Hamburg. Auch das Konto wurde geplündert. Besucher waren in der Klinik nicht erlaubt. Wofür der Bruder des verstorbenen Hamburgers jetzt kämpft.
Ein todkranker Mann aus Hamburg ist Opfer eines abgefeimten Diebstahls geworden. Der oder die Täter stahlen Reinhard Littau (62) nach seiner Einlieferung ins Albertinen-Krankenhaus (Schnelsen) seinen Wohnungs- und Hausschlüssel sowie sein Portemonnaie mit allen Papieren. Während er auf der Intensivstation lag, sollen sie in seine Wohnung eingebrochen sein, sich dort PIN-Nummern verschafft und zwei Konten geplündert haben. Auch sollen sie versucht haben, auf seinen Namen im Internet einen Kredit über 100.000 Euro abzuschließen.
Der Bruder des Opfers, Bernd Littau, sagte, Reinhard sei am 5. Februar ins Krankenhaus gebracht worden. Zeugen erinnerten sich, dass er da noch Portemonnaie und Schlüssel bei sich trug. In der Klinik – wegen Corona für Besucher gesperrt – seien ihm zwei Stents gesetzt worden. Als sich sein Zustand verschlechterte, wurde er auf der Intensivstation in einen Tiefschlaf versetzt. Doch auch dies konnte ihm nicht helfen – der Hamburger starb.
Diebe plündern Konto eines todkranken Hamburgers
Drei Tage nach seinem Tod, am 21. Februar, habe der Vermieter ihm und seiner Schwester Reinhards Wohnung aufgesperrt, sagt Bernd Littau. „Dabei haben wir festgestellt, dass in einem Umschlag die PIN-Nummern meines Bruders fehlten“. Wie sich herausstellte, hatte vom 6. Februar an jemand über sieben Tage mit Reinhards Kreditkarte jedes Mal 1000 Euro abgehoben, außerdem noch Geld mit seiner Girokarte, insgesamt fast 10.000 Euro.
Vom LKA gesicherte Bilder einer Überwachungskamera eines rund 150 Meter von der Klinik entfernten Geldautomaten wurden zwar dem Krankenhauspersonal vorgelegt – sie erwiesen sich aber als nutzlos, da sich der Täter beim Geldabheben mit einer Corona-Maske getarnt hatte. Weil kein Täter ermittelt werden konnte, seien beide Verfahren zunächst eingestellt worden, sagte Mia Sperling-Karstens, Sprecherin der Staatsanwaltschaft.
Staatsanwaltschaft greift Fall wieder auf
Auch Nachforschungen der Klinik hätten „keine Hinweise“ auf einen Täter aus dem Mitarbeiterkreis ergeben, so Albertinen-Sprecher Fabian Peterson. Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen inzwischen wieder aufgenommen. Aus dem erst jetzt bekannt gewordenen versuchten Abschluss eines Kreditvertrags über 100.000 Euro mithilfe der gestohlenen Identitätsdaten könnten sich „weitere Ermittlungsansätze ergeben“, hieß es.
Wer war das bloß, wer hat Reinhard bestohlen?, fragt Bernd Littau und fügt voller Verachtung hinzu: „Bestohlen, als er im Sterben lag.“ Der 60-Jährige spricht von seinem geliebten Bruder. Buchstäblich in seinen letzten Zügen wurde der Opfer eines fiesen Diebstahls. Bernd Littau kämpft jetzt für Gerechtigkeit. Das klingt nobler als Rache, aber natürlich geht es ihm auch darum: um Sühne. „Ich will, dass der Täter bestraft wird“, sagt er. Beim Abendblatt-Termin trägt Littau ein Totenkopf-Shirt und hält mit eisiger Miene ein Porträt seines Bruders vor der Brust. Er möchte, dass die Botschaft ankommt.
Zumal nichts zuvor in seinem Leben ihn so empört habe wie diese Geschichte. Kurz zusammengefasst geht sie so: Sein Bruder Reinhard wird nach einem Herzinfarkt am Morgen des 5. Februar in das Albertinen-Krankenhaus eingeliefert, wird operiert und bestohlen – irgendwo zwischen Notaufnahme und Intensivstation. Das Portemonnaie, seine Hausschlüssel, die Kreditkarten – alles weg.
Einbruch in die Wohnung des Hamburgers
Während der 62-Jährige im Sterben liegt, verschafft sich der Täter mit dem Schlüssel Zutritt zu Reinhards Wohnung, sackt die PIN-Nummern der Kontokarten ein, räumt seine Konten leer und versucht, im Internet auf Reinhards Namen einen Kredit über 100.000 Euro abzuschließen. An Reinhard geht die Räuberpistole vorbei: Er liegt im künstlichen Koma und stirbt am 18. Februar.
Bernd Littau erinnert sich genau an den 5. Februar. Eigentlich wollten die Brüder einkaufen. Sie waren so vertraut, „fast wie in einer Ehe“, sagt Littau. Steckte einer von ihnen in der Klemme, schanzten sie sich schon mal Geld zu. Ihre Ehefrauen durften davon keinen Wind bekommen, also taten sie es klammheimlich hinter ihrem Rücken.
62-Jähriger noch auf Intensivstation verlegt worden
Doch an diesem Tag klagt Reinhard über Schmerzen in der Brust. Bernd kennt die Symptome – Herzinfarkt, er hatte selbst schon einen. Er schickt seinen Bruder zum Arzt, der fordert sofort einen Rettungswagen an. Minuten später ist Reinhard in der Notaufnahme der Albertinen-Klinik. „Da hatte mein Bruder die zwei Schlüssel und das Portemonnaie mit seinen Papieren noch bei sich“, sagt Littau. Daran habe sich der Arzt später ganz genau erinnern können.
