Hamburg. Während ein Mann in der Klinik um sein Leben kämpft, wird sein Konto geplündert. Nun kamen Ermittler einer Frau auf die Spur.
Vermutet hat es Bernd Littau von Anfang an: Dass der Täter zum Personal des Albertinen-Krankenhauses in Schnelsen gehört. Als sein Bruder Reinhard dort vor einem Jahr im Sterben lag, wurde er Opfer eines abgefeimten Diebstahls: Der Täter hatte die Geldkarten des todkranken Patienten gestohlen und seine Konten geplündert.
Reinhard Littau hat den Kampf um sein Leben zwar verloren, doch den Kampf um Gerechtigkeit hat sein Bruder Bernd wohl gewonnen: Auf Anfrage bestätigte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft, dass gegen eine Mitarbeiterin des Krankenhauses als Tatverdächtige wegen Computerbetrugs und Diebstahls ermittelt werde.
Krankenhaus in Hamburg: Todgeweihter bestohlen
Weitere Details nannte sie nicht. Die Ermittlungen seien weitgehend abgeschlossen, und die Akte sei inzwischen zur Einsichtnahme freigegeben. Nach Abendblatt-Informationen handelt es sich bei der Beschuldigten um eine junge Krankenschwester, die unmittelbar nach Bekanntwerden der strafrechtlichen Ermittlungen vom Albertinen-Krankenhaus freigestellt wurde.
Bald ein Jahr ist es her, dass Reinhard nach einem Herzinfarkt nicht mehr aus dem künstlichen Koma erwachte. „Für mich ist das noch immer schwer zu begreifen“, sagt Bernd Littau. Bei jedem Gang zum Familiengrab auf dem Friedhof Tonndorf übermannen ihn die Erinnerungen an den geliebten Bruder. Auch seiner Beharrlichkeit ist es zu verdanken, dass der Fall aufgeklärt werden konnte.
Den 5. Februar 2021 wird Bernd Littau nicht vergessen. Es ist der Tag, an dem sein zwei Jahre älterer Bruder über Schmerzen in der Brust klagt. Herzinfarkt! Im Albertinen werden dem 62-Jährigen zwei Stents eingesetzt. Später telefoniert er mit Bernd, ein letztes Mal. Dann verschlechtert sich sein Zustand rapide. Auf der Intensivstation müssen die Ärzte Reinhard ins künstliche Koma versetzen. Es steht schlecht um ihn.
Wie kann ein Mensch so skrupellos sein?
Und in diesem Zustand wird der Todgeweihte bestohlen. Wie sich später herausstellt, betrifft der Diebstahl seinen Wohnungsschlüssel und sein Portemonnaie mit allen Papieren und zwei Kreditkarten. Am 18. Februar stirbt Reinhard. Drei Tage später stellen Bernd Littau und seine Schwester fest, dass in Reinhards Wohnung ein Zettel mit den PIN-Nummern für die EC- und Kreditkarten ihres Bruders fehlt. Ihre Nachforschungen ergeben: Mit den Karten wurde vom 6. Februar an rund 7000 Euro abgehoben. Bestürzt erstatten sie Anzeige. Damals wie heute fragt sich Bernd Littau: Wie kann ein Mensch so skrupellos sein?
Natürlich stehen bei den Ermittlungen die Mitarbeiter im Fokus, schließlich war die Klinik zur Tatzeit für Besucher wegen der Corona-Auflagen gesperrt. Dabei kommt heraus, dass eine der Karten am Automaten einer nur 150 Meter entfernten Haspa verwendet worden ist. Gesicherte Bilder einer Überwachungskamera bringen die Ermittler jedoch nicht weiter: Sie zeigen nur eine mit Schal und Atemschutz komplett getarnte Person.
Krankenschwester versucht Kredit aufzunehmen
Weil zu viele Menschen als Täter in Betracht kommen und es an Anhaltspunkten für einen konkreten Verdacht mangelt, stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren zunächst ein. Nimmt es aber wieder auf, als Bernd Littau im Juni der Behörde von einer weiteren, bis dahin nicht bekannten Straftat im Zusammenhang mit dem Diebstahl berichtet.
Offenbar hatte die Verdächtige versucht, mit Reinhard Littaus Ausweisdaten im Internet einen Kredit über 100.000 Euro abzuschließen. Das legt ein Brief nahe, der Wochen nach Reinhards Tod eintraf. Allerdings handelte es sich wohl um einen „untauglichen Versuch“. Die Verdächtige soll sich nicht an eine Kreditvermittlung, sondern an eine Art Schuldner-Beratung gewandt haben.
E-Mail-Adresse führte zur Krankenschwester
Dabei soll sie ihre echte E-Mail-Adresse angegeben haben – so kamen die Ermittler der Krankenschwester auf die Spur. Bei der Durchsuchung ihrer Wohnung am 7. September 2021 stießen sie nach Abendblatt-Informationen auf eine der gestohlenen Geldkarten. Ein Zettel mit den Geheimnummern steckte vermutlich im Portemonnaie des Tatopfers.
Der Sprecher des Albertinen-Krankenhauses, Fabian Peterson, sagte dem Abendblatt: „Wir sind bestürzt darüber, dass eine in unserem Haus beschäftigte Person im Verdacht steht, einen schwerstkranken Patienten bestohlen zu haben. Die Vorwürfe nehmen wir sehr ernst, auch wenn bis zu einer möglichen Verurteilung die Unschuldsvermutung zu gelten hat.“
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Die Klinik habe hohes Interesse an der schnellen Aufklärung und habe den Fall zum Anlass genommen, die internen Abläufe zur Aufbewahrung von Wertgegenständen kritisch zu überprüfen. Peterson: „Ein mit solch hoher krimineller Energie durchgeführter Diebstahl kann nie gänzlich ausgeschlossen werden und ist bei uns bis dahin auch noch nicht vorgekommen.“
Mit solchen Taten steht das Albertinen keineswegs allein da. Nur ein Beispiel: Mitte November wurde einer alten Dame im Bergedorfer Bethesda-Krankenhaus Schmuck im Wert von 7000 Euro gestohlen. Bei ihrer Einlieferung hatte sie ihn noch. Kurz darauf starb sie.
Am 18. Februar jährt sich erstmals Reinhards Todestag. Bernd Littau, der in Schnelsen ein Waxing Studio führt, hofft, nur noch trauern und die Wut vergessen zu können. „Meine Schwester und ich haben nur einen Wunsch: Dass die Tat angemessen gesühnt wird.“