Volker Thormählen entbindet zwei Führungskräfte nach Zweifeln an unabhängiger Berichterstattung, dann bittet er selbst um eine Auszeit.

Wie ernst und angespannt die Lage beim Norddeutschen Rundfunk (NDR) ist, kann man allein an dem Hintergrundgespräch sehen, das Intendant Joachim Knuth mit Journalistinnen und Journalisten führen will. Seit Tagen werden Termine dafür angesetzt und wieder verschoben, zuletzt am Donnerstagmorgen.

Eigentlich hatte Knuth um 10.30 Uhr zu dem Gespräch eingeladen, das aber um 9.35 Uhr erneut per Mail abgesagt wurde. Begründung: „Aufgrund der aktuellen Entwicklungen im Landesfunkhaus Schleswig-Holstein wird Joachim Knuth am Morgen zu den Kolleginnen und Kollegen nach Kiel fahren.“

NDR: Landesfunkhaus vorübergehend ohne Direktor

Warum er dort dringend gebraucht wird, ging aus einer Erklärung hervor, die der NDR nahezu zeitgleich auf seiner Internetseite veröffentlichte: Das Landesfunkhaus hat vorübergehend keinen Direktor mehr. Der bisherige Amtsinhaber Volker Thormählen ist auf eigenen Wunsch in unbezahlten Urlaub gegangen.

Joachim Knuth, Intendant des Norddeutschen Rundfunks (NDR).
Joachim Knuth, Intendant des Norddeutschen Rundfunks (NDR). © Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Sein Chef Knuth erklärte offiziell dazu: „Volker Thormählen hat mich gestern Abend um einen Monat unbezahlten Urlaub gebeten, um Abstand zu gewinnen, und um im Sinne des NDR sicherzustellen, dass der Aufklärungsprozess von Personen verantwortet werden kann, die nicht persönlich betroffen sind. Ich danke ihm für dieses Angebot und habe es angenommen.“

In Kiel soll "Klima des Muts" etabliert werden

Ihm sei in den vergangenen Tagen deutlich geworden, dass sich im Landfunkhaus einiges ändern müsse, so Knuth weiter: „Wir stoßen für die Gestaltung der Zukunft nun einen Prozess an, um in Kiel künftig ein Klima des Muts zu etablieren.“

Volker Thormählen, Direktor des NDR-Landesfunkhauses Schleswig-Holstein.
Volker Thormählen, Direktor des NDR-Landesfunkhauses Schleswig-Holstein. © NDR/Jörg Wohlfromm

Thormählen selbst sagte: „Mit diesem Schritt möchte ich dazu beitragen, dass unter größtmöglicher Beteiligung der Kolleginnen und Kollegen sowie mit externer Hilfe und Unterstützung der von mir initiierte Prozess beginnen kann, ohne dass der Eindruck entsteht, ich könnte darauf Einfluss nehmen. Zu dieser Überzeugung bin ich gestern Nachmittag nach einer Redaktionskonferenz gekommen.“

Thormählen selbst hatte am Mittwoch seinen Chefredakteur Norbert Lorentzen und Politikchefin Julia Stein auf deren Wunsch von ihren Aufgaben entbunden – innerhalb von knapp 24 Stunden war der NDR in Schleswig-Holstein auf einmal führungslos. Und hat offenbar viel zu besprechen.

NDR – nächstes Sorgenkind der ARD

Denn der große Sender ist auf dem Weg, dem RBB aus Berlin und Brandenburg den Platz als größtes Sorgenkind der ARD streitig machen. Diesmal geht es nicht um luxuriöse Büros, umstrittene Abendessen und Massagesitze in Dienstwagen, die unter anderem zum Ende der RBB-Intendanz von Patricia Schlesinger geführt haben.

Nicht Intendant Knuth, von Natur aus ein bescheidener Mensch, steht im Zentrum der Vorwürfe, sondern die Art des politischen Journalismus, wie er im Landesfunkhaus in Kiel gemacht wurde. Und natürlich fragt man sich beim NDR, ob das am Ende nicht mindestens genauso schlimm ist wie Kritik an Bonuszahlungen für Führungskräfte. Oder schlimmer?

"Trifft uns als unabhängige Journalisten bis ins Mark"

Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des „Schleswig-Holsteins Magazins“ scheint zumindest ein Punkt erreicht, an dem es so nicht weitergehen kann. Sie hatten am Mittwoch sogar überlegt, die 12.007. Folge der beliebten Sendung ausfallen zu lassen, weil schon wieder „sehr schwerwiegende Vorwürfe gegen Führungskräfte unseres Funkhauses veröffentlicht worden sind, es geht wieder darum, dass sie Berichterstattung manipuliert haben sollen, und das trifft uns als unabhängige Journalisten bis ins Mark“, sagte Moderatorin Gabi Lüeße, die sich mit Mitmoderator Henrik Hanses und 45 Kolleginnen und Kollegen zu Beginn der Sendung vor dem Landesfunkhaus aufgebaut hatte.

Lorentzen und Stein waren kurz zuvor von ihren Aufgaben entbunden worden. „Unser großes Ziel ist es, dass alle Vorgänge unabhängig aufgeklärt werden“, sagte Hanses, und dass man sich deswegen Unterstützung von „den Kollegen aus Hamburg“ geholt habe.

Vorwürfe gegen den NDR: Nicht genug Distanz zu Politikern?

Tatsächlich recherchiert der NDR aktuell viel in eigener Sache, das Medienmagazin „Zapp“ berichtete in einer Sondersendung unter dem Titel „Politische Nähe? Vorwürfe gegen den NDR“ über die Ereignisse im eigenen Haus. Die selbstgestellten Fragen lauteten: Gibt es im Landesfunkhaus Schleswig-Holstein politische Einflussnahme? Werden kritische Beiträge zurückgehalten?

Dazu hatte es in den vergangenen Tagen mehrere Berichte gegeben, zuletzt war Julia Stein vorgeworfen worden, Kolleginnen und Kollegen „bei einer brisanten Recherche über das Deutsche Rote Kreuz“ behindert zu haben. Stein hatte sich, wie ihr Chefredakteur, auch Kritik gefallen lassen müssen, nicht genügend Distanz zu Politikern in Kiel gehabt zu haben – etwas, worüber intern offenbar schon länger diskutiert wurde.

Knuth: "Störung der Vertrauenskultur" beim NDR in Kiel

Soll heißen: Der Vorwurf, dass man beim NDR parteipolitisch nicht unabhängig berichtet, war im Haus bekannt, und deshalb stellte „Zapp“ Intendant Knuth die Frage, warum „diese Vorwürfe erst publik werden mussten, bevor der NDR reagiert hat“.

Knuth sagte, dass man intern die inhaltlichen Fragen geklärt habe, die im Zusammenhang mit einem Interview des damaligen schleswig-holsteinischen Innenministers Hans-Joachim Grote entstanden waren: „Aber in der Folge war klar, dass man zwischen den Verantwortlichen und vielen Kolleginnen und Kollegen eine Gesprächskultur schaffen muss, die noch einmal aufarbeitet, was da eigentlich geschehen ist“, so der Intendant.

Und: „Wenn man feststellt, dass diese Gespräche am Ende nicht das Ergebnis bringen, das wir brauchen, nämlich dass eine neue Vertrauenskultur im Haus entsteht, dann muss man andere Wege finden. Und das ist genau der Punkt, an dem wir jetzt stehen.“ Man habe „eine Störung der Vertrauenskultur“ im Landesfunkhaus – und die muss Knuth jetzt selbst beheben.