Hamburg. 30-Jährige verschaffte sich Kreditkarte und Pin eines im Sterben liegenden Patienten. Womit sie versucht, ihre Tat zu erklären.
Der Mann war in größter Not. Er hatte einen schweren Herzinfarkt erlitten. Und nun, im Krankenhaus, glaubte Reinhard L. sich sicher und in guten Händen. Doch da war jemand, der seine Hilflosigkeit ausnutzte. Der 62-Jährige wurde Opfer eines abgefeimten Diebstahls und eines Betruges — als der Hamburger auf der Intensivstation lag und mit dem Tode rang. Die Täterin ist eine Krankenschwester der Klinik.
Es ist eine Tat, die der Richter im Prozess vor dem Amtsgericht am Ende als „etwas Abgründiges“ bezeichnet. Es handele sich um einen Fall, der „sehr schwer wiegt“, betont der Vorsitzende. „Da ist ein Mann, der um sein Leben ringt. Das ist etwas sehr Schlimmes. Da wird sich an dem Mann auch noch bereichert. Das ist verwerflich.“
Prozess Hamburg: Krankenschwester muss nach Diebstahl in Haft
Zwei Jahre und vier Monate Freiheitsstrafe lautet das Urteil des Richters für die Frau, die die Tat vom Februar vergangenen Jahres im Wesentlichen gestanden hat. Sie hat eingeräumt, die Geldbörse des Todkranken an sich genommen und mit Hilfe von Kreditkarte und Pin mehrfach Geld vom Konto des Sterbenden abgehoben zu haben. Allerdings, so hat die 30-Jährige behauptet, habe sie nicht gewusst, wie schlecht es um den Gesundheitszustand des Hamburgers gestanden habe, der am 18. Februar vergangenen Jahres schließlich verstarb.
Zudem sei sie selber in einer Notlage gewesen. An Krebs erkrankt, vom Partner verlassen und nun allein erziehende Mutter einer damals Vierjährigen, habe sie „nicht gewusst, wie es weitergeht“, so die 30-Jährige. In dieser Situation habe seine Mandantin den „sehr bedauerlichen Entschluss gefasst“ und die Geldbörse des Patienten an sich genommen, formuliert der Verteidiger. Und die Angeklagte selber sagt: „Es tut mir sehr leid. Und es wird nicht wieder vorkommen.“
Intensivkrankenschwester wird Diebstahl und Betrug vorgeworfen
Der Hamburgerin wurden im Prozess Diebstahl und Computerbetrug vorgeworfen. Laut Ermittlungen stahl sie dem Patienten Reinhard L. dessen Portemonnaie mit EC- und Kreditkarten sowie Bargeld und seine Haustürschlüssel. Mithilfe letzterer soll sie die Wohnung des 62-Jährigen betreten, sich dessen Pin verschafft und mit der Kreditkarte innerhalb weniger Tage insgesamt 6760 Euro vom Konto des Geschädigten abgehoben haben. Ferner wird ihr vorgeworfen, sie habe im Herbst und Winter 2021/22 neun gefälschte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bei ihrer Krankenkasse eingereicht. Somit habe sie mehr als 2500 Euro Krankengeld ausgezahlt bekommen, auf das sie keinen Anspruch hatte.
Zehn Jahre hat Franziska M. (Name geändert) als Krankenschwester auf der Intensivstation des Albertinenkrankenhauses in Schnelsen gearbeitet. Das bedeutet, sie kennt sich aus mit schwer kranken Patienten, damit, dass einzelne Menschen es auch nicht schaffen, dass sie sterben. Sie weiß um das Leid, das ein schlimmer Schicksalsschlag den Betroffenen und den Angehörigen zufügt.
Sie habe den Beruf ergriffen, weil sie „Menschen helfen wollte“, erzählt die schlanke Frau mit den langen dunklen Haaren. Die Arbeit habe ihr „Spaß gemacht“. Doch im vergangenen Jahr sei sie verzweifelt gewesen und habe nicht mehr gewusst, wie sie ihre Miete zahlen und ihre kleine Tochter vernünftig versorgen solle.
Bruder des Verstorbenen widerspricht Aussage der Angeklagten
Ihr Verteidiger ergänzt, dass seiner Mandantin die Geldbörse von einer dritten Person, die auch im Krankenhaus arbeitete, übergeben worden sei. Wer dies sei, „möchte sie aus kollegialer Rücksichtnahme nicht verraten“. Außerdem habe die 30-Jährige sich nie Zutritt zu der Wohnung verschafft. Die Pin-Nummer habe sie aus weiteren Informationen aus der Geldbörse erhalten.
Doch da widerspricht Bernd L., der Bruder des Verstorbenen, vehement. Reinhard L. hätte „niemals“ so bedeutende Informationen bei sich getragen. Überdies hätten die Angehörigen unter den Unterlagen des Verstorbenen einen sorgfältig abgehefteten Umschlag gefunden, der die Pin enthalten haben müsse. Er kenne seinen Bruder ganz genau, sagt der 61-Jährige. „Wir waren so“, sagt der Mann als Zeuge und hält zwei Finger ineinander gehakelt. Wir waren wie ein Ehepaar.“ Was seinem Bruder angetan wurde, nennt Bernd L. „skrupellos. Wie man jemanden, der im Koma liegt, im Sterben liegt, bestehlen kann ...“, überlegt der Hamburger. „Ich mag der Frau nicht in die Augen gucken.“
Staatsanwältin: "Unfassbarer Fall, der mich persönlich berührt hat"
Die Staatsanwältin spricht in ihrem Plädoyer von einem „unfassbaren Fall, der mich persönlich berührt hat“. Sie fordert drei Jahre Freiheitsstrafe für die Angeklagte. Der Verteidiger hält eine Geldstrafe für angemessen. Doch das Gericht erkennt auf die zwei Jahre und vier Monate Haft. Die Angeklagte bricht in Tränen aus, als sie die Entscheidung hört und vergräbt ihr Gesicht in den Händen.
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Es habe sich um einen Patienten „in höchster Not“ gehandelt. „Und diese Situation haben Sie ausgenutzt“, sagt der Richter an die Adresse der Angeklagten. Es gebe keine Erkenntnisse, dass jemand anderes in den Diebstahl involviert war, zudem sei die 30-Jährige nach seiner Überzeugung in der Wohnung des Opfers gewesen, betont der Vorsitzende.
Prozess Hamburg: Tat der ehemaligen Krankenschwester "erschüttert Vertrauen"
Und dass der 62-Jährige mit dem Tod gerungen habe, habe sich der Angeklagten nicht verschlossen. Die Tat habe zudem „Auswirkungen auf das Vertrauen von uns allen. Das Vertrauen, dass man uns im Krankenhaus hilft, dass man würdevoll behandelt wird. Das Vertrauen haben viele Menschen. Das wird doch sehr, sehr stark erschüttert.“
Der Bruder des Opfers, Bernd L., sagt nach dem Urteil, die Angeklagte habe nach seinem Empfinden „eine gerechte Strafe bekommen. Mir fällt ein Stein vom Herzen.“