Im Krankenhaus werden Reinhard zwei Stents über die Leiste eingesetzt. Bei dem Eingriff ist er wach. „Unwahrscheinlich, dass ihn da jemand bestohlen hat“, sagt Littau. Danach ruft der Todgeweihte ihn an: „Ich wollte Danke sagen. Du hast mein Leben gerettet.“ Er ahnt nicht, wie falsch er damit liegt. Und Bernd Littau weiß nicht, dass dies die letzten Worte sind, die er von seinem Bruder hören sollte. Der Zustand des 62-Jährigen verschlechtert sich am Nachmittag so rapide, dass er auf die Intensivstation verlegt und in einen künstlichen Tiefschlaf versetzt werden muss.
Diebstahl fiel erst später auf
„Gut möglich, dass der Dieb zugeschlagen hat, als mein Bruder nichts mehr mitgekriegt hat“, sagt Bernd Littau. Am Tag darauf ruft er im Krankenhaus an. Ob er die Schlüssel zur Wohnung seines Bruder bekommen könne? Um Klamotten für ihn zu holen. Doch von den Schlüsseln und allem anderen fehlt jede Spur.
Lesen Sie auch:
- S-Bahnhof: Trickdiebe schlagen siebenmal in einer Stunde zu
- 5,94 Promille! Betrunkener zwingt Güterzug zur Notbremsung
- Viele Menschen sterben bei Badeunfällen im Norden
Einige Tage später verschafft Reinhards Vermieter Bernd Littau Zutritt zur Wohnung seines Bruders. Für ihn sieht sie aus wie immer. Dass jemand die Schlüssel gestohlen haben und damit in die Wohnung eingebrochen sein muss, dämmert ihm erst am 21. Februar – drei Tage nach Reinhards Tod. Bernd Littau und seine Schwester, beide tieftraurig, wollen die Beerdigung organisieren, als sie in einem von Reinhards Aktenordnern einen Umschlag finden, in dem ein Zettel mit den Geheimnummern der EC- und Kreditkarten stecken sollte – doch der Zettel ist weg. „Da gingen bei uns die Alarmglocken an“, sagt Littau.
Hamburger Polizei wertet Videoaufnahmen aus
„Wir haben herausgefunden, dass vom 6. Februar an täglich 1000 Euro mit seiner Kreditkarte ausgezahlt wurden“. Und das sieben Tage lang. Außerdem habe der Täter weitere rund 2700 Euro mit der EC-Karte abgehoben. Littau geht zur Polizei, das LKA ermittelt wegen Diebstahls und Computerbetrugs. Pikant: Wie die Ermittler herausfinden, hat der Täter mit einer von Reinhards Karten Geld auch von einem Automaten der Sparda-Bank abgehoben – nur 150 Meter vom Albertinen-Krankenhaus entfernt.
Doch die Aufnahmen der Überwachungskamera sind nicht zu gebrauchen, denn der Täter tarnt sich komplett mit Mütze und Atemmaske. Auf Bitten der Polizei schaut sich zwar die Stationsleitung die Bilder an – sie kann darauf aber niemanden identifizieren. Es kommt noch dicker: Offenbar wollte der Täter mit dem Ausweis von Reinhard Littau im Internet einen Vertrag über einen Kredit in Höhe von 100.000 Euro abschließen. Darauf deutet zumindest das Schreiben eines Kreditvermittlers hin, der wenige Wochen nach dem Tod im Briefkasten von Reinhard Littau gefunden wird.
Hamburger Staatsanwaltschaft stellte Verfahren ein
Die Hamburger Staatsanwaltschaft hatte Anfang Juni die Verfahren zunächst eingestellt, weil kein Täter ermittelt werden konnte. Auch wenn wegen der Corona-Auflagen zur Tatzeit Besucher die Klinik nicht betreten durften, so komme doch eine Vielzahl von Mitarbeitern und Patienten als Täter infrage, „ohne dass Anhaltspunkte vorlägen, die auf bestimmte Personen hinweisen würden“, sagt Behördensprecherin Mia Sperlings-Karstens.
Intensive Nachforschungen stellte auch die Klinik an, diese hätten jedoch „keinen Hinweis auf eine Täterin oder einen Täter aus dem Kreise der Mitarbeitenden ergeben“, sagt Albertinen-Sprecher Fabian Peterson. Allerdings räumt Peterson ein, dass Krankenhäuser wie „andere besonders schützenswerte Einrichtungen“ unter Diebstählen litten, „dabei bildet unser Klinik trotz aller Vorkehrungen keine Ausnahme“. Und: „Ein Diebstahl mit einer solch hohen kriminellen Energie in unserem Haus wäre allerdings ein Novum“.
Die Staatsanwaltschaft hat jetzt auf ein Schreiben von Bernd Littau und seiner Schwester hin die Ermittlungen wieder aufgenommen – vor allem deshalb, weil für sie der Aspekt mit dem Kreditvertrag gänzlich neu ist. Der 60-Jährige hofft, dass in die Sache kräftig Schwung kommt. Er hat vor wenigen Tagen seinen Fischereischein gemacht, den Kurs hatte er mit Reinhard begonnen. „Ich habe mit 13 Punkten bestanden“, sagt er. „Ich denke, Reinhard wäre stolz auf mich.“