damaligen Programmchefin von NDR Kultur, bei der Rossbachs Tochter eine Stelle bekam.

NDR-Affäre: Rossbach muss sich vor Ausschuss verantworten

Rossbach musste sich vor dem Redaktionsausschuss verantworten, weil sie sich über Widerstand in der Redaktion hinweggesetzt hatte. Wie mehrere Beschäftigte bestätigten, nahm sie die Beiträge auch persönlich ab – „das ist ungewöhnlich, in diesem Fall wollte es aber einfach niemand anderes machen“, so ein Mitarbeiter. Im „Business Insider“ war der Beitrag ebenfalls aufgegriffen worden.

Fragt man Senderbeschäftigte, die journalistisch neutral mit der Sache umgehen wollen, sagen sie, der Vorgang sei schon kurios – aber dass Rossbach die Hundeserie gegen die Stelle für ihre eigene Tochter „getauscht“ haben könnte, sei eine wilde Unterstellung, für die es erst richtige Indizien brauche. Wer sich an „Business Insider“ gewandt habe, könne auch persönliche Motive haben. Die CDU fordert eine transparente Aufklärung, um „weiteren Schaden abzuwenden“, so der Abgeordnete Götz Wiese. „Auch die Kontrollmechanismen müssen überprüft werden“. Ein NDR-Mitarbeiter sagt, bewiesen sei nur eines: „Rossbach hatte zu wenig Fingerspitzengefühl, um einen ganz schlechten Anschein zu vermeiden.“

Anmerkung: In einer früheren Version des Artikels hieß es, die jüngere Tochter von Sabine Rossbach arbeite noch beim NDR. Wir haben die Stelle im Artikel geändert.